OB-Wahlen in Kiel: Aus dem Arbeiterviertel ins Rathaus
Ein Arbeiterkind mit türkischen Wurzeln aus dem Brennpunktviertel: Der Grüne Samet Yilmaz gewinnt die Oberbürgermeisterwahl in Kiel.
„Wer Gaarden kann, kann auch Oberbürgermeister“, mit diesem Satz war Samet Yilmaz im parteiinternen Wettbewerb um die Kandidatur angetreten. Die Grünen hatten früh beschlossen, den Chefsessel im Rathaus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt für sich zu beanspruchen. Die Partei stellt seit den Kommunalwahlen 2023 die größte Fraktion in der Ratsversammlung und holte den Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2025 direkt.
Zudem trat der bisherige Amtsinhaber Ulf Kämpfer (SPD) nicht mehr an. Aber vor allem sei „eine Bürgermeisterwahl eine Persönlichkeitswahl“, sagte Yilmaz, der im Kieler Problemviertel Gaarden aufgewachsen ist, nach seiner Nominierung der taz. Er wolle, sagte er, mit seiner Person und seinem „speziellen Werdegang“ überzeugen. Das hat er offenbar geschafft, nach Auszählung aller Wahlkreise entfielen 54,1 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Yilmaz.
Samet Yilmaz über seine Eltern
Seine Eltern waren aus der Türkei nach Kiel gekommen. „Sie hatten viel Zutrauen zu ihren Kindern, aber bei den Hausaufgaben konnten sie wenig helfen“, sagt Yilmaz. 1996 machte er seinen Hauptschulabschluss. Nach einer Lehre als Chemielaborant legte er das Abitur ab und begann ein Studium an der Kieler Universität, das ihn in Auslandssemestern und Praktika nach Palästina, Jerusalem und in den Jemen führte.
Den „Arabischen Frühling“ erlebte er so in Ägypten und Syrien. 2009 trat der mittlerweile promovierte Politik- und Islamwissenschaftler eine Stelle beim Bremer Innensenat an, seit 2011 war er beim Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein tätig.
Seine Position als Referatsleiter beim Landes-Verfassungsschutz verlor er jedoch im Sommer nach dem telefonischen Kontakt mit einem Mitglied eines Vereins aus der türkisch-nationalen Szene. Ein Verdacht gegen ihn persönlich habe aber nie vorgelegen, er sei ein „geschätzter Mitarbeiter“, betonte die damalige Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).
Mit Leidenschaft und hohen Schulden
Innerhalb der Grünen gehört Yilmaz dem Realo-Flügel an, Sicherheitsfragen und Ordnungspolitik sind seine Fachgebiete in der Kieler Ratsfraktion, in der er Co-Vorsitzender ist. Der verheiratete Vater von drei Kindern engagiert sich in zahlreichen Gruppen und Vereinen, vom Rotary Club über die Gewerkschaft der Polizei bis zum Nabu. Der „echte Kieler Jung“ nennt als Hobbys Fußball und Laufen, als seinen Lieblingsort bezeichnet er die Förde. Kiel habe ihm viel gegeben, er wolle mit seiner Kandidatur etwas zurückgeben, sagt er.
Im Wahlkampf hatte Yilmaz mit seinem Team den Kontakt zu den Kieler:innen gesucht, bei Vor-Ort-Terminen und im digitalen Raum. „Wir haben gezeigt, wie viel Begeisterung für diese Stadt und wie viel Potenzial sichtbar wird, wenn Politik Menschen dort begegnet, wo sie sind.“ Das Ergebnis sehe er als „Auftrag für ein offenes, mutiges und modernes Kiel. Diesen Auftrag nehme ich gern an.“
Als Oberbürgermeister der verschuldeten Hauptstadt hat er allerdings schwierige Aufgaben vor sich. Es gilt, Wohnraum zu schaffen und die Mobilitätswende zu stemmen – Yilmaz setzt sich für den beschlossenen Neubau einer Stadtbahn ein, der zuletzt von Teilen der Ratsversammlung infrage gestellt wurde.
Strittig ist auch, was mit einem ehemaligen Militärgelände wird, das die Stadt vor Jahren kaufte und das die Bundeswehr nun zurückverlangt. Ab April 2026 wird Samet Yilmaz als Oberbürgermeister über diese Fragen verhandeln müssen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert