Neues Soloalbum von David Byrne: Alte Liebe, neue Weltlage
David Byrne bleibt mit seinem Soloalbum „Who Is the Sky“ beim Bewährten. Was kann schräge Musik angesichts der globalen Verdüsterung ausrichten?
Im Jahr 2001 wurde das erste geklonte Katzenbaby geboren, allein in Deutschland gab es mehr als 100 bestätigte Fälle von Rinderwahnsinn (BSE) und die beiden Hochhaustürme des World Trade Center in New York wurden Ziel eines perfiden Terroranschlags von al-Quaida.
Im selben Jahr warf Windows sein Software-Update „XP“ auf den Markt. Das Ende der Geschichte, es neigte sich 2001 langsam seinem eigenen Ende zu. Passend dazu erklang auf dem Windows Media Player der vorinstallierte Beispielsoundtrack: „Like Humans Do“ von David Byrne.
Zu einer für den Talking-Heads-Frontmann typisch abgehackt geschrabbelten Gitarre, wie man sie auch von Hits wie „Pulled Up“ kennt, singt Byrne im Refrain: „I’m achin’ / I’m shakin’ / I’m breakin’ like humans do.“
Opulent und gut gelaunt
Die Zeilen passten besser zum anbrechenden Jahrtausend, als man damals ahnen konnte, trotz oder gerade wegen der grundlegenden dynamischenStimmung und des kitschig und zugleich hintergründigen Streicherarrangements, das die Opulenz und gute Laune – nun ja – unterstrich.
Fast ein Vierteljahrhundert später veröffentlicht der 1952 geborene US-Musiker, Labelgründer (Luaka Bop), bildende Künstler David Byrne sein mittlerweile zwölftes Soloalbum: „Who Is The Sky“. Älter ist Byrnes virile Stimme geworden, das wird schon in den ersten Momenten deutlich, wenn der New Yorker den Song „Everybody Laughs“ einzählt.
Dann ertönt die für ihn typische Hektikgitarre zum markanten Bass. Byrne beginnt zu singen, und während er die Worte „Everybody’s going through the changes“ ins Mikrofon drückt, setzen im Hintergrund sanfte Streicher des New Yorker Ghost Train Orchestra ein.
So happy wie 2001
Der Song ist so exemplarisch für Byrne, dass die von ihm beschworene Veränderung fast ironisch klingt; der Sound so happy, dass er wie einst, 2001, in leicht bizarrem Kontrast zur düsteren Weltlage erscheint: Erst recht, da die eingesetzte Marimba ein fernes Echo des „Ice Age“-Soundtracks hervorruft.
Die ostentativ vorgetragene gute Laune nervt, im Verlauf des Albums drängt sie sich noch häufiger auf. Song-and-Dance-Man Byrne, der mit seinem Album „American Utopia“ zeitweise auch Broadwaybühnen rockte, scheint sich für eisern positives Altern entschieden zu haben.
Und da die Weltlage im Allgemeinen und in den USA im Besonderen gerade nicht viel gute Laune Machendes zum Besingen bietet, besinnt sich der grauhaarige Optimist kurzerhand auf die kleinen Freuden des Lebens („My apartment is my friend“) oder eben – geht immer – die Liebe. Denn sie ist eh der Ursprung für alles. Weswegen Byrne, begleitet von der Sängerin Paramores Hayley Williams, direkt nach dem Grund für die Liebe selbst sucht („What is the reason for it?“).
Die Tür sagt nein
Erzählerischer als sonst sollen laut Byrne die Songs auf dem neuen Album klingen, doch wenn sich in „A Door Called No“ die Tür erst durch einen Kuss wie von Zauberhand öffnet, ist man sich eigentlich nicht so sicher, ob es die gesungene Kurzgeschichte („I met a girl / She gave me a kiss / I discovered a world / Where the door says ‚Yes‘“) wirklich gebraucht hätte.
Auch „The Avant-Garde“, in welchem Byrne sich melodiös begleitet von holzschnittartiger Atonalität am Konzept der L’art pour l’art abarbeitet und „I met the Buddha at a Downtown Party“ („He was hanging by the pastries and the canapees /Stuffing himself like there was no tomorrow“) neigen doch eher zur leichten, nicht intendierten Peinlichkeit.
David Byrne: „Who Is The Sky“ (Matador/Beggars/Indigo)
Entschädigt werden Fans von der dezent demoskizzenhaft belassenen Singer-Songwriter-Ballade „She Explains Things to Me“, wobei Byrnes nostalgischer Ton auffällt: Zu sehr sehnt sich der Künstler nach einer längst vergangenen Vergangenheit. Lustigerweise tut das auch die Zuhörerin. Nur meint sie damit etwas anderes.
Vielleicht ist „Who Is The Sky“ ein guter Anlass, die heilsame Vergangenheitsflucht und den frühen genialen Byrne zu zelebrieren – ob mit Windows XP oder „Life During Wartime“. Wie passend und gleich mehrfach aktuell, dass das neue Album mit dem von Latin-Beats unterlegten Track „The Truth“ schließt: „The truth might ache / Said no machine / it’s the last thing a man wants to hear.“
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