Neues von Tocotronic und Lowtzow: Hunde und Lieblingslieder

Tocotronic stellt mit „Coming Home“ eine Compilation ihrer Lieblingssongs zusammen. Sänger Dirk von Lowtzow covert die Pet Shop Boys.

Die vier Mitglieder der Band Tocotronic sitzen rum

Legt als Band Wert aufs Nichtstun: Tocotronic Foto: Michael Peterson

Ein Jahrzehnt ist es her, da waren sie die Neinsager der Nation. Mit „Kapitulation“ veröffentlichten Tocotronic 2007 ein Album, das der Verweigerung als Protestform Tribut zollte. So freundlich und aufgeräumt, wie der Anwaltsgehilfe Bartleby in Herman Melvilles Erzählung „Bartleby, der Schreiber“ mit den Worten „I would prefer not to“ die Arbeit zurückweist, sang Dirk von ­Lowtzow im Song „Luft“: „Ja, ich habe heute nichts gemacht / Ja, meine Arbeit ist vollbracht.“ Im Interview erklärte er, Tocotronic legten als Band Wert auf das Nichtstun. „Kapitulation“, das war keine Anleitung zur Unterwerfung, sondern ein schönes, sperriges Statement gegen den Imperativ der Produktivität.

Nun konnte man Tocotronic allerdings nie vorwerfen, eine faule Band zu sein. Seit ihrem Debütalbum „Digital ist besser“ (1995) veröffentlichten Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail, der 2004 zu Tocotronic stieß, beinahe alle zwei Jahre neues Material. Zusätzlich verfolgen alle Bandmitglieder Soloprojekte. Jetzt aber scheinen sie zum Müßiggang gefunden zu haben. Und sie tun, was MusikliebhaberInnen gern tun, wenn sie gerade keine neuen Songs komponieren: Sie graben sich durch die Popgeschichte.

Für die Reihe „Coming Home“ haben Tocotronic zwei Jahre nach ihrem letzten Werk (das „Rote Album“, erschienen 2015) eine Compilation mit Lieblingsstücken zusammengestellt. Was hören nun die notorischen Neinsager Tocotronic?

Nach dem Einstand mit dem ewig coolen Klassiker „She ­Cracked“ von Jonathan Richmans Band The Modern Lovers folgt die erste Überraschung: Den Garagenrock des jungen kalifornischen Freaks Ty Segall – Acid-induziert irre, ein wenig bierselig obendrein – hätte man nicht erwartet in der Plattensammlung einer Band, der seit jeher das etwas distinguierte Etikett „Diskursrock“ anhaftet. Vorhersehbarer vielleicht: die Würdigung von Andreas Dorau, der vielleicht als irrer Urahne von Tocotronic durchgehen könnte.

Tocotronic: „Coming Home“ (Stereo Deluxe/Warner)

Dirk von Lowtzow: „I Want a Dog“ (Martin Hossbach)

WegbegleiterInnen wie der scheuen Berliner Indiekünstlerin Masha Qrella erweisen Tocotronic in ihrer Auswahl ebenso Respekt wie MusikerInnen jenseits Europas, etwa der Tuareg-Band Tamikrest aus Mali und der russischen Underground-Punk-Ikone Yanka. Fragte man sich, unter wessen Einfluss aus den Rumpeljungs von einst die Pop-verliebten Mittvierziger werden konnten, findet man auf der Compilation auch eine Antwort: Mit „San Jose“ – hier in der Version von Frankie Goes To Hollywood – ist ein Standard aus dem Œuvre des Komponisten Burt Bacharach vertreten.

Und sonst: Jazz von Ron Ayers, Shoegaze von Wand. Deutschpunk von Der Durstige Mann und lakonischer Rock von Courtney Barnett. All das Koordinaten, an denen sich das Spannungsfeld, in dem sich Tocotronic bewegen, gut beschreiben lässt.

Fast zeitgleich mit der Compilation veröffentlichte Dirk von Lowtzow als Solist eine Coverversion: „I Want a Dog“, im Original erschienen auf dem 1988er Album „Introspective“ der Pet Shop Boys. Die B-Seite ist eine minimalistische Version von Neil Youngs Song „Beautiful Bluebirds“ aus dem Jahr 2007. Moses Schneider produzierte, der Berliner Musikkurator Martin Hossbach veröffentlichte die Single auf seinem gleichnamigen Label.

Im Video zeichnet der 46-Jährige konzentriert einen Comic-Hund. Dazu singt von Lowtzow, nur begleitet von einer Akustikgitarre, mit viel Hall auf der Stimme von der Einsamkeit und ihrer Überwindung: „When I get back to my small flat / I want to hear somebody bark.“ Wenn von Lowtzow das Wort „Cockerspaniel“ im Mund wendet, als denke er über seinen verborgenen Sinn nach, ist das ein hübscher Moment und eine Anregung noch dazu: Warum nicht auch Tocotronics verrätselte Songs einfach klingen lassen, statt sie reflexartig zu Tode zu deuten?

Von Tocotronic erwartet man stets Großes und Größeres. Und das hat seinen Grund: Wie kaum eine andere deutsche Band bewiesen die renitenten Poeten, dass man als Linksintellektueller integer erwachsen werden, gar vom „Hamburger Schule“-Slacker zur Kulturinstitution reifen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Warum nun Hunde und Lieblingslieder? Gegenfrage: Warum nicht. Auch darum geht es ja im Pop: Schönes zu schaffen, das sich selbst genug ist. Ihrem musikgewordenen Generalstreik „Kapitulation“ setzen Tocotronic zum zehnjährigen Jubiläum mit ihren hübschen, faulen Projekten ein kleines Denkmal.

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