Neues Musikvideo von Taylor Swift: Eine schöne Leiche kehrt zurück
Das neue Musikvideo des Weltstars gleicht einem Fiebertraum. Das Landesmuseum Wiesbaden profitiert davon. Was haben nur alle mit dieser Ophelia?

Ohhh Ophelia. „Nieder fielen die rankenden Trophäen und sie selbst ins weinende Gewässer. Ihre Kleider verbreiteten sich weit und trugen sie sirenengleich ein Weilchen noch empor, indes sie Stellen alter Weisen sang, als ob sie nicht die eigne Not begriffe, wie ein Geschöpf, geboren und begabt für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht, bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, das literarme Kind von ihren Melodien hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.“
So beschreibt Getrude, Hamlets Mutter, deinen Tod (warum nur hat sie dir nicht geholfen, wo sie doch alles so genau beobachtet hat?). Nun gut, du ertrinkst, ein bisschen erstaunt, ein bisschen indifferent und in jedem Fall sehr schön. So unendlich schön.
Es ist die Geliebte von Hamlet, die da beim Blumenpflücken in den Fluss fällt, oder sich hineinfallen lässt. Ist es Unfall oder Selbstmord, so ganz klar ist es nicht, sie ist ja nun auch schließlich schon verrückt geworden, ja ganz wirr im Kopf, kaputtgespielt vom Patriarchat, zerrissen von Vater, Bruder, König, Geliebtem und so weiter und so fort. Da kann man schon mal das Gleichgewicht – oder den Lebenswillen verlieren.
Nun gut, immerhin ist sie berühmt geworden. Erdacht von einem Mann (Shakespeare), für die Ewigkeit auf die Leinwand gemalt von vielen Männern, am berühmtesten wohl als präraffaelitische Ikone von John Everett Millais. Aber auch der mystische Symbolist Odilie Redon malte Ophelia gleicht mehrmals: verwunschen und verwaschen und natürlich war sie wie geschaffen für eine Interpretation im Jugendstil, der als Jugendbewegung ja schließlich sowas wie der Urvater der Emos war.
Besucherboom im Landesmuseum Wiesbaden
Der deutsche Historienmaler Friedrich Wilhelm Theodor Heyser bettete seine Ophelia um 1900 eher schwebend als schwimmend in einen brackigen Tümpel, die Augen so sittlich gesenkt, die Lippen so sinnlich geöffnet. Das weiße Kleid der Unschuld wird zum Leichentuch, die gepflückten Blumen gehen schon unter. Nur ein paar Mohnblüten, internationales Symbol für Tod, treiben noch zwischen den Seerosen.
Im Landesmuseum Wiesbaden hängt diese Version der schönen Leiche Theodor Heysers, der zugegebenermaßen eher zu den Nebendarstellern der deutschen Kunstgeschichte gehört und nun unverhofft späten Ruhm erhält – ausgerechnet durch Taylor Swift. Fans der US-Sängerin strömen jetzt in das 200 Jahre alte Museum, seit diese das Gemälde in ihrem neuesten Musikvideo zitierte. „Wir erleben derzeit einen regelrechten Ophelia-Boom und sind darüber ziemlich überrascht und glücklich“, sagte die Museums-Sprecherin Susanne Hirschmann dem britischen Guardian.
Denn auch der US-Weltstar hat nun eine Ode an Ophelia geschrieben: „The Fate of Ophelia“ heißt die Single, deren Video mit ebenjener von Heyser in Öl gebannten Szene eröffnet. Nur, dass es eben Swift selbst ist, die da so liegt, in einem Museum – oder ist es ein Hotel? Eine Mall? Ein Spielcasino in Las Vegas? Auf jeden Fall in einem Raum, in dem ein Bild in einem goldenen Rahmen hängt und nun, man merkt schon es geht los, was kommt wird sehr kompliziert zu beschreiben: Es gleicht einem KI-Fiebertraum aus der Zukunft in der Kultur nur noch in Happy-Meal tauglichen Nuggets serviert wird, so durchpüriert, dass es vollkommen irrelevant ist, was drinsteckt, alles schmeckt gleich, nach fettigem Nichts, aber irgendwie gut.
Swift schrieb das Drehbuch und führte selbst Regie
In schnellen Schnitten besingt die Königin der Nylonstrumpfhosen hier das Schicksal der tragischen Heldin „The eldest daughter of a nobleman / Ophelia lived in fantasy / But love was a cold bed full of scorpions / The venom stole her sanity“ heißt es da. So oder so ähnlich hätte das Swift wohl auch gedroht – fast wäre sie ertrunken, aber dann kam ihr Retter (wie alle wissen, auch die, die es gar nicht wissen wollen, ist Swift mit dem Prom-King-Prototypen und Football-Star Travis Kelce liiert) und rettete sie: „All that time / I sat alone in my tower / You were just honing your powers / Now I can see it all / Late one night / You dug me out of my grave and / Saved my heart from the fate of / Ophelia“.
Während sie das singt, wechselt sie Kleidung und Frisuren in TikTok-Geschwindigkeit. Hintergründe und Kontexte des Videos, für das Swift selbst Regie und Drehbuch verantwortete, changieren in einer Willkür mit, als hätte man irgendwas mit Fluch der Karibik, Nobuyoshi Araki, The Carters, Maria Švarbová, Shakespeare, Pamela Anderson, De Chirico, Moulin Rouge und Uwe Barschel in einen Videogenerator gepromptet. Die Ästhetik ist so glattgebügelt, als käme das alles direkt aus dem 3D Drucker.
Empfohlener externer Inhalt

Auch die Musik ist eingänglich und simpel. Es verwundert nicht, dass der Song bei Spotify sowohl den Tages- als auch den Wochenrekord als meistgestreamten Titel brach. Kritikerstimmen erkannten Spuren von Adele, Eurythmics und Duffy, zumindest irgendwas mit 2000er Pop. Ann Powers lehnte sich bei NPR sogar aus dem Fenster und meinte, Elemente von „Clint Eastwood“ der Gorillaz zu erkennen. Bei der Autorin dieses Textes nuschelt es hingegen eher leise „Lana Del Rey“ im Hinterkopf.
Die Positivdrehung der tragischen Geschichte in einen poppigen Lovesong ist ungewöhnlich und vielleicht sogar klug. Schon 1996 bedienten sich Nick Cave und Kylie Minogue für das Video zu ihrem Song „Where the Wild Roses Grow“ visuell an John Everett Millais' „Ophelia“-Gemälde. Bob Dylan besingt Ophelia in typischer Dylan-Manier in „Desolation Row“, doch glücklich geht hier nichts aus. Der Tod im Patriachat bleibt der Tod im Patriarchat.
Bei Taylor Swift hingegen löst sich das Drama im Wohlgefallen der luxuriösen Badewanne auf. Der Kerl ist ein Guter, er hat sie gerettet. Sie muss weder den Verstand verlieren noch sich ertränken, es ist eben nicht alles schlecht. Darüber, dass die glitzernde Trad-Wife-Unschuld nun die kulturelle Rettung der amerikanischen Popmusik sein soll, könnte man ähnlich verrückt werden wie Ophelia. Oder einfach lauthals lachen und sich mit dem Landesmuseum Wiesbaden freuen, das nun zumindest ein paar Besucherinnen mehr verzeichnen kann.
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