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Nobelpreis für László KrasznahorkaiHinaus in die Welt

Dirk Knipphals

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Dirk Knipphals

Welcher Logik folgt die Jury der Schwedischen Akademie, den Literaturnobelpreis dem ungarischen Gegenwartsautor László Krasznahorkai zu verleihen?

Werke von László Krasznahorkai auf einem Präsentiertisch Foto: Narciso Contreras/AA/imago

D as Überraschendste am diesjährigen Literaturnobelpreis ist im Grunde, dass es dieses Jahr gar keine große Überraschung gibt. László Krasznahorkai gehört seit einigen Jahren zum engeren Kreis der Kandidat*innen. Anders als in den Jahren davor hat sich die Schwedische Akademie also diesmal für einen der Favoriten entschieden. Diese Entscheidung ist zum einen literarisch einleuchtend. Zum anderen ist es sowieso ein hübscher Erfolg der Jury in Stockholm, dass man ihr inzwischen alles Mögliche zutraut. Nur nicht, sich an an sie herangetragenen Erwartungshaltungen zu orientieren.

Was leitet diese Jury an? Wenn man die Preis­trä­ge­r*in­nen der vergangenen fünf Jahre überblickt, kann man auf die Idee kommen, dass es drei ganz unterschiedliche Motive gibt, die zu drei unterschiedlichen Bepreisungsszenarien führen. Die Entscheidung für Abdulrazak Gurnah (2021) wäre dann ein Entdeckungspreis. Ein Autor, eine Autorin, die bis dahin kaum jemand auf dem Schirm hatte, wird ins Zentrum gerückt. Die Entscheidungen für Annie Ernaux (2022) und Han Kang (2024) folgen einer anderen Logik. Hier wurden Autorinnen, die viel gelesen wurden, nun auch von der Zentrale des literarischen Feldes mit symbolischem Kapital ausgezeichnet. Die Richtung geht hier also zur Sanktionierung von ästhetischen und auch thematischen Bewegungen bei den Lesenden.

Die Preise für Jon Fosse (2023) und jetzt László Krasznahorkai folgen in dieser Sicht der entgegengesetzten Logik. Das sind Autoren, die im inneren Bereich des Literaturbetriebs – oder soll man traditionellen Bereich sagen? – einen festen Platz innehaben und mit dem Preis nun auch darüber hinaus zur Wirkung empfohlen werden. Was, wenn nicht alles täuscht, bei Jon Fosse nicht wirklich funktioniert hat – bei Krasznahorkai aber funktionieren könnte. Zu wünschen wäre es.

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Dirk Knipphals
Ressortleiter Kultur
Dirk Knipphals, Jahrgang 1963, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Kiel und Hamburg. Seit 1991 Arbeit als Journalist, von 1994 bis 1996 bei der taz.hamburg, seit 1999 in Berlin.
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