Norwegen verabschiedet sich von EM: Gescheiterte Heldin
Norwegen verliert im Viertelfinale gegen Italien und wieder einmal dreht sich alles um die Kapitänin Ada Hegerberg. Sie wird zur tragischen Figur.

Es war am Ende eine Tragödie beinahe griechischen Ausmaßes, die sich da um Norwegens Kapitänin Ada Hegerberg entspann. Die Überfigur des norwegischen Fußballs, die fast alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, wie keine andere polarisiert und von norwegischen Medien zuletzt scharf als sportliche und vielleicht auch als sonstige Last fürs Team kritisiert wurde, war in Genf nahe dran an der Heldinnenrolle. Tragisch verschoss sie gegen Italien schon den zweiten Elfmeter im Turnier, um es dann scheinbar allen Kritiker:innen zu zeigen und sechs Minuten später klinisch präzise zum Ausgleich zu treffen.
Es hätte die Geschichte des Abends sein können. Und doch hieß die Heldin am Ende Cristiana Girelli. Auch eine Veteranin, die Italien in der 90. Minute zum 2:1-Halbfinaltraum köpfte. Girelli war Teil eines Teams, das sein Herz gemeinsam auf dem Rasen ließ. Norwegen hingegen wirkt manchmal eher wie Hegerberg & Band. Und so wird man nach dem seltsam passiven Ausscheiden im Viertelfinale weiter erbittert über Ada Hegerberg diskutieren. Und übers Scheitern.
Denn es ist ja eine seltsame Geschichte. Eigentlich stellt Norwegen eine Elf, die mindestens in ein Halbfinale gehört. Namen wie Caroline Graham Hansen, Guro Reiten, Frida Maanum, Ingrid Syrstad Engen und eben Hegerberg spielen bei der Crème de la Crème europäischer Klubs, sind hochdekoriert mit Titeln, exzellente Einzelkönnerinnen.
Auch rücken da vielversprechende Großtalente nach, allen voran die erst 20-jährige Sensation Signe Gaupset. Eigentlich müsste das Team mit diesen Kräften einen berauschenden Fußball spielen. Stattdessen scheitert es seit Jahren, und das mit oft völlig uninspirierten Auftritten: Bei der WM 2023 im Achtelfinale, bei den letzten beiden EM-Turnieren blamabel schon in der Gruppenphase, darunter mit einem denkwürdigen 0:8 gegen England. Auch diesmal hat mutmaßlich nur das Losglück in Form der mit Abstand schwächsten EM-Gruppe ein noch früheres Aus verhindert, denn überzeugt hat Norwegen im Turnier selten. Ob das wirklich nur sportliche Gründe hat?
Sehr dominant im Team
Zerstritten sollen sie sein, die Norwegerinnen. Immer wieder rumort es rund um das Team. Auffällig etwa, dass Teamkolleginnen sich während Hegerbergs fünfjährigem feministischem Boykott für mehr Gleichberechtigung kaum solidarisch äußerten. Die Stürmerin selbst ist eine extrem selbstbewusste, dominante Figur. Zu dominant für ein gesundes Gleichgewicht im Team? Solche Fragen sind längst keine Blasphemie mehr. Auch sonst fehlt im Zusammenspiel oft die Chemie. So haben es verschiedene Trainerinnen nie geschafft, die Stars in eine überzeugende Taktik zusammenzufügen. In der ersten Hälfte gegen Italien trat Norwegen rätselhaft passiv auf, war körperlich kaum präsent. In der Defensive klafften große Löcher, vor allem die rechte Abwehrseite wurde regelrecht zerlegt.
Unklar auch, ob Konter gegen einen Underdog wirklich der Matchplan waren. Erst im zweiten Teil zeigte das Team von Emma Grainger mit nun verbessertem Pressing und gefälligen Kombinationen, was es leisten kann. Und doch war Italien meist wacher, engagierter, aber auch überlegen in der Raumaufteilung. Der Sieg ging in Ordnung. Zeit für unbequeme Fragen im Pionierinnenland Norwegen.
Zu erkennen sind dabei gewisse Dissonanzen. Tief enttäuschte Gesichter in der Mixed Zone, die sich zugleich branchenüblich in Optimismus üben mussten. „Wir haben gezeigt, dass wir wettbewerbsfähig sind“, befand etwa die eingewechselte Elisabeth Terland. „Wir haben viele junge Spielerinnen und eine aufregende Zukunft vor uns. Ich bin wirklich aufgeregt, wir können Tolles leisten.“ Aufgeregt klang sie dabei ganz und gar nicht.
Routinier Maren Mjelde erklärte nachvollziehbar, es sei schwer, so kurz nach dem Spiel alles einzuordnen. „Wir müssen einfach wirklich zusammenhalten und vorwärts gehen. Das ist das Wichtigste.“ Graham Hansen, Reiten und Hegerberg sind alle 30 Jahre alt, Mjelde selbst 35; ein Umbruch ist absehbar, vielleicht mit Chance auf Neuanfang. Und die Aufregung in der norwegischen Presse um Hegerberg, hat sie das Team negativ beeinflusst? „Ich lese oder höre nicht wirklich irgendwas“, erwiderte Mjelde freundlich. „Fragen Sie mich nicht danach, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“ Das wiederum mochte man dann doch nicht so recht glauben.
Fairplay fürs freie Netz
Auf taz.de finden Sie unabhängigen Journalismus – für Politik, Kultur, Gesellschaft und eben auch für den Sport. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Inhalte auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich leisten kann, darf gerne einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Boomer-Soli“
Gib die Renten-Kohle her, Boomer!
Nina Warken zu Cannabis
Kampfansage gegen das Kiffen
Verurteilung zweier Tierschützer
Don’t shoot the messenger
Gezerre um Verfassungsrichter*in-Posten
Ein Rückzug wäre das falsche Signal
Religiöse Fußballspielerinnen
God first
Was Frauen beim Sex stört
Wie kommen wir zusammen?