Olaf Scholz über Genossenschaften: „Zur taz passt dieses Modell“

Man muss mit seinem Geld auskommen, meint Olaf Scholz, heute Bürgermeister von Hamburg. Vor 20 Jahren riet er der taz, zum Überleben eine Genossenschaft zu gründen.

„Die Idee war, dass eine Genossenschaft eine sehr moderne Form demokratischer Selbstorganisation in der Wirtschaft sein kann.“ Bild: dpa

tazlab: Herr Scholz, die taz hat Ihnen zu danken – Sie haben damals dem Geschäftsführer des jungen Unternehmens den Tipp gegeben, sich als Genossenschaft zu etablieren.

Olaf Scholz: Ich war es nicht allein. Anfang der Neunziger war ich Rechtsanwalt und Syndikus des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften – und taz-Leser.

Und lasen damals typischerweise von einer taz-Rettungskampagne?

Es ging jedenfalls um die Zukunft der taz, ja. So stellte ich den Kontakt her. Die Idee war, dass eine Genossenschaft eine sehr moderne Form demokratischer Selbstorganisation in der Wirtschaft sein kann.

Weshalb?

So wird möglich, unabhängig von einer Börse Eigenkapital einzusammeln, ohne dass das dazu führt, dass die einen mehr, die anderen weniger zu sagen haben. Ein Projekt, das als Unternehmen jenseits von Profit überleben will.

Sie, noch kein Spitzenpolitiker, griffen zum Hörer …

… das weiß ich nicht mehr ganz genau. Habe ich einen Brief geschrieben? Ich glaube, ich habe Kalle Ruch (bis heute Geschäftsführer der taz, d. Red.) angerufen. So kam es zu Gesprächen, mit ihm und Johnny Eisenberg.

geboren 1958 in Osnabrück, verheiratet mit der Politikerin Britta Ernst, wuchs in Hamburg auf und spricht breites Hamburgisch.

Die Stationen des Rechtsanwalts und Politikers: stellvertretender Jusovorsitzender, Chef der SPD im rot-grünen Hamburger Bezirk Altona, Landesvorsitzender der SPD in Hamburg (2000 bis 2004), Generalsekretär der SPD, von 2002 bis 2011 Abgeordneter im Bundestag, davon zwei Jahre als Bundesminister für Arbeit und Soziales.

2011 gewann die SPD mit Olaf Scholz als Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg die absolute Mehrheit der Mandate; seither ist Scholz Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg.

War man überrascht, Ratschläge zum publizistischen Überleben zu erhalten?

Das müssen Sie Ihre Kollegen fragen. Aber für mich war offensichtlich, dass man am besten eine Genossenschaft begründet, um die Eigenkapitalprobleme der taz zu lösen – versehen mit einer juristischen Struktur samt eingebauter Wirtschaftsprüfung. Man muss mit seinem Geld auskommen!

Tipps von einem Sozialdemokraten!

Ich weiß nicht, mit welchen Vorstellungen über die SPD Sie durch die Welt laufen. Ich hatte die taz seit ihrer Gründung gelesen. Damals, als es um die Genossenschaft ging, lag meine Zeit als stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungsozialisten ja noch nicht weit zurück. Komplett andere Vorstellungen als jene, von denen in der taz zu lesen war, hatten wir ja nicht.

Wie haben Sie, jenseits Ihrer Lektüre, die taz erlebt?

Kalle Ruch kam mir als hochprofessioneller – ich hoffe, ich tu ihm da jetzt nichts an – Manager dieses Unternehmens entgegen. Das Vertrauen, das auch die Prüfer des Genossenschaftsverbandes schnell zu ihm gewinnen konnten, hat bestimmt dazu beigetragen, dass aus der ersten Idee schließlich die Gründung und seither ein stabiles Unternehmen geworden ist. Er – wie überhaupt die taz – hat auch beim Prüfungsverband viele Freunde gefunden, auch manche, die vielleicht bis dahin in die Zeitung taz noch nie reingeschaut hatten. Und ich war vielleicht sowieso nicht der Spießer, der sich vorstellte, dass alternativ gleich chaotisch bedeuten muss.

Ihr Verhältnis zur taz heute?

Ich teile nicht alles, was in Ihrer Zeitung steht. Aber die taz ist ein Teil meiner Vorstellungswelt als fortschrittlicher Politiker in Deutschland. So würde ich mich jedenfalls selber verstehen.

Von Ihnen abgesehen …

… ist die taz eine Zeitung, die inzwischen über eine lange Geschichte und Stabilität verfügt. Sie ist für die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland unverzichtbar. Gäbe es sie nicht (mehr), würde ich als sozialliberaler Bürger sie vermissen.

Ist das Genossenschaftsmodell nur für die taz nützlich?

Keineswegs, die Schaffung einer erwerbswirtschaftlichen Form, die solidarisch verankert bleibt, ist für sehr viele Initiativen und Projekte geeignet. Letztlich hat die Genossenschaftsform mit bewirkt, dass sich ein ganz bestimmter Teil der Presseöffentlichkeit, der mir wichtig ist, erhalten konnte.

Gilt das auch für andere Unternehmen?

Zur taz passt dieses Modell – weil ihr Publikum ein starkes Bewusstsein für Selbstorganisation hat. Wer's nicht hat, für den ist eine Genossenschaft ja ungeeignet. Ich glaube, diese hat die starke Leser-Blatt-Bindung der taz stabilisiert.

Was bewog Sie überhaupt, sich während ihres Jurastudiums mit Genossenschaften zu beschäftigen? Das war ja nicht gerade ein angesagtes intellektuelles Beschäftigungsfeld.

Ich kannte als Kind natürlich Einkaufsgenossenschaften, die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen waren. Aber zunächst hat mich dieses Feld nicht mitgerissen – Skepsis jedoch hatte ich auch nie entwickelt. Bis heute finde ich es erstaunlich, dass die Gemeinwirtschaft so wenig Beachtung findet.

Was unterscheidet Genossenschaften von anderen Unternehmensformen?

Sie sind darauf gerichtet, Ziele durchzusetzen, die von den normalen Marktprozessen nicht erreicht werden. Das ist wichtig. Dass man immer noch preiswert Lebensmittel einkaufen konnte, ist eine große Verbesserung für unglaublich viele Menschen gewesen und eine Erfindung der Konsumgenossenschaft.

Es hat Fehlentwicklungen …

… gegeben, ja, aber die co op AG ist ja als AG pleitegegangen, nicht als Genossenschaft.

Hat Genossenschaft noch Zukunft?

Natürlich! Im Wohnungsbau, in der Landwirtschaft, auch im Lebensmittelbereich – und im publizistischen Sektor, siehe die taz. Ich hoffe, dass es weiter möglich sein wird, manches, was an selbst organisiertem Wirtschaften heute interessant wird, über die Rechtsform der Genossenschaft zu gestalten.

Gibt es keine Probleme – etwa für junge Unternehmensideen?

Das Genossenschaftsrecht darf nicht dazu führen, dass die Bildung von gemeinwirtschaftlichen Unternehmen allzu aufwendig und kompliziert wird. Es wäre vernünftig, wenn die Bedingungen strikt ausformuliert werden, aber die Hürden vor der Gründung einer Genossenschaft nicht zu hoch sind.

Wo wären Genossenschaften modern noch denkbar?

Soziale Medien rufen eigentlich danach, dass sich Gleichgesinnte zu einem Netzwerk zusammenschließen – in einer Genossenschaft. Das wäre naheliegend. Und ich kann mir vorstellen, dass in bestimmten Konsumgüterbereichen mehr Genossenschaften nötig sind. Ob das nun unter dem Stichwort „Fairtrade“ stattfindet oder unter „biologische Lebensmittel“ ist einerlei.

Sind Sie taz-Geno-Mitglied?

Nein, nicht mehr. Meine Regel lautet: Ich bin, außer als – nicht aktiver – Anwalt in meiner Kanzlei – nirgendwo mehr an Unternehmen beteiligt. Das verhindert Interessenkollisionen.

Und falls Sie nicht mehr Bürgermeister von Hamburg sind?

Wäre das denkbar.

Was wünschen Sie der taz?

Persönlich, dass die taz und die Genossen auch in Zukunft glücklich sind. Dass sie angesichts der Veränderungen im Mediensektor immer wieder mit neuen Einfällen weiterkommen wollen. Die taz wird gebraucht!

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