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OB-Wahlen in KielAus dem Arbeiterviertel ins Rathaus

Ein Arbeiterkind mit türkischen Wurzeln aus dem Brennpunktviertel: Der Grüne Samet Yilmaz gewinnt die Oberbürgermeisterwahl in Kiel.

Samet Yilmaz von Bündnis 90/Die Grünen hat die Wahl zum Oberbürgermeister von Kiel gewonnen Foto: Marcus Brandt/dpa
Esther Geisslinger

Aus Rendsburg

Esther Geisslinger

„Wer Gaarden kann, kann auch Oberbürgermeister“, mit diesem Satz war Samet Yilmaz im parteiinternen Wettbewerb um die Kandidatur angetreten. Die Grünen hatten früh beschlossen, den Chefsessel im Rathaus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt für sich zu beanspruchen. Die Partei stellt seit den Kommunalwahlen 2023 die größte Fraktion in der Ratsversammlung und holte den Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2025 direkt.

Zudem trat der bisherige Amtsinhaber Ulf Kämpfer (SPD) nicht mehr an. Aber vor allem sei „eine Bürgermeisterwahl eine Persönlichkeitswahl“, sagte Yilmaz, der im Kieler Problemviertel Gaarden aufgewachsen ist, nach seiner Nominierung der taz. Er wolle, sagte er, mit seiner Person und seinem „speziellen Werdegang“ überzeugen. Das hat er offenbar geschafft, nach Auszählung aller Wahlkreise entfielen 54,1 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Yilmaz.

Sie hatten viel Zutrauen zu ihren Kindern, aber bei den Hausaufgaben konnten sie wenig helfen

Samet Yilmaz über seine Eltern

Seine Eltern waren aus der Türkei nach Kiel gekommen. „Sie hatten viel Zutrauen zu ihren Kindern, aber bei den Hausaufgaben konnten sie wenig helfen“, sagt Yilmaz. 1996 machte er seinen Hauptschulabschluss. Nach einer Lehre als Chemielaborant legte er das Abitur ab und begann ein Studium an der Kieler Universität, das ihn in Auslandssemestern und Praktika nach Palästina, Jerusalem und in den Jemen führte.

Den „Arabischen Frühling“ erlebte er so in Ägypten und Syrien. 2009 trat der mittlerweile promovierte Politik- und Islamwissenschaftler eine Stelle beim Bremer Innensenat an, seit 2011 war er beim Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein tätig.

Seine Position als Referatsleiter beim Landes-Verfassungsschutz verlor er jedoch im Sommer nach dem telefonischen Kontakt mit einem Mitglied eines Vereins aus der türkisch-nationalen Szene. Ein Verdacht gegen ihn persönlich habe aber nie vorgelegen, er sei ein „geschätzter Mitarbeiter“, betonte die damalige Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).

Mit Leidenschaft und hohen Schulden

Innerhalb der Grünen gehört Yilmaz dem Realo-Flügel an, Sicherheitsfragen und Ordnungspolitik sind seine Fachgebiete in der Kieler Ratsfraktion, in der er Co-Vorsitzender ist. Der verheiratete Vater von drei Kindern engagiert sich in zahlreichen Gruppen und Vereinen, vom Rotary Club über die Gewerkschaft der Polizei bis zum Nabu. Der „echte Kieler Jung“ nennt als Hobbys Fußball und Laufen, als seinen Lieblingsort bezeichnet er die Förde. Kiel habe ihm viel gegeben, er wolle mit seiner Kandidatur etwas zurückgeben, sagt er.

Im Wahlkampf hatte Yilmaz mit seinem Team den Kontakt zu den Kie­le­r:in­nen gesucht, bei Vor-Ort-Terminen und im digitalen Raum. „Wir haben gezeigt, wie viel Begeisterung für diese Stadt und wie viel Potenzial sichtbar wird, wenn Politik Menschen dort begegnet, wo sie sind.“ Das Ergebnis sehe er als „Auftrag für ein offenes, mutiges und modernes Kiel. Diesen Auftrag nehme ich gern an.“

Als Oberbürgermeister der verschuldeten Hauptstadt hat er allerdings schwierige Aufgaben vor sich. Es gilt, Wohnraum zu schaffen und die Mobilitätswende zu stemmen – Yilmaz setzt sich für den beschlossenen Neubau einer Stadtbahn ein, der zuletzt von Teilen der Ratsversammlung infrage gestellt wurde.

Strittig ist auch, was mit einem ehemaligen Militärgelände wird, das die Stadt vor Jahren kaufte und das die Bundeswehr nun zurückverlangt. Ab April 2026 wird Samet Yilmaz als Oberbürgermeister über diese Fragen verhandeln müssen.

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1 Kommentar

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  • Wenn Yilmaz nicht vom Innlandsgeheimdienst kommen würde, wäre ich über seine Wahl sehr erfreut.



    Aber es ist für mich ein No-Go aus dem Geheimdienst in die Politik zu gehen. Leute die das gemacht haben: George Bush, Vladimir Putin, Hans-Georg Maaßen, Juri Wladimirowitsch Andropow - das sind alles Menschen, die auch schlau waren, aber m.M. besser nicht in die Politik gewechselt werden. Außerdem ist Yilmaz jetzt der Ice-Breaker, mehr Leute aus den Geheimdiensten werden jetzt aktivere Rollen in der Politik suchen. Die Zeiten, wo BND-Mitarbeiter keine Stammkneipe und kein Liebingsrestaurant haben durften, sind vorbei. Aber jetzt geht es direkt in die Öffentlichkeit, es wird heiß gestritten und diskutiert, Geheimdienster zu anfassen, die man auch noch persönlich kennen lernen kann und soll.



    Und wenn er nicht mehr Oberbürgermeister ist, dann geht er zurück und leitet das Observationsteam des Landesamts ...



    Oder schreibt den Jahresbericht, immerhin die Journalisten kennt er dann ja schon. Und wenn mal einer oder mehrere auffliegen, dann können sie ja in die Kommunalpolitik wechseln ... Alles halb so wild, so viele politisch-gefährliche Leute gibt es in SH ja nicht.