Neues Projekt in der Anonymous-Szene: Nur ein weiterer Chat-Kanal?

Ein neues Projekt in der „Anonymous“-Szene wird breit besprochen, aber offenbar kaum genutzt. Die Aktivisten sind sich unsicher, ob sie ausreichend vor Ermittlern geschützt sind.

Selbst Insider haben keine Ahnung wer dazugehört: Anonymous-Flagge bei einer Demonstration. Bild: dapd

BERLIN taz | Wenn Gabriella Coleman etwas twittert, wird das im Hacker- und Geekmilieu wahrgenommen. Und so geschah es auch als die Forscherin von der McGill University im kanadischen Montreal twitterte vor einigen Tagen über eine „Constitution of Voxanon“. Diese Website fasst die Absichten und Ideale einiger Gruppen zusammen, die unter dem Logo „Anonymous“ arbeiten.

Gabriella Coleman, deren Tweet sich schnell verbreitete, ist eine Art Völkerkundlerin der Netzkultur. Sie sieht ihre Aufgabe unter anderem darin, neue Trends im Hacker-Milieu aufzuspüren und einzuordnen, vor allem aber die Bruchstellen zwischen denen auszuloten, die sich im Internet jedwedem Zugriff staatlicher Behörden entziehen können, und den „dümmsten anzunehmenden Nutzern“, die nicht einmal ihre E-Mails für Unbefugte unlesbar machen können. Sie gilt in der Szene als „die Einzige, der man etwas Kompetenz zutrauen kann.“

Das neue Project Voxanon besteht aus einigen neuen Servern im Internet Relay Chat (IRC). IRC bietet gegenüber Chat-Foren auf Websites den Vorteil, dass man Daten direkt von Computer zu Computer austauschen kann, dass geschlossene, von außen „unsichtbare“ Foren möglich sind und dass IRC unzensierbar und unkontrollierbar ist - wenn man sich damit auskennt.

Der Nachteil von IRC wiegt schwer: Man weiß nie, wer sich hinter den Pseudonymen versteckt, es sei denn, man hat sich über andere Kanäle, etwa verschlüsselte E-Mails, a priori vergewissert, mit wem man sich wo und wie verabreden will.

Pathetisch und nicht unbedingt neu

Das „Mission Statement“ von Voxanon klingt einfach, pathetisch und nicht unbedingt neu: Wir sind eine Gemeinschaft. Wir sind eine Bewegung. Wir sind eine Philosophie. „Wir sind eine Heimat für Heimatlose, eine Schwarmintelligenz für Verlassene und ein Tempel für Ungläubige.“ Es fehlt nur noch: Das Ende ist nahe.

Die Verfassung, über die Coleman twitterte, bekräftigt das Recht der Nutzer, auch gegenüber dem Administrator der Rechner anonym bleiben zu können: „Kein Betreiber darf eeinem privaten Kanal ohne Einladung beitreten, es sei denn um einen direkten Angriff auf die Existenz des Netzwerks abzuwehren.“ Trotzdem wird gleich gewarnt: Nutzer seien für ihrer eigene Anonymität verantwortlich. „Benutzt Tor, ein VPN, oder etwas anderes“. Das heißt: Wer auf einem der neuen Voxanon-Server chattet, hat ohne zusätzlichen Schutz keine garantierte Anonymität. Erste Nutzer meldeten bereits die Chat-Server von Voxanon seien „grottenleer“.

Das hat einen einfachen Grund: Die Hacker-Gruppe Anonymous ist im IRC entstanden und nicht etwa im World Wide Web. Die Anti-Scientology-Bewegung im Internet hieß 2008 Anonnet - nach ihrem IRC-Server. Wer sich auch beim Chatten per IRC eine digitale Tarnkappe überstülpen will, kann seine Texte zusätzlich verschlüsseln. Andere Methoden, über das I2P-Netz zu kommunizieren, sind die „Höchststrafe“ für Strafverfolger – es ist technisch nicht mehr möglich, auch nur die geringste Datenspur über die Nutzer herauszufinden.

Voxanon kann daher technisch versierte Internet-Nutzer nicht sonderlich beeindrucken. Das neue Projekt dokumentiert aber den erbitterten Konkurrenzkampf der diversen Hacker-Gruppen untereinander um Aufmerksamkeit. Zur Corporate Identity gehört, den Betrieb eines anonymen IRC-Server feierlich zu zelebrieren wie das Richtfest eines Tempels, auch wenn sich das so anhört, als behauptete jemand, das Rad neu erfunden zu haben.

Und ebenso misstrauisch begegnet auch die Szene dem Projekt: Eine der Firmen, von denen Voxanon Speicherplatz mietet, steht in San Diego, Kalifornien – die Rechneradressen wurden sogar von Aktivisten aus dem Umfeld der Hacker-Gruppe zeitweise wegen Spam-Bombardements auf eine schwarze Liste gesetzt.

Anderswo gab es eine typische Reaktion: Ein Hacker mit dem Pseudonym hrh23 behauptete in einem Chat-Forum des Anonymous-Netzes, der Nutzer anon_central, der Colemans Kurznachricht weit verbreitet hatte, sei „ein fed“ – das heißt ein Agent der Geheimdienste CIA oder NSA. Beweise dafür gibt es natürlich nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.