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ÖPNV in BeirutOhne Haltestellen und Fahrplan

Im Libanon hat der Staat einen öffentlichen Nahverkehr installiert. Bisher fuhren nur private Busse. Doch das System hat noch Tücken.

Passagiere steigen am 28. Mai 2025 in Beirut in einen privaten Transportbus Foto: Joseph Eid/afp

D er Busfahrer lächelt freundlich und reißt einen weißen Zettel aus einem Block, darauf in schwarz gedruckt dicke Pixel – ein QR-Code. Das Ticket. Und nun? Viele Fahrgäste wissen nicht, dass sie es entwerten müssen und wie das geht. Auf einem einzelnen Sitz hinter der Tür sitzt ein Fahrgast, der aushilft. Er hält den QR-Code in einem bestimmten Winkel vor den Scanner in einer blauen Box. Auf dem Bildschirm der Box wird ein grüner Haken gezeigt. Das Ticket ist entwertet.

Der Vorgang in einem Beiruter Bus fühlt sich an, als würde man in einer Zeitmaschine ins nächste Jahrhundert katapultiert. Beziehungsweise aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Denn im Libanon gab es bisher keinen staatlich organisierten öffentlichen Nahverkehr. In den 1990er Jahren, nach dem Bürgerkrieg, hatte der Staat zwar einige Buslinien gestartet, doch das Geschäft war nicht lukrativ genug für die Politiker, die eng mit der Wirtschaft verbandelt waren. Privatpersonen oder Familien sprangen ein. Bis heute betreiben sie alte Mitsubishi-Busse oder Minivans mit 14 Doppel- und Klappsitzen. Der Staat regulierte das System nur, indem er dafür eigene rote Kennzeichen ausgab.

Dieses Jahr gibt es endlich den politischen Willen, etwas zu ändern. Die Regierung, die seit Anfang des Jahres im Amt ist, hat sich zum Ziel gesetzt, die Korruption zu bekämpfen und die Rolle des Staates zu stärken. Dazu gehört auch ein öffentlicher Nahverkehr. Ein privates Logistikunternehmen, Ahdab Commuting and Trading Co, übernimmt den Betrieb.

Seit dem Sommer sind die marineblauen Busse oft auf den Beiruter Straßen und darüber hinauszusehen. Sie fahren auf elf Linien zwischen der Hauptstadt und Tripoli im Norden, Sour im Süden und gen Osten in die Bekaa-Ebene. Seit dem 1. Oktober gibt es sogar eine Handy-App, mit der die Busse live verfolgt werden können. Nur einen strikten Fahrplan gibt es noch nicht.

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Skepsis und Technikprobleme

Abgerissene Ledersitze, klappernde Auspuffe, aus denen schwarzer Rauch aufsteigt, laut ratternde und schwache Motoren. So fühlte sich das Busfahren im Libanon bisher an. Manche Leute sind deshalb noch etwas skeptisch: „Kann man diesen Bussen trauen, den Berg hochzufahren? Oder muss ich mein Testament vorher schreiben?“, kommentiert eine Frau mit Namen Eleanor unter der Ankündigung zu den neuen Bussen auf Facebook.

„Es ist gut, dass wir eine neue App haben“, sagt Chadi Faraj, Vorsitzender der Organisation Riders’ Rights, der taz. „Technologie alleine wird aber nicht mehr Leute zum Busfahren bewegen. Alte Leute zum Beispiel wissen nicht, wie sie ohne Bargeld bezahlen sollen.“ Außerdem gebe es einen „schlechten Wettbewerb“ mit dem alten System. „Sie haben die gleichen Linien aufgesetzt. Jetzt hat eine Route zwei Namen und das eine Unternehmen wird vom Staat subventioniert.“

Dass durch die Busse der Verkehr entschlackt werde und es weniger Stau gebe, sei so nicht ganz richtig, merkt ein Nutzer mit dem Namen Fouad an: „Im Moment halten die Busse an jeder Ecke, halten den Verkehr auf und sorgen für Stau.“

Linien ohne Haltestellen

Es brauche ordentliche Bushaltestellen. Denn diese fehlen bisher. Wer in den Bus möchte, stellt sich an oder manchmal auf die Straße und winkt dem Fahrer zu. Größere Kreuzungen werden so zu inoffiziellen Haltestellen, an denen Busse oder Minivans warten, bis genügend Menschen zusteigen – manchmal nur wenige, oftmals sehr viele Minuten.

Wie lange er wartet, bis er weiterfährt, liegt nämlich im Ermessen des Fahrers, und dieser nutzt oftmals die Wartezeit, um eine Zigarette zu rauchen. Denn während in den alten Bussen selbst die Fahrer die entsprechenden Verbotsschilder ignorieren, ist das in den neuen öffentlichen Bussen anders. Dort herrscht striktes Rauchverbot.

Ob im informellen oder im öffentlichen Bus, immerhin eins bleibt gleich: Wer aussteigen möchte, muss dem Fahrer von hinten laut etwas zurufen. Benzal hon, ich steige hier aus, oder: Fahr bitte hier rechts ran.

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Julia Neumann
Korrespondentin Libanon
Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.
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