Offener Brief gegen Unterstellungen: „Kein russlanddeutsches Phänomen“

AfD-nah, flüchtlingsfeindlich und schlecht integriert? Mit einem offenen Brief wehren sich Spätaussiedler gegen Pauschalverurteilungen.

Ein Mann bückt sich über ein Fahrrad, das vor einem russischen Lebensmittelgeschäft steht

Russlanddeutsche sind genauso individuell wie andere Wähler Foto: dpa

BERLIN taz | „Die Türken wählen SPD, die Russlanddeutschen CDU“ – jahrzehntelang wurden die politischen Präferenzen der beiden größten Migrantengruppen in der Bundesrepublik ganz selbstverständlich pauschalisiert. Seit die AfD ein Faktor in der deutschen Politik ist, heißt es nun häufig, dass sich die Spätaussiedler aus Russland von den Christdemokraten ab- und der jungen rechtspopulistischen Partei zuwendeten. Gegen diese Darstellung wehrt sich jetzt die Vereinigung zur Integration der russlanddeutschen Aussiedler (VIRA) in einem offenen Brief.

Die Kritik des Zusammenschlusses mehrerer russlanddeutscher Vereine ist scharf: Als „erste Anzeichen einer medialen Hetzkampagne“ und „absichtlich diffamierend“ bezeichnen die Autoren insbesondere die Fernsehberichterstattung zum Thema. Konkret beziehen sie sich dabei auf die ARD-Formate „Monitor“ und „Tagesthemen“ sowie auf Dunya Hayalis Sendung im ZDF.

„Einzelne Wortmeldungen“, so der Vorwurf, würden darin „auf das gesamte Bundesgebiet übertragen.“ Der Hintergrund: Hohe AfD-Zustimmung in bestimmten Regionen und Stadtteilen – immer wieder wird Pforzheim-Heidach genannt – wurde mehrfach mit den vielen dort lebenden Russlanddeutschen erklärt. In ihrem dreiseitigen Statement nennt die VIRA eine Reihe von Städten und Landkreisen mit ähnlich hohem Anteil von Deutschen aus Russland – aber ohne auffällige AfD-Ergebnisse.

Fehlendes Vertrauen, fehlendes Interesse

Dass es „Zurückgelassene“ mit AfD-Affinität auch unter Russlanddeutschen gibt, streiten die Briefssschreiber indes nicht ab. Dafür verantwortlich machen sie aber die Regierung: Fehlerhafte Integrationspolitik habe zur räumlichen Konzentration der Spätaussiedler geführt.

An einigen dieser Ballungsorte würden „Deutsche aus Russland zu selten von den Etablierten angesprochen“. Fehlendes Vertrauen in die traditionellen Parteien wird erklärt als Folge von fehlendem Interesse aus der anderen Richtung. „Das ist aber kein allein russlanddeutsches Phänomen“, so der Brief.

Aus dem emotionalen ­Schreiben geht auch hervor: Die Wut der Unterzeichner über „unbegründete Vorwürfe“ und „pauschale Anschuldigungen“ hat sich über lange Zeit aufgestaut. Schon in den 1990er Jahren hätten die Reden von Parallelgesellschaften, „Plünderern der sozialen Kassen“, und Milieus mit hoher Jugendkriminalität das öffentlich gezeichnete Bild von den Aussiedlern bestimmt.

„Die Russlanddeutschen sind genauso individuell wie alle anderen Wählerinnen und Wähler dieses Landes“

Zahlreiche Studien, etwa zur Arbeitslosigkeit unter verschiedenen Migrantengruppen, werden in dem Brief zitiert, um solche Stigmatisierungen zu widerlegen. Die zentrale Botschaft des VIRA-Schreibens: „Die Russlanddeutschen sind genauso individuell wie alle anderen Wählerinnen und Wähler dieses Landes.“ Pauschalisierungen und Diskriminierungen seien „absolut inakzeptabel“.

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