Ökonomische Krise in Spanien: „Wir rücken näher zusammen“

Geräumt, ohne Job und ohne Geld. Drei Frauen kämpfen im Madrider Stadtteil Malasaña um ihre Zukunft. Zu Besuch in einem besetzten Haus.

Studentin Ariana Paredes, 23, Maskenbildnerin Ebba Corbeira, 40, und Buchhalterin Marisa, 62. Bild: Reiner Wandler

MADRID taz | Die Nummer 33 in der Corredera Baja de San Pablo im Madrider Stadtteil Malasaña erzählt die Geschichte der Krise. Der fünfstöckige Altbau wurde aufwändig saniert. Die kleinen, feinen Apartments in der historischen Altstadt sollten viel Geld einbringen. Doch die Kundschaft blieb aus.

Die Arbeiten waren gerade fertig, als Spaniens Immobilienblase platzte. Die Caixa, die große Bank aus dem nordostspanischen Katalonien, blieb auf ihren Wohnungen sitzen. Bewohner hat das Haus jetzt dennoch. Am Abend vor Dreikönige rückte ein bunter Haufen an und besetzte die 15 Appartments.

„La Manuela“ tauften sie das Gebäude, so wie der Vorname der Frau, die dem Stadtteil Malasaña den Namen gab. Sie war eines der Opfer während des Volksaufstandes gegen die französische Besatzung am 2. Mai 1808.

Obra Social – Sozialwerk – heißt die Organisation, die hinter der Besetzung steckt. Es ist eine Initiative der Plattform der von den Hypotheken Betroffenen (PAH), der Opfer von Zwangsräumungen. Das Sozialwerk besetzt leer stehende Wohnblocks, um Opfer der mittlerweile über 400.000 Räumungen unterzubringen. Das Haus im Zentrum Madrids ist das zweite Objekt dieser Art in der spanischen Hauptstadt.

Im ganzen Land zählt das Sozialwerk Dutzende solcher Projekte. Die Gruppen bereiten sich monatelang vor, lernen Konfliktbewältigungsstrategien, Techniken der Selbstverwaltung und passiven Widerstand für den Fall einer Räumung. So auch die 13 Frauen, ein Mann und zwei Kinder im La Manuela.

„Der Strom wurde vor einer Woche gekappt“

„Wir sind eine Mischung aus prekär lebenden jungen Menschen und solchen, die ihre Miete oder Kredite nicht mehr bezahlen konnten und geräumt wurden“, erklärt Ariana Paredes. Die 23-jährige Studentin der Sozialarbeit sitzt zusammen mit zwei Nachbarinnen, der arbeitslosen Maskenbildnerin Ebba Corbeira, 40, und der arbeitslosen Buchhalterin Marisa, 62, die ihren Nachnamen nicht nennen mag, in ihrer Küche.

Es ist kühl. „Der Strom wurde vor einer Woche gekappt“, erklärt Paredes. Sie kocht auf einem Campingherd und duscht bei Freunden. Eine große Flasche mit heißen Wasser wandert von Frau zu Frau. So bleiben zumindest die Hände warm.

Adriana Paredes zählt zur Kategorie der prekären jungen Menschen. „Mein Vater ist Maler und wurde infolge der Krise auf dem Bau im Sommer arbeitslos. Meine Mutter hat Krebs und ist in Behandlung“, erzählt Paredes, die aus dem Baskenland stammt. „Kaum war das letzte Sommersemester um, riefen sie mich an und sagten mir, dass sie kein Geld mehr hätten, um mein Studium zu finanzieren.“ Die junge Frau gab ihr Zimmer auf, zog erst zu einem Freund und schloss sich dann der Besetzergruppe an. „Ich habe einfach kein Geld für Miete“, sagt sie.

Die knapp 400 Euro, die sie am Wochenende in einer Kneipe verdient, reichen gerade einmal fürs Essen und für die Studiengebühren, die wegen der Sparpolitik auf 2.500 Euro für das letzte Studienjahr gestiegen sind. Im Mai hat Paredes das Examen. „Hin und wieder stecken mir die Großeltern etwas zu“, erzählt sie weiter. Ihre Eltern wissen nicht, dass sie als Besetzerin lebt. Ihnen hat sie erzählt, dass ein Freund, der ins Ausland gegangen sei, ihr die Wohnung überlassen habe.

„Es ist eine Schande, was aus Spanien geworden ist“

Paredes ist die „wohlhabendste“ der drei in der Küche versammelten Frauen. Ebba Corbeira verdient im Monat gerade noch 200 Euro. „Ich stehe dafür Modell in einer Kunstakademie“, berichtet sie. Vor der Krise, als die Privatfernsehsender allerlei Serien und Shows produzierten, verdiente sie als Maskenbildnerin 250 Euro an einem Tag. Sie hat ihre Wohnung aufgeben müssen. „Ich habe selbst meinen Sohn verloren“, sagt sie mit gedämpfter Stimme. Der 13-Jährige lebt bei ihrem Exlebenspartner und bei den Großeltern.

„Es ist eine Schande, was aus Spanien geworden ist“, mischt sich Marisa ein. Vor drei Jahren hat sie ihren Job in der Verwaltung in einer Gemeinde im Norden der Hauptstadt verloren. Damals war sie 59. „Es gibt keine Zukunft für Menschen wie mich“, sagt sie. Arbeitslosengeld bekommt sie keines mehr. Nachdem sie fast ein Jahr Miete schuldete, kam der richterliche Räumungsbeschluss. Marisa ging freiwillig, bevor Gerichtsvollzieher und Polizei anrückten.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so leben muss“, erklärt die Frau, die einst viel weiter oben war. Das war vor 2001, bevor sie nach einer Trennung aus den USA nach Spanien zurückkam. Geblieben ist nach dem Studium ihres Sohnes, der nach wie vor in den Staaten lebt, nichts.

Erstaunlicherweise gewinnen alle drei der verzweifelten Situation etwas Positives ab. „Wir rücken näher zusammen“, sagt Paredes und denkt an die Großeltern, die ihr helfen, und an die Mutter, der sie selbst ab und an ein paar Euro ins Baskenland schickt. „Es sind die menschlichen Netzwerke, die wir aufbauen“, fügt Corbeira hinzu. Und Marisa träumt von einer Welt, in der teilen statt Wettbewerb die sozialen Beziehungen bestimmt.

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