Obdachlosigkeit in Frankreich: Das Kreuz und die Clochards

Die französische Wohnungsbauministerin fordert die katholische Kirche auf, sich nützlich machen. Etwa mit Immobilien für Obdachlose.

Ein Kloster als Wohnung? – Ein Obdachloser füttert in Paris die Tauben Bild: dapd

Da ist Frankreichs Wohnungsministerin Cécile Duflot aber in ein schönes Wespennest getreten. In einem Brief hat sie den Erzbischof von Paris unverblümt aufgefordert, leerstehende Immobilien seiner Kirche für die Unterbringung von Obdachlosen zur Verfügung zu stellen. Und hat gleich noch mit einer Beschlagnahme gedroht, sollte der Erzbischof nicht spuren.

Eine solche Requisition leerstehender Wohnungen hatte sie bereits Banken und Versicherungen angedroht, wie dies das Gesetz im Notfall auch tatsächlich vorsieht. Dass sich der Staat in einem solch fast ultimativen Ton an den Klerus wendet, ist in Frankreich wegen einer langen Geschichte von Kultur- und Glaubenskriegen eine Provokation. Seit 1905 sind dort Staat und Kirche getrennt und bemühen sich, einander nicht auf die Füße zu treten.

Für viele Katholiken war die Initiative von Duflot ein Affront, da sie offenbar die Christen lehren will, was praktische Nächstenliebe zu bedeuten hat. Mit entsprechendem Klamauk ist die ehemalige Parteichefin der Grünen in der Nationalversammlung bei der Fragestunde von konservativen Abgeordneten „begrüßt“ worden.

Lange Wartelisten für Sozialwohnungen

Inzwischen haben selbstverständlich diverse katholische Hilfswerke und kirchliche Vereinigungen der Ministerin gesagt, dass sie nicht erst auf eine solche Einladung gewartet hätten, um konkrete Aktionen zugunsten der Clochards und der anderen immer zahlreicheren Obdachlosen in der Hauptstadtregion zu organisieren. Sie spielten den Ball an den Staat zurück, der ja selber in Sachen Notunterkünfte auch nicht seine Hände in Unschuld waschen könne.

Derzeit stehen in Frankreich auf den Wartelisten für die Zuteilung einer Sozialwohnung 1,2 Millionen Namen. Die Zahl der Obdachlosen wird landesweit auf 800.000, im Stadtgebiet von Paris auf 100.000 geschätzt, wo rund 10.000 auf der Straße leben. Etwa gleich hoch soll die Zahl der in der Hauptstadt leerstehenden Wohnungen sein.

Hübsche Klöster mit betagten Nonnen

Tatsächlich verfügen zahlreiche Klöster mitten in der Hauptstadt in den besten Quartieren über mehrstöckige geräumige Gebäude, oft mit hübschen Gärten im Hof, die lediglich von einer Handvoll meist betagter Nonnen bewohnt sind und manchmal ganz leerstehen. Die Klöster rechtfertigen sich damit, dass der Platz für durchreisende Glaubensbrüder oder -schwestern reserviert sei.

Detaillierte Angaben samt Adresse lieferte dazu vor einer Woche das Satireblatt Le Canard enchaîné. Aufgrund dieser Dokumente appellierte Duflot an das Mitgefühl der Kirche: „Ich hoffe sehr, dass ich mich nicht auf meine Macht berufen muss. Ich könnte es nicht verstehen, wenn die Kirche unsere Ziele der Solidarität nicht teilt.“

Charles Gazeaud, der Solidaritätsdelegierte der Pariser Diözese, fühlt sich persönlich angegriffen: „Wir haben nicht auf Duflot gewartet, um zu handeln. In mehreren Pfarreien sind für die Aufnahme von Obdachlosen Räume geöffnet.“ Wenn solche verfügbaren Immobilien existierten, hätte er als Erster deren Requisition verlangt. Vor allem wundert er sich über den aggressiven Ton der Ministerin. Der Erzbischof von Paris, Kardinal André Vingt-Trois, werde ihr in einem Antwortbrief erklären, dass den Bedürftigen „nicht Polemik, sondern ein gemeinsames Vorgehen“ helfe. Amen.

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