Olympiaboykott 1980 im Rückblick: Der Frust der Sportler

Die Bundesrepublik blieb der Olympiade in Moskau fern - aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan. Brigitte Holzapfel und Heiner Brand erinnern sich.

Eröffnung der Sommerolympiade in Moskau 1980: Die bundesdeutschen Sportler mussten sie sich in der Glotze anschauen. Bild: dpa

Der Frust der Sportler
1980 boykottierte die Bundesrepublik die Spiele in Moskau. Brigitte Holzapfel und Heiner Brand erinnern sich

HAMBURG/BERLIN taz Natürlich hat auch Heiner Brand diese Bilder gesehen. Diese erschütternden Szenen von den Unruhen in Tibet, das seit Jahrzehnten unter der chinesischen Herrschaft leidet. Ihm ist bewusst, dass dies den Boykottbefürwortern der Olympischen Spiele 2008 in Peking neue Nahrung geben wird. Und doch ist der populäre Handball-Bundestrainer der deutschen Handballer, die als Weltmeister für das olympische Turnier qualifiziert sind, strikt gegen diesen geforderten Teilnahmeverzicht. "Ich bin gegen jede Form von Boykott im Sport", erklärt Brand. "Das ist das Allerschlimmste, was einem Athleten passieren kann."

Für Brand ist dieses Thema kein Neuland, er spricht aus Erfahrung. Als sich der bundesdeutsche Sport vor knapp 28 Jahren nach langen Debatten für einen Boykott der Olympischen Spiele 1980 ausgesprochen hatte, trat Brand, tief enttäuscht, im Alter von nur 28 Jahren aus dem Nationalteam zurück, wie auch seine Freunde Kurt Klühspies, Manfred Hofmann und Rudi Rauer. Auch Brigitte Holzapfel, Hochspringerin, war vom Boykott wegen der sowjetischen Afghanistanpolitik betroffen. "Da kommen keine guten Erinnerungen hoch", sagt sie heute. "Ein Boykott auf dem Rücken der Sportler - das ist zu einfach. Was ist mit der Wirtschaft?", fragt die Bundestrainerin der Hochspringer. "Es geht kein Konzern hin und sagt: Wir produzieren nicht mehr in China oder beliefern den chinesischen Markt." Auch damals hätten die Unternehmen ihre Kontakte zum Ostblock nicht unterbrochen, die Sportler allein mussten büßen.

Die Diskussion, die heute stattfindet, wurde damals mit den gleichen Argumenten geführt. Damals glaubte vor allem die US-Politik, mit einer Boykottdrohung die Verletzung eines Völkerrechtes rückgängig machen zu können. Als die Sowjetunion am 27. Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert war, hatte zuerst Nato-Generalsekretär Joseph Luns einen Olympiaboykott ins Spiel gebracht. Dann stellte US-Präsident Jimmy Carter zwei gleich lautende Rückzugsultimaten, und US-Außenminister Cyrus Vance forderte auf der Session des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die vor den Winterspielen in Lake Placid stattfanden, gar eine Absage oder Verlegung der Sommerspiele. Das IOC lehnte indes jeden Eingriff der Politik in den Sport ab. Es sei nicht richtig, Olympische Spiele "als Hebel zur Ausübung politischen Drucks zu benutzen", sagte das deutsche IOC-Mitglied Bertold Beitz.

Im Konflikt zwischen den beiden großen politischen Blöcken des Kapitalismus und Kommunismus schätzte Bundeskanzler Helmut Schmidt die Interessen der bundesdeutschen Sportler letztlich geringer ein als die Bündnistreue zu den USA und empfahl dem Bundestag schließlich einen Boykott. Dem entsprechenden Antrag stimmte der Bundestag am 23. April 1980 einstimmig zu. Die Olympischen Spiele könnten nicht isoliert vom Weltgeschehen betrachtet werden, lautete das politische Argument, aber es gab auch ethische Bedenken: Die Friedensidee der Olympischen Bewegung werde torpediert durch den sowjetischen Einmarsch.

Bereits im März 1980 hatte das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei beschlossen, nicht in Moskau teilnehmen zu wollen. Am 9. Mai 1980 entschied sich dann auch das Präsidium des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) mit 12:7 Stimmen gegen eine Teilnahme. Perfekt war der Boykott sechs Tage später, als die NOK-Vollversammlung diesen Beschluss in Düsseldorf mit 59:40-Stimmen untermauerte. Selbst ein flammender Appell des Florettfechters Thomas Bach, der sich damals als Aktivensprecher gegen einen Boykott aussprach, brachte keinen Umschwung mehr.

Auch Leichtathleten wie der Zehnkampf-Weltrekordler Guido Kratschmer, Holzapfel oder der Hammerwerfer Karl-Heinz Riehm fühlten sich um den Karrierehöhepunkt betrogen. Davon, dass Sportfunktionäre diesen Beschluss später als großen Fehler betrachteten, weil er eben nichts änderte an der politischen Lage in Afghanistan, konnten sich auch die Handballer wenig kaufen: Sie hatten das vergebliche Opfer erbringen müssen. Wie eben auch Brigitte Holzapfel (49), die sich für den Zeitraum der Spiele 2008 wünscht: "Wie in der Antike sollten während der Wettkämpfe alle Kriege ruhen."

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