Ökolobbyist über politische Strategien: „Wir müssen uns einmischen“

Der Landwirtschaftsminister will den Ökolandbau zwar fördern, legt aber keinen Zeitpunkt fest. Die Biobauern sollten sich besser organisieren, sagt Lobbyist Jan Plagge.

Christian Schmidt, Michael Müller und weitere Herren tuen so, als würde sie Tannen pflanzen

Vor der Kamera funktioniert's, dahinter macht die Politik zu wenig für guten, ökologischen Anbau Foto: dpa

taz: Herr Plagge, Sie sind einer der wichtigsten Lobbyisten der Ökobauern. Sie sagen: „Es reicht nicht mehr, wenn wir uns nur mit Agrarpolitik beschäftigen.“ Dabei gibt es doch noch viel zu tun, etwa gegen zu viel Chemie auf dem Acker?

Jan Plagge: Das Gift ist zu billig. In den letzten 20 Jahren ist der Verkauf von Pestiziden wie Glyphosat allein in Deutschland um etwa 40 Prozent gestiegen. Mit einer Pestizidabgabe ließe sich der Trend ändern. Die ist aber zuallererst eine Entscheidung des Finanzministers. Wie hoch muss die Abgabe sein? Wohin fließen die Einnahmen, etwa in die Züchtung von robusten Ökopflanzen? Wir müssen uns daher auch in Finanz- und Wirtschaftspolitik einmischen.

Wie soll das gehen? Sie haben nicht einmal genug Kraft, um Bundesagrarminister Christian Schmidt zu überzeugen. Er hat auf der Biofach-Messe seine „Zukunftsstrategie Ökolandbau“ vorgestellt …

… nach der 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden sollten. Derzeit sind es 10 Prozent.

Ja, aber Schmidt nennt keinen Zeitpunkt, bis wann er das Ziel erreichen will.

Klar wollten wir einen Zeitpunkt. Aber immerhin hat sich Schmidt auf der Biofach festgelegt, dass es um zehn Jahre geht. Außerdem steht in der Strategie, dass die Ökoforschung mit mehr Geld gefördert wird. Das ist wirklich ein Fortschritt.

46, leitet seit 2011 den Verband Bioland, ist Vorstand des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Vizepräsident des europäischen Bio-Dachverbands Ifoam EU. Seinen Hof in Niedersachsen hat er an zwei Bioland-Bauern verpachtet.

Wie muss sich eine Lobby aufstellen, damit sie in der Regierung Gehör findet?

Sie brauchen viele Unterstützer, eine breite Legitimation, sonst sind sie für die Politiker uninteressant, die Mehrheiten brauchen.

Muss man klug reden, viel lächeln, sich auf jeder Hauptstadtparty tummeln?

Natürlich geht viel über den Aufbau von Beziehungen, aber das Allerwichtigste ist ein breites Netzwerk, das fachkundig ist und immer wieder präsent.

Sind Sie neidisch auf den mächtigen Deutschen Bauernverband?

Allerdings, seine Vertreter sitzen in allen wichtigen politischen Gremien, von der kommunalen Ebene bis hoch zur europäischen, in denen über die Zukunft der Landwirtschaft entschieden wird. Er schafft es knapp 6 Milliarden Euro jährliche Subventionen an die deutschen Bauern zu verteidigen, ohne dafür einen substanziellen Mehrwert für die Umwelt zu schaffen oder bäuerliche Existenzen zu sichern.

Wie oft haben Sie einen Termin beim Agrarminister?

Regulär einmal im Jahr. Der Bauernverband hat sicher mehr. Und ich habe auch nicht Schmidts Handynummer.

Wie viel Geld geben Sie für die Lobbyarbeit aus?

Die deutsche Biobranche macht im Jahr 9,5 Milliarden Euro Umsatz, ihr Dachverband, der BÖLW, bekommt davon ungefähr eine halbe Million Euro, das ist wenig für Lobbyarbeit.

Zu wenig?

Einige Biounternehmer sind einfach zu klein, um etwas zahlen zu können. Andere lehnen es ab, sich politisch zu organisieren. Sie meinen, wir tun sowieso das Richtige, das muss doch jeder verstehen, da brauche ich keine extra Lobby. Das ist ein Irrtum. Wie sollen sich eine Regierung und die Beamten, die eine Entscheidung vorbereiten, ein Bild machen, wenn sie nicht mit Praktikern sprechen und die sich nicht organisieren?

Was fordern Sie genau?

Der Staat ist Deutschlands größter Kunde. Aber wenn Ministerien oder Behörden für ihre Kantinen, ihre Büros, ihre Fuhrparke einkaufen, wird selten an Bio gedacht, auch nicht an Regionalität, sondern an den billigsten Preis. Er ist kein Vorbild für unsere Idee, dass jeder Unternehmer sich daran messen soll, ob er dem Gemeinwohl einen Mehrwert bietet.

So selbstlos?

Das ist nicht selbstlos. Das ist egoistisch. Schaue ich nur auf meinen Profit und vernichte dabei ökologische und soziale Stabilität, kann ich mein Unternehmen nicht mehr entwickeln, weil die Gesellschaft zusammenbrechen wird.

Seit diesem Jahr gelten neue Regeln, wie Unternehmen über ökologisches und soziales Engagement berichten müssen – hilft das?

Das betrifft bislang nur wenige große Unternehmen. Das bringt erst etwas, wenn fast alle mitmachen müssen und die Besten nicht nur einen Imagegewinn haben, sondern auch einen Steuervorteil.

Sie fürchten mehr Bürokratie nicht?

Nein, bisher sind wir davon ausgegangen, dass der freie Markt alles regelt. Jetzt zeigt sich aber, dass er mit Blick auf die öffentlichen Güter wie Wasser, Boden, Luft, Klima gar nichts regelt. Wir müssen ein System entwickeln, in dem die Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft anerkannt wird.

Haben Sie schon mit dem Finanzminister oder dem Wirtschaftsminister und seiner Nachfolgerin gesprochen?

Leider nicht.

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