"No Line On The Horizon": U2 macht ein wagemutiges Album

Unsere allerliebste Monsterrockband U2 klingt auf "No Line On The Horizon" endlich altersgemäß abgehangen. Und wir sind dankbar.

U2 klingen endlich ihrem Alter entsprechend. Bild: dpa

BERLIN taz Auch als Weltverbesserer braucht man mal Bargeld. Also stellst du dich an den Bankautomaten, hämmerst die Geheimzahl in die Tastatur und das Display wirft matt schimmernd eine Spiegelung zurück. Ein irgendwie bekanntes Gesicht starrt dich an und du fragst dich: Wer zum Henker ist denn diese Type? Bin das wirklich noch ich? Hab ich nicht schon längst aufgegeben?

Nun könnte man sagen: dass einen erstens Erkenntnis bisweilen an den sonderbarsten Orten ereilt. Oder zweitens: Bono hätte vielleicht schon mal früher seine Sonnenbrille abnehmen sollen. Dann wären uns womöglich, das legt jedenfalls das neue Album seiner Band, "No Line On The Horizon" nahe, einige der verzweifelt jugendlichen Adrenalin-Attacken erspart geblieben, die U2 im vergangenen Jahrzehnt aufgelegt haben.

Aber ob nun tatsächlich jener "Moment of Surrender" bei der Ausgabe von Geldscheinen, den Bono im gleichnamigen Song schildert, verantwortlich war: Erstaunlich ist in jedem Fall, welche Wandlung U2 vollzogen haben. "No Line On The Horizon" ist das wagemutigste Album der irischen Band seit "Pop", dem beim Publikum eher durchgefallenen Kritikerliebling von 1997.

Von den Herren Bono, The Edge, Larry Mullen und Adam Clayton ist keiner jünger als 47 Jahre, aber endlich klingt ihre Band auch einigermaßen danach. Die donnernden Gitarrenriffs, die einem die Nieten an der Rockerlederjacke aufstellen, sind - fürs Erste zumindest - ebenso Geschichte wie die penetrante Religiosität des Vorgängeralbums "How To Dismantle An Atomic Bomb". Stattdessen klingt das Quartett abgehangen und unaufgeregt wie nie. So trödelt das bereits erwähnte "Moment of Surrender" ohne demonstrative Dramatik dahin. "Unknown Caller" vermeidet trotz verschraubter Männerchöre jeden Anflug von Pathos. Die erste Single "Get On Your Boots" konterkariert ein selbstgefälliges Rockerriff mit arabischer Melodieführung, und "White As Snow" ist eine unglaublich unprätentiöse Ballade.

Selbst ein schnelles Stück wie "Magnificent", das früher im Theaterdonner versunken wäre, spielt sein Potenzial zur weihevollen Hymne nicht aus: The Edge darf hier zwar mal seine patentierten Alarm-Gitarren auspacken, aber auch das gerät nicht dramatisch, sondern lieber luftig.

Das Schöne an dieser Erneuerung ist aber, dass sie nicht wie die experimentelle Phase Mitte der Neunzigerjahre von Selbstironie geprägt ist oder verbunden mit einer Aufgabe der eigenen Qualitäten. Im Gegensatz zu dem damals eher gescheiterten Versuch bemühen sich U2 gar nicht erst, den Anschluss an den Zeitgeist und aktuelle Entwicklungen herzustellen.

Nein, U2 bleiben auf "No Line On The Horizon" unüberhörbar U2, aber schaffen es tatsächlich, nicht in jedes ihrer eigenen Fettnäpfchen zu stapfen. Der Trick heißt: Selbstbeschränkung und Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten. Statt bequem auf dem eigenen Status als weltweit größtmöglicher Rockband herumzureiten, lehnen sie sich zurück, vertrauen auf den schlichteren Ton und das simplere Gefühl.

Den missionarischen Eifer ihres Frontmannes, der früher bleischwer sogar aus dem Sound zu tropfen schien, findet man dieser Tage erst am Ende des CD-Booklets, wo die einschlägigen Spendenadressen verzeichnet sind. Allerdings: Mit manchen dieser Songs dürfte es unmöglich sein, ein Stadionrockkonzert in einen Gottesdienst zu verwandeln.

Sonderbarerweise kam diese Mutation ohne einen neuen Einfluss am Mischpult zustande. Zwischenzeitlich war dem Vernehmen nach Rick Rubin, der bekanntermaßen zuletzt sogar Neil Diamond und Metallica vor sich selber zu retten imstande war, als Produzent im Gespräch.

Daraus wurde aber nichts, stattdessen griffen U2 wieder auf die altvertraute Combo aus Steve Lillywhite, Brian Eno und Daniel Lanois zurück. Sollte man aber spekulieren, dann scheint von den dreien vor allem Lanois mehr Gewicht als früher bekommen zu haben, dessen Produktionen fremder wie seiner eigenen Platten sich meist durch ein sehr warmes, fast schon heimeliges Sounddesign auszeichnen.

Aber wer auch immer verantwortlich ist: Man sollte einfach dankbar sein, dass sich unsere allerliebste Monsterrockband aus freien Stücken wieder auf ein menschliches Maß hat zurückstutzen lassen. Und um das zu feiern vielleicht ja am nächsten Bankautomaten eine Kerze entzünden.

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