Ökologie contra Menschenrechte: Naturschutz auf dem Holzweg

In Kenia soll der Embobut-Wald wieder zu neuer Pracht wachsen. Doch dazu müssen die angestammten Waldbewohner weichen.

Waldgebiet am Hang, dazwischen Häuser

Von der Landwirtschaft angefressen: Der Embobut-Wald in Kenia Foto: Ilona Eveleens

EMBOBUT-WALD taz | Elias Kimaiyo ist untergetaucht. Er lebt in einem winzigen Zimmer in der Stadt Eldoret. Kimaiyo ist ein gesuchter Mann: Die Behörden haben genug von seinem Aktivismus. Lokalpolitiker nennen ihn einen Kriminellen. Seine Angst ist so groß, dass er ständig die Handy-Nummer wechselt und seine Telefone meistens abschaltet, um nicht lokalisiert zu werden.

Der 39-jährige Kimaiyo ist Aktivist der Volksgruppe der Sengwer in Kenia. Die rund 30.000 Sengwer haben ihr traditionelles Siedlungsgebiet im uralten Embobut-Wald im Westen Kenias. Das Problem: Der Embobut-Wald ist ein Wasserschutzgebiet. Dort und in den benachbarten Hügeln entspringen die Flüsse, die die Wasserversorgung großer Teile Kenias gewährleisten.

Kenias Regierung will den Wald wiederherstellen, als Schutzgebiet. Dafür sollen die Sengwer weichen. Ein klassisches Dilemma der Entwicklungspolitik: Naturschutz gegen Entwicklung, Indigene gegen den Staat. Nur sind diesmal die Rollen vertauscht: Die Natur soll gegen die Wünsche der Indigenen geschützt werden.

Denn längst ist der Embobut-Wald nicht mehr eine geschlossene tiefgrüne Decke wie noch vor Jahrzehnten. Er ist reduziert auf Ansammlungen an Bäumen auf verstreuten Stellen. Auf den vielen offenen Stellen grasen Kühe, Schafe und Ziegen. Sie gehören den Sengwer selbst. Heute leben die ehemaligen Jäger und Sammler mehrheitlich nicht mehr wie ihre Vorfahren, die im Wald alles fanden, was sie brauchten.

Große Teile des Embobut-Walds sind verloren

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts die britischen Kolonialherren diesen Teil Kenias unter ihre Kontrolle brachten, aßen die Sengwer Fleisch von wilden Tieren, die sie mit Pfeil und Bogen töteten. Sie sammelten Wurzeln und wilde Körner, mit denen sie ihre Ernährung ergänzten. Sie naschten Honig von den Bienen und benutzten Heilkräuter für Krankheiten. Und bei festlichen Anlässen trugen die Männer Felle von den schwarz-weißen Colobus-Affen, die in großen Gruppen im Wald lebten.

Das ist alles Vergangenheit. Die East African Wildlife Society (EAWLS), Kenias führende Naturschutzorganisation, schätzt, dass im Jahr 2009 drei Viertel des ursprünglichen 20.000 Hektar großen Embobut-Waldes verloren waren. Baumverlust, der langfristig zu Erosion und Dürre führt, ist in ganz Kenia ein Problem: Vor der Kolonialzeit war das Land zu 40 Prozent mit Wald bedeckt, jetzt sind es laut der Regierung nur noch beklagenswerte 7 Prozent.

Nicht nur die Sengwer sind daran schuld. Die meisten Felder, die sich bis hoch an die Spitze der einst bewaldeten Berge erstrecken, gehören Bauern von der Volksgruppe der Marakwet, der größten der Region. Die Marakwet leben in Dörfern am Fuße der Berge, nicht im Wald selbst wie die Sengwer.

Elias Kimaiyo

„Die Sengwer kennen den Wald am besten. Wir sind die natürlichen Schützer“

Waldschutz und Waldbesiedelung durch Menschen gehen nicht zusammen, findet Julius Kamau, Direktor von EAWLS. Er sagt: Embobut muss dringend wiederhergestellt werden, weil Kenia bereits jetzt mit gravierendem Wassermangel zu kämpfen hat. Baumwurzeln sind wichtig, um Regenwasser festzuhalten, und können als Wasserbecken fungieren. Aber kann ein kranker Wald gesunden, wenn Menschen darin leben?

Kimaiyo in seinem Versteck in Eldoret findet nicht, dass das ein Dilemma ist. Dass die Sengwer in ihrem angestammten Wald leben, sei eine Situation, bei der alle Beteiligten nur gewinnen könnten, sagt er. „Wir kennen den Wald am besten. Wir sind die natürlichen Schützer.“ Die Sengwer beanspruchen jahrhundertealte traditionelle Rechte, um im Wald leben zu dürfen.

Die Sengwer sind Tierzüchter – schadet das dem Wald?

Die Sengwer halten im Wald Kühe und Schafe – keine Ziegen, die alles kahl fressen. „Diese Tiere fressen ja nur Gras“, sagt Kimaiyo über die Kühe und Schafe. „Aber wenn es schlecht ist für den Wald, muss eine Alternative gesucht werden. Doch die gibt es nicht, weil außerhalb des Waldes nur Äcker sind, wo die Tiere nicht bleiben können. Wir wollen lernen, den Wald zu schützen. Aber wir brauchen auch Hilfe, um zu überleben.“ Allerdings ist bekannt, dass auch Schafe dazu neigen, durch Verbiss das erwünschte Wachstum der Vegetation nachhaltig zu hemmen.

Kenias Regierung erkennt die Sengwer nicht als eigene Volksgruppe mit eigenen Rechten an, ebenso wenig, wie früher die britische Kolonialmacht es tat. Deswegen gewährt sie ihnen nicht das Recht auf eigenes angestammtes Land und damit keine Möglichkeit, den Wald selbst zu verwalten.

Vor einigen Jahren, berichtet Naturschützer Kamau, bekamen mehr als 400 Sengwer-Familien jeweils rund 4.000 Euro, um den Wald zu verlassen, in anderen Regionen Land zu kaufen und ein neues Leben zu beginnen. „Aber teilweise kamen sie zurück, nachdem sie das Geld empfangen hatten. Sengwer sind nicht die einzigen Ureinwohner in der Region, die ein besonderes und ausdrückliches Recht haben. Alle sind abhängig vom Wasser aus dem Wald. Sie haben alle Recht auf Wasser“.

Für Sengwer-Aktivist Kimaiyo stellt sich das Handeln der Regierung anders dar. Er erinnert sich, wie Anfang dieses Jahrhunderts seine Eltern den Wald verlassen mussten. „Mein Vater wurde verhaftet, und unser Haus wurde von der Forstverwaltung verbrannt. Das war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Ich beschloss, mich einzusetzen für meine Leute. Ich beendete mein Studium und lernte alles, was ich finden konnte, über Embobut und Sengwer.“

Wie der Konflikt mit der Forstbehörde eskalierte

Vor einem Jahr war Elias Kimaiyo selbst an der Reihe. Bei einer erneuten Aktion der Forstverwaltung gegen „illegale Siedler“ im Wald rannte der lange, schlanke junge Mann weg und fiel mit einem Knie auf einen Stein. „Die Förster holten mich ein und schlugen mich mit ihren Gewehrkolben auf meine Schulter. Jetzt kann ich meinen rechten Arm nicht mehr benutzen, und meine Kniescheibe ist beschädigt.“

Wütende Sengwer setzen aus Rache ein Gebäude der Forstverwaltung in Brand. Dies machte den Konflikt zu einem echten Krieg zwischen den beiden Lagern. Waldhüter schlagen Sengwer aus dem Wald, verbrennen Häuser und Besitz und beschlagnahmen das Vieh. Kürzlich starb ein alter Mann während einer solchen Konfrontation.

Als Reaktion auf das brutale Verhalten suspendierte die EU Mitte Januar ihre mehr als 30 Millionen Euro umfassende Unterstützung für den Schutz der Wasserschutzgebiete in Kenia. „Die EU besteht darauf, die Rechte einheimischer Völker zu achten. Es wurde nie erwartet, dass die Erhaltung von Wasserschutzgebieten Ausweisung oder den Einsatz von Gewalt bedeuten würde“, heißt es in einer Erklärung aus Brüssel.

Zuständige kenianische Regierungsstellen wollten sich gegenüber der taz zu dem Thema nicht äußern. Forstverwaltung und Umweltministerium verweisen aufeinander. Der neue Umweltminister Keriako Tobiko hat immerhin begonnen, die staatliche kenianische Waldbehörde auszumisten: Der Direktor und 14 andere leitende Beamte wurden entlassen. Es hatte zuvor Berichte gegeben, dass die staatlichen Waldhüter Schmiergeld annehmen, um wegzuschauen, wenn Holzfirmen oder Einzelpersonen Wald roden.

Vor dem Hintergrund der gängigen Korruption in Kenia findet der außergewöhnlich harte Umgang der Regierung mit den Sengwer inzwischen landesweit kritische Beachtung. Ende Januar erhielt Elias Kimaiyo in Nairobi für seinen Einsatz einen Menschenrechtspreis der Nationalen Koalition der Menschenrechtsverteidiger. Er schrieb einen Brief an Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, in dem er die Beschwerden der Sengwer erklärte. Er bekam bis jetzt keine Antwort.

Menschenrechtler nehmen für die Sengwer Partei

Kenias unabhängige Menschenrechtskommission KNCHR weist darauf hin, dass Wälder durch die Regierung, eine private Initiative oder eben eine lokale Gemeinschaft geschützt werden können. Also sei der Wunsch der Sengwer, den Embobut-Wald selbst zu schützen, völlig legal, meint KNCHR-Vizepräsident George Morara. Umweltschutz und Rechte indigener Völker seien kein Widerspruch: „Das Problem ist, dass es keinen guten Dialog gab. Ein Gespräch zwischen Vertretern beider Seiten, in dem die Rechte aller respektiert werden und in dem die Sorge für die Umwelt an erster Stelle steht.“ Kimaiyo hat versprochen, mit uns in den Embobut-Wald zu kommen, um seine Leute zu treffen. Es ist noch dunkel, und nur die Nachtschwalben sind zu hören mit ihren lang gezogenen schnurrenden Liedern. Als es so weit ist, kommt der Aktivist aus seinem winzigen Zimmer, in das gerade ein Bett und ein Stuhl passen, und macht einen Rückzieher. „Ich wage es nicht, mitzukommen“, sagt er. Hinter ihm liegen Handy und Computer auf seinem Bett. Er hat sich informiert: „Es wurde im Wald geschossen. Meine Kontakte dort sagen, dass Waldhüter eine Razzia durchführen, um wieder Menschen zu vertreiben.“

Angst ist Elias Kimaiyo ins Gesicht geschrieben. Er ist eine bekannte Erscheinung in der Region, und ein Bericht an die Forstverwaltung würde ausreichen, um ihn zu schnappen. Der Aktivist hat einen Ersatz gefunden: John Toroitich, einen militanten Sengwer. Er ist bereit, uns in den Wald hineinzunehmen.

Der kleine, gedrungene Mann ist ein Beispiel dafür, dass die Sengwer längst keine Jäger und Sammler mehr sind. Toroitich ist Viehzüchter, seine Kühe und Schafe grasen im Wald. Es sind Leute wie er, die nach dem Willen der kenianischen Regierung wegziehen sollen, damit der Wald wieder Schutzgebiet werden kann.

Ein farbiger Mann

Elias Kimaiyo (39) kämpf für die Rückkehr der Sengwer in den Wald Foto: Ilona Eveleens

Der Weg führt über verlassene Straßen, Landwege und Pisten, um den patrouillierenden Förstern zu entgehen. Ziel sind die Cherangani-Berge, bis zu 3.500 Meter hoch, an deren Hängen sich der Embobut-Wald befindet. Es gibt insgesamt dreizehn Wälder in diesen Bergen. Alle zeigen Spuren von großflächigen Rodungen. Viele Hänge sind mit Feldern bis zur Spitze bedeckt: Kartoffeln auf der Westseite, Mais auf der Ostseite.

„Wir haben auch Landwirtschaft betrieben, aber damit haben wir aufgehört, als wir verstanden, dass das schlecht für den Wald ist“, sagt Toroitich und läuft mit großen Schritten in den Embobut-Wald hinein. Seine dicke Jacke über einer Fleece-Weste ist kein Luxus. Es ist kalt hoch oben in den Bergen, trotz blauem Himmel und Sonnenschein.

Das Katz-und-Maus-Spiel mit den Förstern

Unter uralten Bäumen grasen Kühe. Ein neugeborenes Kalb saugt gierig am Euter der Mutter. Geschorene Schafe springen den Hang herunter. „Ich gehe am späten Nachmittag nach Hause in den Wald, um dort die Nacht zu verbringen“, erklärt Toroitich. „Dann sind die Förster wieder auf ihrem Posten. Morgens, nach dem Melken der Kühe, verlasse ich den Wald, weil die Förster dann wieder zurückkommen.“ Es ist ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel: Die Förster sind bewaffnet.

Toroitich kann sich nicht vorstellen, den Wald ganz zu verlassen. „Wir haben kein anderes Zuhause als den Embobut-Wald“, sagt er. „Die Regierung wollte uns weit weg von hier ansiedeln, aber unsere Vorfahren sind hier begraben. Wir können den Wald nicht aufgeben.“

Es ist eine emotionale Beziehung. Nur noch 5.000 der 30.000 Sengwer leben im Wald, aber auch diejenigen, die nicht mehr dort sind, kommen nach Embobut, um ihren Kindern Namen zu geben – eine wichtige Zeremonie.

Die vom Staat angebotene Entschädigung ist für Toroitich keine Lösung. „Das Geld reicht nicht, um gutes Weideland zu kaufen. Und wo? Alles hier in der Gegend ist Eigentum von jemandem. Wir müssen dann weit wegziehen. Ich kann und will das nicht.“

Nach stundenlanger Fahrt kommen wir in Chepyomot an, einem Weiler am Rande des Embobut-Waldes. Hier leben vertriebene Sengwer, aber auch Marakwet, die größte Bevölkerungsgruppe in den Cherangani-Bergen. Das Dorf besteht aus ein paar hölzernen Hütten. Auf einem Rasen sitzt eine Gruppe schweigsamer älterer Männer. Zwischen zwei Häusern fließt ein Bach mit klarem Wasser den Berg herunter. Tiere trinken daraus, Einwohner holen ihr Wasser dort und Kinder planschen darin herum. Der Bach wird bergabwärts immer breiter und bildet mit anderen Bächen den Embobut-Fluss, der mit noch sechs weiteren Flüssen die wichtigste Wasserversorgung für Millionen von Menschen im Westen Kenias darstellt.

Sengwer bestehen darauf, dass sie etwas anderes sind als Marakwet – wegen ihrer Beziehung zum Wald. „Der Embobut-Wald steht für uns nicht nur für eine Lebensweise, sondern vor allem für Kultur und Traditionen, die uns wichtig sind. Das haben die Marakwet nicht“, sagt Aliba Cheboi, die uns durch das Dorf führt.

Die 23-jährige Studentin trägt ein schwarzes Glitzerkleid mit Lederjacke, ihre Augen sind ständig auf dem Bildschirm ihres Handys fixiert. Sie ist eine ganz normale kenianische Jugendliche. Ist die Bindung an den Wald im Jahr 2018 nicht überholt?

Aliba Cheboi gibt zu, dass sie wohl nie dauerhaft im Wald leben wird, sondern eher in der Stadt. „Vielleicht werde ich einen Mann heiraten, der auch in der Stadt arbeitet und wo unsere Kinder zur Schule gehen. Aber in den Ferien möchte ich im Embobut-Wald sein, in der Nähe unserer Vorfahren. Der Wald gibt uns eine Identität. Wir existieren nicht ohne Embobut.“

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