„Nutznießer“ das Bamf-Skandals: Zu schnell vergessen

Die Jesiden, die in Bremen angeblich unrechtmäßig als Flüchtlinge anerkannt wurden, flohen vor einem Völkermord. Wir haben zwei Familien besucht.

Leben in Osterholz-Scharmbeck: Dies ist die Familie von Abbas Micho (selbst nicht im Bild) aus Sindschar. Sie hatten Glück, sie wurden als Flüchtlinge anerkannt. Foto: Michael Bahlo

Die Kleine ist bester Dinge. Sie lacht sich kaputt über die Brille des abendlichen Besuchers und vollführt ein wackliges Tänzchen. Die Schneidezähne unten sind schon durch, wie alt sie wohl ist? Zehn Monate? Wow, läuft sie schon gut!

Vater Adel Dana sitzt rechts im Sessel, die Mutter ihm Gegenüber, sie heißt Nidal Mustafa Isa, die kurdischen Namenskonventionen sind halt andere als bei uns, und dann sind nach und nach auch die beiden großen Töchter dazugestoßen und auch die zwei Jungs in dem schmalen Wohnraum im Schnellbau im Gewerbegebiet. Links oben an der Wand hängt eine Pfauenfeder neben einem schön gefärbten Tuch. Die Mitte des Raums beherrscht das niedrige Tischchen. Keine drei Meter ist der Raum breit, vielleicht fünf lang: Das hier ist ein winziges Zuhause für sieben Menschen, Containerbauweise, Rudimentärküche, Wasseranschluss. Die Wand ist so dünn, dass alle hören, wie beim Nachbarn geduscht wird. Das Teewasser kocht. Mizgin Ciftci hat sich leicht verspätet, der wird dolmetschen, Kommunalpolitiker in Osterholz, Linkspartei, und selbst auch Jeside, super engagiert: „Ich kann nicht verstehen, warum diese Familien hier so viel weniger Rechte haben als ich – bloß weil ich hier in Deutschland geboren bin“, wird er später sagen.

Jetzt warten wir leicht verlegen auf ihn, versuchen etwas Konversation: Die Kinder können zwar super Deutsch, die Älteste macht gerade Freiwilligendienst im örtlichen Altersheim und wird im Sommer dort die Ausbildung anfangen, ihr Bruder steht kurz vorm Mittleren Schulabschluss – aber übersetz mal so Worte wie Bamf ins Kurmandschi, oder besser noch: Erklär das Konzept, das weiß doch kein Teenie, was das ist, und wo der Unterschied zum Ausländeramt liegt und warum man das nicht mit dem Verwaltungsgericht verwechseln darf, das im Konfliktfall zuständig ist. Ehrlich gesagt: Das weiß wahrscheinlich noch nicht einmal jeder Erwachsene.

Deutschland aber taucht Geflüchtete erst einmal tief ein in seine ausgetüftelte Bürokratie, wie ein Sektenpriester seinen Katechumenen ins Taufbecken. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich diesem Ritual zu unterziehen. Bei der Familie von Adel Dana und Nidal Mustafa Isa, die aus dem Dorf Khanik oder Xanik im kurdisch verwalteten Bezirk Dohuk stammt, ist das nicht gut ausgegangen. Abgelehnt. Mit besten Grüßen vom Bamf Oldenburg. Dabei kommen sie aus dem Irak. Und Anfang September 2014 hatte die Bamf-Leitung sich endlich, auf medialen Druck, dazu durchgerungen, die Jesiden als verfolgte Gruppe anzuerkennen. „Asylverfahren von syrischen und von irakischen Antragstellern jesidischen oder christlichen Glaubens“, hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière Ende 2015 dem Bundestag versichert, würden „prioritär in einem vereinfachten Verfahren bearbeitet“. Und das konnte eigentlich nur heißen: Klären, ob es wirklich Jesiden sind. Und anerkennen. So wie es im Bremer Bamf offenbar Praxis war. Und in Oldenburg nicht.

Groß sind die Ressentiments gegen die kurdischen Jesiden seit jeher. Die Muslime beschimpfen die Anhänger dieser kleinen, völlig außer dem abrahamitischen Kontext stehenden monotheistischen Religion als Ungläubige und Teufelsanbeter.

IS-Milizen verübten Völkermord

Saddam hat sie im Krieg als Kanonenfutter eingesetzt, aber im zivilen Leben eher in Ruhe gelassen. Seit dem Sturz seines vergleichsweise säkularen Regimes hatte sich ihre Lage stetig verschlechtert, in dem Maße, in dem der islamische Fundamentalismus wuchs. Al-Qaida-Kämpfer verübten 2007 ein Massaker, das, anders als alltägliche Mobs und lokale Pogrome, weltweit die Öffentlichkeit bewegte. Völlig haltlos wurde es, als die IS-Milizen große Teile des Landes eroberten: Sie verübten in den jesidischen Siedlungsgebieten im Nordwesten einen Völkermord, das haben die Vereinten Nationen 2016 bestätigt. Und gerade die ungehemmte Gewalt gegen die verhasste Minderheit schien die Beteiligung an den Terrortruppen für die Durchschnittsbevölkerung attraktiv zu machen. Als die ersten ihrer muslimischen Nachbarn zu den Terrortruppen überlaufen, entschließt sich die Familie zur Flucht. „Die IS-Kämpfer waren von unserem Dorf vielleicht 30 Kilometer entfernt“, erzählt Nidal Mustafa Isa, übersetzt von Mizgin Ciftci, der inzwischen eingetroffen ist, und auch erläutert: „Das ist so wie von hier nach Bremen“, sagt er. „Würden Sie da einfach ruhig zu Hause bleiben?“

Ciftci hat Abbas Micho mitgebracht, einen älteren Herrn, Vater von acht Kindern, aber der älteste geht jetzt eigener Wege. Abbas Micho war Bauer in Sindschar. Das ist das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden, dort befindet sich ihr wichtigstes Heiligtum. Spontan hat er zugesagt, auch seine Geschichte zu erzählen. Bei ihm lief die Anerkennung glatt, es lässt sich nicht ohne Weiteres ermitteln, ob er den Antrag in Bochum gestellt hat, wo die Dortmunder Bamf-Außenstelle angesiedelt ist, der besseren Orientierung halber, oder erst in Bramsche, von wo er nach Schwanewede geschickt wurde, in das Riesencamp mit 1.000 Bewohner*innen in der alten Kaserne, direkt an der Stadtgrenze von Bremen, keine sieben Kilometer vom Bremer Bamf-Ankunftszentrum entfernt.

Mobile Außeneinheit im Lager

Im Lager nahm seinerzeit eine mobile Außeneinheit die Asylanträge auf. Zuständig sein sollte für die dann aber die Dependance Oldenburg, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in etwas über zweieinhalb Stunden zu erreichen ist. Dabei hätten laut Bamf-internen Anweisungen, die der taz vorliegen, seit 2014 die Ladungen an die Außenstelle erfolgen sollen, „die zu dem Wohnort der Antragsteller/in günstig gelegen ist“ – und zwar über Bundesländergrenzen hinweg.

Mit einem jener quietschenden Freudenjauchzer, die auszustoßen nur vergnügte Kleinkinder fähig sind, kloppt die Kleine ihrem großen Bruder auf den Rücken. Abbas Micha schaut auf, und es ist, als fällt ihm etwas ein. Und mit ruhiger Stimme, nur von sparsamen Gesten unterstrichen, mit zwei Fingern der rechten Hand, klopft er immer wieder auf den Handballen der linken, berichtet er etwas, das Ciftci aus der Fassung bringt. „Er erzählt“, sagt Ciftci, „dass er mitangesehen hat, wie einer Frau ihr Kind weggenommen wurde, nicht größer als …“, und er schaut zur Kleinen rüber. Aber man kenne ja die Bilder, die seien ja um die Welt gegangen, und vielleicht müsse man dieses Grauen nicht alles wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie dann getötet worden sei und gekocht und der Mutter wieder vor die Füße geworfen, aber vielleicht ist es auch das, was wir zu schnell vergessen haben. „Viele sind schwer traumatisiert“, sagt er. „Da muss noch viel geschehen.“

Freiwillige Rückkehr in den Irak

Eine Abschiebung in den Irak ist kein wahrscheinliches Szenario. Klar, aus Bayern wird darauf gedrängt, und ja, im Herbst 2017 ist erstmals seit zehn Jahren von München aus ein Mann nach Bagdad zwangsweise ausgeflogen worden. Aber der Fall war speziell. Und mindestens bezogen auf Jesiden wirkt der Wunsch von Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) völlig weltfremd, die Geflüchteten mögen doch bittschön freiwillig zurückkehren, jetzt, wo der IS besiegt ist. Denn von einer Aufarbeitung des Terrors ist man noch weit entfernt: „Es gibt dort so gut wie keine psychologische Betreuung“, erläutert Zemfira Dlovani – und wenn, dann durch Muslim*innen, und da Vertrauen aufzubauen, das fiele jenen Frauen schwer, die von der Terrortruppe im Namen Allahs und aufgrund ihrer Religion gefangen gehalten und missbraucht wurden.

Dlovani ist eine der stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Jesiden in Deutschland. Im zivilen Leben ist sie Rechtsanwältin mit Kanzlei in Koblenz. Sie hat kürzlich erst den Nordirak bereist. „Viele, die beim IS waren, sind dann ganz einfach wieder zurückgekommen“, weiß sie.

Direkt neben Menschen zu wohnen, die einen zwei Jahre zuvor noch liebend gern im Namen des Islam gefoltert und getötet und versklavt und vergewaltigt hätten, nein, das klingt nicht nach gutem Leben. Die Region von Sindschar ist komplett verwüstet, „da gibt es auch keine Mittel für Wiederaufbau“, so Dlovani. Und in der kurdischen Region von Dohuk – da kommen die Menschen in eins der vielen Riesenlager für Displaced Persons, Plastik-Leichtmetallzelte als Unterkunft, sengend heiß, Stacheldraht. Keine Schule. Keine Jobs. „Da ist alles umzäunt“, erklärt Dlovani „angeblich zum Schutz der Bewohner.“ Wer drei Tage weg sei, dem würde sogar noch die dürftige staatliche Unterstützung gestrichen. „Das ist wie im Gefängnis dort.“

Die meisten haben Schutz bekommen

Das Image der Jesiden sieht sie durch die Bremer Bamf-Affäre nicht beschädigt, „davon merken wir nichts“. Im Grunde seien die Jesiden auch gar nicht die richtigen Ansprechpartner, „die meisten haben Schutz bekommen“, sagt sie. Und auch in den Gemeinden gebe es keine allzu große Unruhe wegen der neuerlichen Überprüfung der Akten. „Die Jesiden, die damals einen Bescheid bekommen haben, haben den zurecht bekommen“, egal ob in Bremen oder anderswo. Eher könne es sein, dass Leute, die sich für Jesiden ausgegeben haben, ohne es zu sein, aussortiert würden.

„Es ist sicher, dass die Jesiden, die anerkannt wurden, bleiben dürfen“, referiert Ciftci das, was Abbas Micha gerade erklärt hat, der jetzt mit einem kleinen Löffel den Zucker im Tee verrührt. Nidal Mustafa Isa hat eine große Schale auf den Tisch gestellt, die von frischem Obst geradezu überbordet. Im Ramadan reagieren die frommen Nachbarn oft besonders gereizt auf die Jesiden, die ja nicht fasten, „die werden immer wieder verprügelt“, sagt Adel Dana.

Nein, sie wollen nicht zurückkehren, in ein Land, wo ihre Kinder keine weiterführende Schule besuchen dürfen, wo sie kein Arbeit bekommen und wo ihre Produkte, wenn sie selbstständig etwas aufbauen, als unrein verschmäht werden, sagt Nidal Mustafa Isa. Hier dagegen gebe es eine Zukunft, sagt sie. „Uns bleibt nur übrig zu hoffen.“

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