Neues Synthesizeralbum von Sam Prekop: Wortlos episch
Das neue Album von US-Künstler Sam Prekop, „Open Close“ ist am modularen Synth entstanden. Sein Sound ist mathematisch exakt und zugleich jazzig frei.
Auf und zu, weit und nah: Bereits im Titel seines neuen Soloalbums „Open Close“ legt Sam Prekop verschiedene Fährten und Fäden aus. Es ist einfacher, den einen zu folgen, als die anderen zu entwirren. Das mag im Sinne des Erfinders sein, sagt Prekop doch zu Beginn eines auf Youtube veröffentlichten Interviews, er verliere schnell das Interesse, wenn sich Dinge als zu offensichtlich erweisen.
Die Musik von „Open Close“ ist mit einem modularen Synthesizer entstanden. Prekop hat sein neuntes Soloalbum vollständig instrumental gehalten. Das war nicht immer so, doch ist der 60-jährige Multiinstrumentalist und Sänger aus Chicago nicht erst gestern auf den diskreten Trip gekommen. „Open Close“ umfasst sechs Stücke mit einer Dauer von 36 Minuten. In dieser Zeit wird Prekop schon mal wortlos episch.
Den Auftakt bildet das achtminütige Titelstück, bei dem eine Melodie, welche man sich als die einer Spieluhr denken kann, dezent im Hintergrund läuft, um alsdann eine weitere Klangfläche einzuziehen. Prekops Trick ist nun, die kurz fallen gelassene Hookline vom Anfang wieder in den Vordergrund zu ziehen und dann Sound um Sound zu schichten.
Hypnotische Repetitionen
Nicht lange, dann ist ordentlich etwas los: Neugierig machende Geräusche wie das Suchen auf der Skala eines alten Radios, das Einwahlknarzen eines Modems – auch das ist mittlerweile historisch –, dann wird es rhythmisch. Der elektronisch erzeugte Beat einer geschlossenen Hi-Hat legt sich zum ersten Mal unter die Musik und wird uns auf dem Album noch mehrmals begegnen. Hypnotische Motivwiederholungen, Nuancen und Variationen, eine Art Glockenspiel, dann die Bassdrum und Verdichtung. Hast du Töne!
Sam Prekop: „Open Close“ (Thrill Jockey/Indigo)
Wer macht so etwas? Hört man Shrimp Boat, das Brillenträger-Quartett, in dem Sam Prekop Ende der 1980er in der Chicagoer Indieszene debütierte, erklingt noch halbwegs erdverbundener Freakrock, der sich anschickt, nicht mehr klassisch sein zu wollen. Klar sind da Gitarren, aber auch bereits Saxofone, Keyboards und überraschende Taktwechsel.
Nach der Auflösung von Shrimp Boat 1993, gründeten Gitarrist und Bassist Sam Prekop und Eric Claridge The Sea and Cake, die mit den geistig und personell verbundenen Tortoise und Gastr Del Sol auf den Labels Thrill Jockey und Dragcity die großen Drei des Postrock konstituierten.
Viel Experiment, null Machismo
Der erst einmal wenig konkrete Begriff umfasst eines der interessantesten musikalischen Kapitel der neunziger Jahre. Postrock meint eine Spielart von Rockmusik, in die Folk und experimentelle Musik inkorporiert sind, aber das machistische Inszenierungsspektakel von Rock ausgespart bleibt.
The Sea and Cake mit Prekop als Sänger und Komponisten waren dabei die zugänglichste Band. Vom Innencover ihres 1994 erschienenen Debütalbums grüßte Charles Mingus, jener US-Jazzgigant, bei dem sich Tradition und Innovation, Groove und Gehirnschmalz nicht ausschlossen.
Das Chicago der neunziger Jahre war durch ein Unterseekabel auch mit Berlin verbunden und umgekehrt. 1998 organisierte die US-Künstlerin Sarah Marrs, sie und Sam Prekop hatten beide die Kunsthochschule am Art Institute in Chicago besucht, einen transatlantischen Austausch. Die Musiker Brad Hwang, Bertram Denzel und Erik Huhn als Trio Triplum, Bernd Jestram und Ronald Lippok als Tarwater, Robert Lippok von To Rococo Rot und der Schriftsteller Henryk Gericke machten sich auf den Weg in die drittgrößte Stadt der Vereinigten Staaten.
Eine Bar namens „Rainbow“
Die Berliner nahmen dort an der Ausstellung „Tchikago“ in der Galerie Gary Marks teil und frequentierten mit der Bar Rainbow auch den Treffpunkt von The Sea and Cake und Co. Mit von der Partie war Thelonious Monk: An der Wand hing ein gestickter Teppich, auf dem der Jazzerneuerer am Piano zu sehen war.
Bernd Jestram erinnert sich an Musiker und Labelmenschen hinter dem Tresen, Gericke an ein aufgeschlossenes Publikum davor. Im selben Jahr erschien mit „Rabbit Moon Revisited“ auf dem Chicagoer Label Capstack ein Album von Tarwater.
Empfohlener externer Inhalt
„Open Close“

Es empfiehlt sich, diese Musik einmal in einem Atemzug mit einer der nordamerikanischen Postrock-Veröffentlichungen jener Zeit zu hören. Damals veröffentlichte auch Sam Prekop sein Debüt als Solist. Wie das nachfolgende Werk „Who’s Your New Professor“ enthält es psychedelisch versponnene Popsongs. Die Musik ist voller dezenter Details und feinsinniger Schleifen.
Nicht quantitativ messbar, trotzdem toll
2007 kündigte Prekop auf der dem Künstlerbuch „Photographs“ beigelegten CD eine elektronische Phase an. In Albumlänge läutete er sie dann 2010 mit „Old Punch Card“ ein. Seitdem hat sich Prekop immer weiter vom Synthesizer herausfordern lassen. Eventuell hat das Einschwenken vom Songwriting zur elektronischen Musik mit dazu geführt, dass Sam Prekop bis jetzt kein Star im quantitativen Sinne geworden ist, wie seine Künstlerkollegin, die Französin Lætitia Sadier von der Avant- und Agitpopband Stereolab einmal bemerkte. Aber, sie fügte hinzu, dass Prekop, Beitragender zu einem ihrer Soloalben, sich wohl auch vor dem Ruhm schützen wolle.
Wer Prekop sieht, wie er auf Youtube vor einem Raumteiler zwischen Plattenregal und Grünpflanzen über sein neues Album spricht, erlebt einen unprätentiösen Künstler, der am Synthesizer so entwaffnend agiert wie vor dem Mikrofon und an der Gitarre. Der modulare Synthesizer, den Prekop spielt, ist kein Produkt von der Stange, sondern ein Instrument zum Tüfteln und Basteln. Schaltkreise, Schräubchen, Schalter und kunterbunte Verkabelung lassen die Augen mithören.
Das Albumcover zeigt eine Luftfotografie Prekops, für die Rückseite hat er eine eigene Zeichnung ausgewählt, die eine Stadt als Regal oder umgekehrt zeigen könnte. Ein Blick für geometrische Strukturen fällt auf. Dabei zieht Prekop den Zufall dem System vor, besser noch, es geht ihm um Parameter in einem Zufallssystem, sagt er. „Open Close“ wollte er mehr abstrakt haben, das Album sollte mehr Noise enthalten. Und, Klarheit ist ihm wichtig.
„Font“, das fünfminütige zweite Stück könnte mit Hi-Hat und Glockenspiel aus dem Auftaktsong erwachsen sein, klingt aber mehr seriell. Die zweiminütige Vignette „Para“ hebt von einem ruhigen, orgelhaften Auftakt ab. Etwa später folgt dann pianistisches Pingpong: Das beschwingte „Light Shadow“ kommt in seiner Motivverarbeitung dem Jazz sehr nahe; am Ende der sieben Minuten taucht in einer geisterhaften Coda eine neue Melodie auf. „A Book“ sind akzentuierte sechs Minuten.
Dann klappt Sam Prekop mit der vierminütigen „Opera“ seinen Klangfilm fürs Erste zu. Unbedingt weitermachen! Bis dahin ist hin und weg noch untertrieben.
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