Ökokulturelle Erschütterungen (II): Pausewangs Ökohorror

Soeben ging das AKW Grafenrheinfeld vom Netz, Schauplatz eines Super-GAU im Roman „Die Wolke”. Das Wiederlesen-Urteil: Furchtbar.

Die verkaufte Auflage von „Die Wolke” erreichte 2 Millionen Exemplare. Bild: dpa

Ein vierzehnjähriges Mädchen namens Janna-Berta aus Schlitz bei Fulda verliert beim Super-GAU des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld ihre Eltern und zwei Brüder. Sie selbst ist auch Strahlenopfer. Der Staat vertuscht. Und die Überlebenden versuchen so zu tun, als sei nichts passiert. Janna-Berta soll ihre Opferglatze unter einer Mütze verbergen.

In der Serie „Ökokulturelle Erschütterungen” erinnert das taz-Magazin zeozwei an Versuche, die die ökologische Sache mit Kulturträgern voranbringen sollten – jedoch das Gegenteil erreichten ... Nach Gänsehauts Popsong „Karl, der Käfer” nun Gudrun Pausewangs Roman „Die Wolke”. Was ist Ihre schlimmste ökokulturelle Erschütterung? leserbriefe@zeozwei.de.

Doch am Ende nimmt sie die Mütze ab und erzählt ihren Ignoranten-Großeltern die Wahrheit.

Das ist der Plot von Gudrun Pausewangs „Die Wolke”, dem literarischen Atom-Schocker aus dem Jahre 1987. Zwei Millionen mal verkauft. Die Warnung vor einem „Ökozid“ las damals fast jeder Schüler, zumindest mit linksliberalem Hintergrund. Und war danach richtig durchgeschüttelt. Wenn man es heute nochmal zu lesen versucht, dann kommt es einem vor, als würde eine Grundschullehrerin auf politisch-moralischem Speed aus dem Geist des Widerstands heraus Lobbyarbeit für die Anti-AKW-Bewegung machen.

Und genau so war es auch.

Pausewang, Jahrgang 1928, engagierte sich für die Entwicklungsländer und den Frieden, sowie gegen Nazis und Atomkraft. Was lobenswert war. Es gibt auch durchaus Literatur, an der Literaturkritiker herumnölen, die aber für die Gesellschaft und die Aufklärung fundamental wichtig ist. Dave Eggers' „The Circle” etwa, der den Verlust des Privaten als Ende der Freiheit beschreibt.

Das Problem mit „Die Wolke” ist, dass es nicht nur unliterarisch geschrieben ist, sondern so vulgär ideologisch, dass man manchmal nicht weiß, ob man lachen oder schreien soll. Moralkolportage.

Gudrun Pausewang spricht 2011 in der Nähe des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld auf einer AKW-Kundgebung. Bild: dpa

Dass die Nutzung der Atomkraft zur Erzeugung von Energie mit zu großen Risiken und Problemen verbunden ist, das wissen inzwischen sogar Angela Merkel und der letzte CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg (er wurde dafür abgewählt.). Beim früheren SPD-Kanzler Helmut Schmidt kann man sich nie ganz sicher sein.

Aber dass in der „Wolke” Menschen in der hochkontaminierten Zone 1 von den Schergen des Staates (Polizei, Militär) mit Maschinengewehren abgeknallt werden, um sie daran zu hindern, andere auch zu verseuchen, das ist ohne eine Überdosis Schmidt&Stammheim-Geist der 70er nicht mehr nachzuvollziehen.

Es geht nicht darum, Jugendliche zu ermächtigen, es geht darum, ihnen Angst zu machen, klassischer Anti-AKW-Spirit. Überall verendende Kinder. Der Bruder von Janna-Berta (was ist das überhaupt für ein Name?) rast mit dem Fahrrad in den Tod. Dann wird auch noch ein Collie (Lassie?) erschossen. Und falls es jemand immer noch nicht kapiert hat, werden Transparente hochgehalten. „Wollt ihr wieder behaupten, ihr hättet nichts gewusst?“ (Auschwitz. Der Nationalsozialismus-Mitmacher wird hier mit dem Ökozid-Zulasser verknüpft.) Und: „Zum Teufel mit den Politikern!“ (Wenn nichts mehr geht, das geht immer.)

Fazit: Sicher mit hohem Bewusstseinsbildungs-Anspruch in allen klassischen Bereichen (Frieden, Armut, Umwelt, Nie mehr Nationalsozialismus), aber im Ergebnis ein fast so anti-empathisches „Szenario des Grauens” (Die Zeit) wie eine Claudia-Roth-Rede beim Grünen-Parteitag.

Könnte gefallen: Claudia Roth, Gudrun Pausewang.

Eher nichts für: Helmut Schmidt, Stefan Mappus.

Autor: Peter Unfried. Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeozwei 3/2015. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.