Ökobewegung in Industrieländern: Dämmerung der Imperialisten

Es lässt sich nicht mal mehr ein ordentlicher Castor-Transport stoppen. Keine mehr da. Die Ökobewegung wird unwichtiger. Das ist gut.

Damals in Dannenberg. Bild: reuters

Nur wenige Menschen brechen in Tränen aus, wenn ein Windrad stillsteht. Auch als die EU im Frühjahr beschloss, schärfere Richtlinien für den CO2-Ausstoß von Neuwagen erst 2021 statt 2020 einzuführen, sind aus Brüssel keine Straßenschlachten zwischen Polizei und aufgebrachten Umweltschützern überliefert.

Das waren noch Zeiten! Als die Algen in der Adria blühten, die Robben in der Nordsee starben, die Fische im Rhein kopfüber schwammen und der Wald sterbend die Äste hängen ließ. Heute lässt sich nicht mal mehr ein ordentlicher Castor-Transport stoppen. Gibt keine mehr.

Das alles wünscht sich niemand zurück. Aber den Umweltbewegungen in Deutschland und Europa gehen die einfachen Geschichten vor Ort aus, die simplen Bilder. Mit echten Feinden und Helden, die auf Schornsteine klettern und sich an Gleise ketten. Umweltschutz ist technisch geworden, er versteckt sich in Detailfragen der Energiewende oder Nuancen Brüsseler Gesetze.

„Wir haben in Europa nicht mehr die starken emotionalen Bilder“, sagt Christian Bussau von Greenpeace Deutschland. Schon seit Längerem baut sich die Organisation um: Die Zentrale in Amsterdam, gebeutelt von einem Skandal um 3,8 Millionen Euro Verlust, wird kleiner. In China arbeiten mittlerweile 200 der 2.000 Festangestellten weltweit. Die straff zentralistische Organisation will dezentral werden und dorthin, wo es nicht nur die starken Bilder gibt, sondern auch die größten Umweltsauereien: Regenwald in Brasilien, Smog in Peking, Ölbohrungen in der Arktis. Der Chef Kumi Naidoo ist ohnehin Südafrikaner.

Ursula von der Leyen und Andrea Nahles sind die mächtigsten Ministerinnen im Kabinett Merkel. Katrin Göring-Eckardt und Sahra Wagenknecht führen die Opposition. Anja Maier hat die vier Politikerinnen getroffen und die Machtfrage gestellt. Ihre Geschichte „Danke, wir übernehmen“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. Juni 2014. Außerdem: Was Tori Amos von ihrer Tochter lernt. Und: Wie ein Mangelhaft der Stiftung Warentest entsteht. Besuch einer Institution, die 50 wird. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nun ist Greenpeace nur eine Organisation von vielen. Mit ihrer Erkenntnis, dass sich Kampagnen, die in der Amsterdamer Zentrale entworfen werden, kaum für lokale Probleme eignen, sind die Regenbogenkrieger spät dran. Bisher nahmen sie im Spektrum der Umweltorganisationen ohnehin eine eigene Rolle ein: große Feinde wie Gazprom, Shell, BP und Exxon mit großen Aktionen bekämpfen. Andere Organisationen wie La Via Campesina, eine internationale Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern mit Sitz im indonesischen Jakarta, haben einen anderen Ansatz: Netzwerke lokaler Organisationen arbeiten kleinteilig, rackern sich damit ab, Kompromisse zwischen Mensch und Natur vor Ort zu finden, ohne großen Kampagnen-Knall.

Das schlechte Gewissen des Nordens

Es ist ein ehrlicherer Ansatz, nicht für das schlechte Gewissen des Nordens konzipiert. Für Greenpeace ist der Umbau auch eine späte Reaktion auf das allmähliche Ende der Definitionsmacht von Großstadtbewohnern reicher Industrieländer, wie Umweltschutz zu funktionieren hat.

Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, chinesische Umweltaktivisten kommen nach Brandenburg und verlangen ein sofortiges Ende des Braunkohletagebaus – „CO2-Sauerei!“ Oder Brasilianer, die in Potsdam für ein Ende von Mais-Monokulturen demonstrieren – „Meu deus! Ihr habt euren deutschen Urwald schon vor Jahrhunderten abgeholzt!“ Würden wir da nicht sagen: Moment, ihr habt keine Ahnung von den Konflikten vor Ort. Das ist alles nicht so einfach.

Der Vergleich ist natürlich plakativ: Der Konsum in Europa und Nordamerika, die globalen Lieferketten und Konzerne sind Ursache der Umweltzerstörung in vielen Ländern des Südens. Insofern ergibt es Sinn, dass NGOs aus dem Norden dort arbeiten und mit den Menschen für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen kämpfen.

Im Norden ist Umweltschutz jedoch geprägt von dem Eisbär-auf-Eisscholle-Umweltschutz à la Greenpeace, der schon immer etwas von Ablass hatte: Er steht für eine naturromantische Vorstellung von Wildnis, die es zu erhalten gilt. Der Urwald ist ein Paradies, von menschlichen Sünden unberührt. Eine Übersprungshandlung: Vor der eigenen Haustüre ist alles, was wir als „Natur“ wahrnehmen, längst von Menschen verformte Kulturlandschaft. In Berlin wird selbst ein stillgelegter Flughafen als so naturnah-natürlich empfunden, dass er unverändert zu bleiben hat. Daraus folgt nicht, dass der Einsatz für Regenwälder oder Orang-Utans Quatsch ist.

Beigeschmack der Ersten Welt

Aber er bleibt allzu oft oberflächlich. Der indische Umwelthistoriker Ramachandra Guha spricht von „grünen Missionaren“ und „grünem Imperialismus“. Er zeigte, dass das Konzept von großen, von Menschen völlig unberührten Nationalparks in Indien an vielen Stellen kontraproduktiv sein kann: Dann, wenn traditionell lebende Menschen vertrieben werden oder wilde Elefanten wieder Menschen an den Rändern der Parks attackieren. Seine Beispiele zeigen, dass Umweltschutz als Selbstzweck nicht funktioniert. Der Ansatz ist zu billig.

Wo immer mehr Menschen in die Natur drängen, müssen Konzepte für eine Koexistenz entwickelt werden, keine plakativen Freund-Feind-Schemata. „In Teilen der Dritten Welt besitzt ’Umwelt‘ einen derartigen Erste-Welt-Beigeschmack, dass es vermutlich besser wäre, über konkrete Bodenprobleme zu reden, damit die Betroffenen begreifen, dass es um ihre eigenen Lebensinteressen geht“, schreibt der Historiker Joachim Radkau in seinem Standardwerk „Die Ära der Ökologie – Eine Weltgeschichte“ von 2011.

Die Emanzipation der Umweltbewegungen von der Macht des Nordens ist dringend notwendig: Nur so kann der armen Masse in den Schwellenländern vermittelt werden, dass es um ihre Belange geht, um ihre Lebensgrundlage, nicht um das schlechte Gewissen reicher Länder. Der Homo oecologicus des Nordens hat sich nach Jahrzehnten Arbeit medial gut vernetzter NGOs selbst entzaubert. Er lebt in tiefen Widersprüchen, fliegt, fährt, frisst und kauft, was ihm gefällt, schimpft zur Erleichterung auf die Konzerne, die ihm all das liefern, und spendet an Greenpeace.

Die politischen Systeme haben den Umweltschutz aufgesaugt und zerbröseln ihn in Konferenzen zu Absichtserklärungen und Paragrafen. Die signifikanteste Errungenschaft der letzten Jahre ist, dass immer mehr Mittelschichtler in den Schwellenländern mitfressen. Alle Versuche, den weltweiten Rohstoffhunger einzudämmen, gehen viel zu langsam.

Wenn die globalen Umweltbewegungen etwas brauchen, dann die Wut und Empörung derer, denen die Lebensgrundlagen gestohlen werden. Vielleicht sollte Greenpeace seine Zentrale in Amsterdam einfach schließen und nach Nairobi verlegen.

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