Nominierung für den Supreme Court: Die leise Revolution

Amy Coney Barrett ist kein Einzelfall: In den knapp vier Jahren seiner Amtszeit hat Trump die US-Rechtsprechung nachhaltig umgeformt.

Protestbanner "Protecting Life in Law" vor dem Supreme Court

Proteste vor dem obersten Gerichtshof gegen die Nominierung von Amy Coney Barrett Foto: reuters/James Lawler Duggan

Ja, die Nominierung von Amy Coney Barrett für den Supreme Court ist verstörend. Donald Trumps Vorschlag zielt auf eine konservative Radikalisierung des obersten Gerichtshofs der USA. Mit ihren christlich-fundamentalistischen Ansichten lässt Barrett um so schmerzhafter spüren, welche Lücke der Tod der feministischen Ikone Ruth Bader-Ginsburg gerissen hat. Doch die Nominierung von Barrett ist nur ein kleines, wenn auch prominentes Stück in einem großen Puzzle.

Wenn Barrett sagt, für sie wiege der Wortlaut der US-Verfassung (aus dem Jahr 1787 und im Geist desselben) mehr als Entscheidungen, die der Supreme Court seitdem gefällt hat, könnte das im Zweifel die Aufhebung wegweisender Urteile bedeuten. Die Aufhebung der Rassentrennung von 1954 gehört aller Vernunft nach nicht dazu. Aber die Verfassungsmäßigkeit von Abtreibung, festgeschrieben in der legendären Entscheidung Roe vs. Wade von 1973, dürfte mit einer Verfassungsrichterin Barrett zur Disposition stehen.

Auch die gleichgeschlechtliche Ehe, Urteile gegen die Diskriminierung nach Geschlecht oder Hautfarbe werden für Barrett nicht sakrosankt sein, jedenfalls nicht, wenn man sie an ihren bisherigen Aussagen misst. Ganz zu schweigen von Obama-Care, der ersten allgemeinen Krankenversicherung für alle Amerikanerinnen und Amerikaner.

Amy Coney Barrett ist bereits die dritte Nominierung Trumps für den obersten Gerichtshof, ihr Name ist inzwischen weltweit bekannt. Doch wem sind Roderick Young oder Cory Wilson ein Begriff? Young ist der 161. von Trump ernannte Bundesrichter an einem Bundesbezirksgericht. Wilson ist Nummer 53 auf der Liste der Richter an einem der 13 Bundesberufungsgerichte. Dazu kommen noch zwei Richter am Bundesgericht für internationalen Handel. Mehr als 30 weitere Juristen-Bestätigungen von Trump stehen noch im US-Senat an. Und noch hat der republikanisch dominierte Senat die Zeit, weitere Richter zu bestätigen, unter ihnen Amy Coney Barrett.

Jenseits seiner Twitter-Wütereien, jenseits seiner Lügen und jenseits der subtilen Drohung, das Weiße Haus nicht freiwillig zu verlassen, hat Trump die Rechtsprechung in den USA in den knapp vier Jahren seiner Amtszeit ruhig, radikal und nachhaltig umgeformt. Am 1. Februar 2017, als eine seiner ersten Amtshandlungen, nominierte Trump Neil Gorsuch als Nachfolger des gestorbenen Richters am Supreme Court Antonin Scalia; später folgte Brett Kavanaugh.

Von den etwa 800 Bundesrichterstellen im ganzen Land sind inzwischen 218 von Trump ernannt. Zumeist sind es wie Amy Barrett oft junge, dynamisch-reaktionäre Bundesrichter. Sie sprechen Recht auf Lebenszeit – weit über Trumps Amtszeit hinaus. Das ist die eigentliche Tragik der konservativen Revolution der US-amerikanischen Rechtspolitik.

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taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

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