Oberbürgermeister-Wahl in Rostock: Der Polizist, der ins Rathaus will

Stasi, Lichtenhagen und Hansa: Die Biografie Michael Eberts ist eng mit Rostock verwoben. Jetzt will er Bürgermeister werden. Wer ist der Mann?

Portrait von Michael Ebert in Rostock

Michael Ebert ist Direktor der Landesbereitschaftspolizei – mindestens bis Sonntag Foto: Frank Hormann/nordlicht

ROSTOCK taz | Am Mittwoch vor der Oberbürgermeisterwahl veranstaltet der parteilose Kandidat Michael Ebert einen Infostand in einem Einkaufszentrum im Stadtteil Lütten Klein. Vor einem riesigen Edeka-Supermarkt verteilen seine Unterstützer Flyer. Viele ältere Menschen sind am Vormittag unterwegs. Ebert, der eine weiße Windjacke mit seinem Wahlkampflogo trägt, wird permanent von Passanten angesprochen. „Ich bin nie durchs Leben gegangen, um Oberbürgermeister dieser Stadt zu werden.“ Von Unternehmern sei er im Juli gefragt worden, ob er sich vorstellen könne, sich für das oberste Amt der Hansestadt zu bewerben – mit Unterstützung von CDU, FDP und den unabhängigen Bürgern für Rostock (UFR). Drei Tage habe er nicht schlafen können, bis er seiner Kandidatur zugestimmt habe. Um das Beste für Rostock zu erreichen, wie er sagt.

Die Biografie von Michael Ebert ist eng verwoben mit der Geschichte seiner Stadt. Wer das Einkaufszentrum in Lütten Klein verlässt und mit der Straßenbahn ein paar Stationen weiter nach Norden fährt, gelangt an einen Ort, der Ebert geprägt hat. Am Ende der Mecklenburger Allee in Lichtenhagen steht die Plattenbausiedlung mit dem Sonnenblumenhaus. Hier kam es vor dreißig Jahren zu rassistischen Ausschreitungen gegen geflüchtete Roma und Sinti und ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam. Michael Ebert ist damals 21 Jahre alt und als Truppenführer einer Ausbildungseinheit der Polizei im Einsatz, als ein Mob über Tage in Lichtenhagen wütet.

„Nie wieder Ausschreitungen wie in Lichtenhagen“

In einer Dokumentation des NDR zeigt Ebert ein Foto von sich, das in den Tagen der Pogrome aufgenommen wurde. Darauf zu sehen ist ein junger Mann in Polizeiuniform, der sorglos in die Kamera lächelt. „Vielleicht mag das unbekümmert aussehen für einen 21-Jährigen in der Situation. Von unten auf das Geschehen blickend, ist das ganz schwer, all die Dinge, die einen da bewegen, einzuordnen.“ Ebert sagt, die Polizei sei damals “vollkommen überfordert“ gewesen.

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Auch heute macht Ebert das Ereignis noch betroffen. „Im Rahmen der Flüchtlingssituation von 2015 war mir nichts wichtiger, als dass Ausschreitungen wie in Lichtenhagen nie wieder passieren.“ Das sei ihm als Polizeichef – zusammen mit der Zivilgesellschaft – gelungen.

Eberts Biografie ist mit einem weiteren Kapitel der Wendezeit verbunden. Wer auf den Oberbürgermeister-Wahlkampf in Rostock schaut, kann viel über die Befindlichkeit der Hansestadt lernen. Vielleicht auch über Ostdeutschland. Da ist die Geschichte eines Dänen, der das Rathaus verließ, um Landespolitik in Schleswig-Holstein zu machen. Die eines bürgerlichen Kandidaten, den seine Stasivergangenheit nicht loslässt. Und die Geschichte einer Linken, die trotz der Krise ihrer Partei gute Chancen hat, die nächste Bürgermeisterin von Rostock zu werden.

Als Claus Ruhe Madsen 2019 als erster Ausländer Bürgermeister einer deutschen Großstadt wurde, war die Begeisterung groß. Der Unternehmer, geboren in Kopenhagen, hatte Strahlkraft. Durch seine Person bekam die Stadt deutschlandweit mediale Aufmerksamkeit. Die Rostocker nannten den Dänen ihren „Außenminister“. Doch kurz nach Madsens Amtsantritt beginnt die Pandemie. Die Stadt kommt mit sehr niedrigen Fallzahlen durch die ersten Coronawellen. Madsen wird in Talkshows eingeladen, verkündet 2020, seine Stadt sei coronafrei. Der damalige Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, erwägt Madsen in sein Expertenteam aufzunehmen.

Als Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther Madsen im Frühjahr dieses Jahres anbietet, Wirtschaftsminister in seinem Kabinett zu werden, verlässt er das Rathaus. Und Rostock? Steht ohne Oberbürgermeister da. An dieser Stelle beginnt die politische Karriere von Michael Ebert. Der Mann, den die lokale Presse den „härtesten Polizisten des Landes“ nennt, tritt am Sonntag in der Stichwahl gegen Eva-Maria Kröger von der Linkspartei um das Amt des Oberbürgermeisters an.

Eine Entscheidung, mit der er immer wieder konfrontiert wird

Auf den ersten Blick könnte man Ebert für den perfekten bürgerlichen Kandidaten halten: parteilos, Polizist, und zumindest öffentlich selbstkritisch im Umgang mit der Vergangenheit – auch mit der seiner Stadt.

Ebert wird 1970 in Anklam in Vorpommern geboren. „Sandmeer, Waldmeer, gar nichts mehr“, habe man die Gegend damals genannt, so Ebert. Seine Mutter ist Konstrukteurin, sein Stiefvater Lehrer. Ein linkes Elternhaus. Was mit seinem „Erzeuger“ passiert ist, weiß Ebert damals nicht. Als Jugendlicher identifiziert er sich mit der DDR, glaubt an das System – und trifft eine Entscheidung, mit der er immer wieder im Wahlkampf konfrontiert wird.

Am Dienstagabend, fünf Tage vor der Stichwahl, veranstaltet die Ostsee-Zeitung ein Diskussionsforum mit Ebert und Kröger. Als die Zuschauer Fragen stellen dürfen, steht ein Mann auf und richtet sich an Ebert. „Was haben Sie am 4. Oktober 1989 in Dresden gemacht? Haben Sie dort studiert oder waren Sie beteiligt am Einsatz gegen die Flüchtlinge, die von Prag über Dresden in den Westen gekommen sind?“ Die Frage bezieht sich auf Eberts Vergangenheit bei der Staatssicherheit der DDR.

Nach dem Abitur, mit 18, geht Ebert an die Stasi-Offiziersschule „Artur Becker“ in Dresden, um eine Karriere im berüchtigten Wachregiment „Feliks Dzierzynki“ anzustreben. Im Oktober 1989 versuchen DDR-Bürger in Dresden auf die Züge aufzuspringen, die Prager Botschaftsflüchtlinge in den Westen bringen sollen. Volkspolizei und Stasi versuchen, das mit Gewalt zu unterbinden.

Es ist das erste Mal an diesem Abend, dass Ebert emotional angegriffen wirkt. Trotzdem bleibt seine Stimme ruhig, er bedankt sich für die Frage. Er wolle seine Antwort ein Stück weiter fassen. „Ich bin ein Kind meiner Zeit“, sagt Ebert. Dann erzählt er die Geschichte seines Vaters: „Was ich in frühen Jahren noch nicht wusste, ist, dass mein leiblicher Vater, zweifach inhaftiert, in die BRD abgeschoben wurde, für 30.000 D-Mark verkauft.“ Er sei als junger Mann instrumentalisiert worden. Bereits mit 15 habe die Stasi ihn selbst dann als Offiziersschüler angeworben. Und ja, er sei im Oktober '89 in Dresden auf der Straße im Einsatz gewesen. „Ich schäme mich dafür, dass ich damals auf der falschen Seite gestanden habe.“ Seine Geschichte habe ihn zu dem gemacht, was er heute sei: „ein felsenfester Demokrat.“ Applaus ertönt im Saal.

„Er war dabei“, ruft der Fragensteller. Ein älterer Herr, der vor ihm sitzt, sagt erbost: „Was soll diese dämliche Frage!“ Während Ebert auf die Frage antwortet, schaut Eva-Maria Kröger nachdenklich. Auch sie wird an diesem Abend mit der SED-Vergangenheit ihrer Partei konfrontiert.

„Ja, ich habe Druck auf den Verein ausgeübt'‘

Knapp eine Stunde vor der Forumsdebatte der Ostsee-Zeitung sitzt Kröger in ihrer Küche und zündet sich eine Zigarette an. Statt dem taubenblauen Blazer, den sie später für die Veranstaltung anziehen wird, trägt sie einen gemütlichen Pulli mit Zugbändern, die an Seemannstaue erinnern.

Kröger, zwölf Jahre jünger als Ebert, 1982 in Rostock geboren, gilt als Kandidatin der Plattenbauten. Ebert findet mehr Unterstützer in Einfamilienhaussiedlungen. Die Politikwissenschaftlerin sitzt nicht nur im Landtag als Abgeordnete, sondern auch in der Rostocker Bürgerschaft. Den ersten Wahlgang gewann Kröger mit 25 Prozent knapp vor Ebert – obwohl ihre Partei auf Bundesebene gerade vor der Spaltung steht.

Kröger und Ebert kennen sich seit rund zwanzig Jahren. Sie ist als Teilnehmerin auf Demos gegen Nazis, Ebert organisiert als Polizeichef die Sicherheit. Es ist ein respektvoller Umgang, den die beiden miteinander pflegen.

Abseits der Bühnen geht es rauer zu. Eberts Plakate werden beschmiert und angezündet. Zunächst hatte sein Team noch nachplakatiert. Irgendwann wurde das zu teuer. Also klebte man Sticker auf die beschädigten Plakate: „Sicherheit statt Vandalismus.“ Es ist kein Geheimnis, wer hinter den Angriffen auf Eberts Plakate steckt. Neben der linken Szene sind es die Anhänger von Hansa Rostock, die nicht gut auf den ehemaligen Polizeichef zu sprechen sind.

Der Zweitligaverein ist ein Herzstück der Rostocker Stadtgesellschaft, etwas, mit dem man sich identifizieren kann. „Mit Zerstörung von Wahlplakaten kann ich nichts anfangen“, sagt Kröger. Bei ihren Hausbesuchen habe sie aber auch „normale“ Hansa-Anhänger kennengelernt, für die Ebert nicht wählbar sei. Das liegt nicht nur an Eberts harter Linie gegen aktive Hansa-Ultras und gewaltbereite Fans. In seiner langjährigen Position als Rostocker Polizeichef habe Ebert mit der Verweigerung seiner Unterschrift unter der Spiellizenz gedroht, falls sein Sicherheitskonzept nicht durchgesetzt werde, heißt es aus der Fanszene.

„Ja, ich habe Druck auf den Verein ausgeübt'', rechtfertigt sich Ebert am Infostand im Einkaufszentrum. „Wenn Pyrotechnik und hasserfüllte Banner ins Stadion verbracht werden, dann sind die Sicherheitsstrukturen nicht tragfähig.“ Die Banner, von denen Ebert spricht, richten sich auch gegen ihn. Als „Stasi-Schwein“ wird er von der Südtribune beleidigt. Das mache etwas mit einem, sagt Michael Ebert. Aus dem Umfeld der Rostockanhänger heißt es, man wolle Ebert so persönlich treffen, da er ja sonst immer am längeren Hebel sitze.

Für die Stichwahl wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Ebert will nicht nur auf seine Vergangenheit reduziert werden. Seine Zeit bei der Stasi als junger Mann, seinen Einsatz in Lichtenhagen, sein Image als harter Cop. Falls er ins Rathaus einzieht, könnte er ein neues Kapitel aufschlagen.

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Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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