Olympischer Gigantismus: Putins Spiele in XXL

Wie Russlands Präsident Wladimir Putin es schaffte, das teuerste Olympia-Spektakel aller Zeiten nach Sotschi zu holen. Wer davon profitiert und wer bezahlt.

Alles seins, auch das Skisprungzentrum, das achtmal so teuer wurde, wie geplant. Bild: dpa

Armeeeinheiten, die im Geschäftsviertel patrouillieren. Sicherheitsschneisen mit Metalldetektoren vor den großen Hotels. Sondereinheiten, die regelmäßig mit ihren Suchhunden durch die Tagungsräume streifen. Selten war das Businessviertel von Guatemala City so sicher wie an jenem 3. Juli des Jahres 2007. Das Internationale Olympische Komitee war zusammengekommen, um über den Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 zu entscheiden.

Am Flughafen der Stadt war eine riesige Frachtmaschine aus Russland gelandet. An Bord hatte sie alles geladen, was man braucht, um eine Eislaufbahn zu errichten. Die stand bald zwischen den beiden Hotels, in denen für die wichtigsten der Damen und Herren der Ringe Zimmer reserviert waren.

Und als die ersten russischen Eisläufer in der heißen Metropole ihre Pirouetten gedreht hatten, schwante es den meisten Beobachtern, dass das Rennen um Olympia 2014 längst entschieden war. Wenn die Russen es schaffen, Wintersport nach Mittelamerika zu exportieren, wird es ihnen ein Leichtes sein, den Schwarzmeerbadeort Sotschi in einen Hotspot für Schnee- und Eissport umzuwandeln.

Die Millionen, die der südkoreanische Samsung-Konzern in die Bewerbung von Pyeongchang investiert hatte, indem er Sportstiftungen weltweit mit Fördergeldern bedacht hatte, waren nichts im Vergleich zu dem Milliardenversprechen, das Russlands Präsident Wladimir Putin vor den 98 stimmberechtigten IOC-Mitgliedern abgegeben hatte. Salzburg wurde ohnedies schon vor der Abstimmung belächelt. Die Österreicher hatten doch tatsächlich geglaubt, das IOC mit ihrer Geschichte als Wintersportort, mit Mozart und einem Konzept, das auf vorhandene Sportstätten setzte, überzeugen zu können.

Putin bescherte der Welt dann noch einen unvergesslichen Auftritt, indem er sein Versprechen 12 Milliarden US-Dollar in die Spiele zu investieren bei seiner Rede auf Englisch machte. Als Sotschi zum Olympiaort gewählt wurde, saß Putin schon wieder im Flugzeug Richtung Heimat. Er war sich seiner Sache ganz sicher. Das IOC hatte ihm die Spiele beschert.

Angst vor dem großen Terroranschlag

Putin und seine Mannschaft mussten sich nicht einmal mehr bemühen, dem IOC die Angst vor dem kriegerischen Kaukasus zu nehmen. Kaum einer dachte an Tschetschenien oder das in diesen Tagen besonders terrorisierte Dagestan, als er sein Votum abgab. Schon ein halbes Jahr vor der Abstimmung hatte das IOC festgestellt, dass der islamistische Terror eine globale Bedrohung ist. Salzburg ist demnach genauso gefährdet wie Sotschi.

Doch spätestens seit den mörderischen Anschlägen in der südrussischen Stadt Wolgograd im vergangenen Dezember, bei denen 34 Menschen ums Leben kamen, ist die Angst in die olympische Familie gekrochen. Australiens Sportler sollen die offiziellen olympischen Pfade gar nicht verlassen, damit ihnen ja nichts zustößt. Und falls es zum großen Terroranschlag kommen sollte, steht für das US-Team eine schnelle Eingreiftruppe parat, die die ganze Mannschaft innerhalb kürzester Zeit ausfliegen kann.

Dem IOC bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu versichern, dass man den russischen Sicherheitsversprechen vertraut. „Ich war mir vor meiner Abreise sicher und das bin ich auch jetzt noch“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach am Montag.

Gernot Leitner erinnert sich noch gut an jenen Tag im Sommer 2007 in Guatemala City. Der ehemalige Beachvolleyballer war der Geschäftsführer der Salzburger Olympiabewerbung. Nachdem Putin seine Rede beendet hatte, stieg er auf das Podium und machte Reklame für seine Heimatstadt. „Ich war von unserer Sache überzeugt“, sagt er heute. „Technisch hatten wir das beste Konzept.“

Russlands zwielichtige Strippenzieher

Doch das war den Olympiern egal. Die Stimmen für Sotschi hatten sich die Russen längst auf dem diplomatischen Parkett organisiert. Da gibt es die Bilder von festlichen Empfängen für Vertreter des IOC im Kreml. Da gibt es aber auch die finsteren Geschichten von fiesen Strippenziehern.

Gafur Rachimov, ein russischer Geschäftsmann aus Usbekistan, soll einer dieser Typen gewesen sein. Der Sportfunktionär, der wegen Drogengeschäften mit internationalem Haftbefehl gesucht wird und noch Vizepräsident des Internationalen Amateurbox-Verbandes ist, soll so manchen stimmberechtigten IOCler aufgesucht haben. So wurde auch mit seinem Zutun aus einer Stadt, die von Sommerfrischlern in Russland geschätzt wird, eine Großbaustelle für den Wintersport.

Die Sportstätten für alle Disziplinen mussten erst errichtet werden. Das hatte es in der Geschichte der Winterspiele noch nie gegeben. „Wenn ich jemanden dafür kritisieren würde, würde ich mit dem Finger auf das IOC zeigen“, sagt Leitner dazu. In der Tat hat sich die olympische Dachorganisation selbst Regeln gegeben, die sie mit der Entscheidung für Sotschi ad absurdum geführt hat.

2005 veröffentlichte das IOC eine Art Handbuch für Olympiaorganisatoren, das „Technical Manual on Planning, Coordination and Management of the Olympic Games“. Darin stehen Empfehlungen wie: „Minimierung der Kosten und Maximierung des Nutzens von Trainings- und Wettkampfstätten.“ Oder: „Schluss mit dem Anlegen immer höherer Messlatten. Schluss mit Vergleichen zu vergangenen Spielen oder anderen Großereignissen.“ Über 50 Milliarden US-Dollar werden die Spiele von Sotschi am Ende gekostet haben, mehr als alle Winterspiele zuvor zusammen. Das IOC wollte es nicht anders.

Gernot Leitner hat damit kein Problem. Er kann inzwischen gut mit der Entscheidung für Sotschi leben. Er lebt auch von ihr. Der Verlierer von Guatemala ist einer der Profiteure der Spiele von Putin. In Salzburg leitet er eine Entwicklungsgesellschaft, die sich auf Sportstättenbau spezialisiert hat. Für das Organisationskomitee der Sotschi-Spiele hat er ein Verkehrskonzept entwickelt und den Bau der Biathlon- und Langlaufarenen in Krasnaja Poljana, dem Schneesportort oberhalb Sotschis, verwirklicht. Dass man vom Bergbahnhof aus mit Gondeln zu den Wettkampfstätten fahren kann, ist seine Idee.

Leitner hat miterlebt, wie aus einem verschlafenen Örtchen im Kaukasus ein Wintersportresort gemacht wurde, gegen das die beinahe Olympiastadt Garmisch-Partenkirchen beinahe wie ein Bauernkaff wirkt. „Das ist nicht Garmisch. Das ist drei Mal Garmisch“, sagt er.

Modernste Gondelanlagen

Innerhalb von sieben Jahren ist ein gigantischer Wintersportort aus dem Boden gestampft worden. Wo 2007 weder Kanalisation noch Gasanschlüsse vorhanden waren, stehen nun Nobelunterkünfte und riesige Jausenstationen, über die die Kabel der modernsten Gondelanlagen führen. 20.000 Hektar Wald wurden gerodet, so hat es die Organisation Umweltwacht Nordkaukasus dokumentiert.

Es sind vor allem österreichische Firmen, die vom Ausbau der Bergwelt profitieren. Sie erhalten den Lohn für Abmachungen, die Russland und Österreich vor der Abstimmung von Guatemala getroffen haben. Wer in der ersten Runde der Abstimmung am wenigsten Stimmen erhält, scheidet aus – so sehen es die IOC-Regeln vor.

Salzburg war der Verlierer der ersten Runde. Und die Unterstützer der österreichischen Bewerbung wechselten in der zweiten Abstimmungsrunde allesamt zum Kandidaten aus Russland. So war es zwischen Österreich und Russland vereinbart worden. Wer in der ersten Runde verliert, organisiert seine Stimmen für den anderen. Weil sich Österreich und seine Verbündeten an die Abmachung hielten, beginnen die Spiele am Freitag in Sotschi.

Auch Gernot Leitner hat seine Bande zu Sotschi früh geknüpft. Dmitri Tschernischenko war Leitners Pendant als Chef der Olympiabewerbung von Sotschi, bald war er Präsident des Organisationskomitees und der entscheidende Mann, wenn es um Aufträge für Neubauten und Erschließungen ging.

Leitner und Tschernischenko verstehen sich. Gemeinsam beackern sie seit 2009 die Felder, von denen keiner so ganz genau weiß, wie sie in den Besitz der Olympiaorganisatoren gekommen sind. „Die Grund- und Bodensicherung ist bei Olympischen Spielen immer ein großes Problem“, sagt Leitner, der von den Enteignungen weiß, ohne die die Bergwelt nicht für Olympia hätte planiert werden können.

In Russland, einem Land „ohne organisiertes Katasterwesen“ sei es besonders schwer, Ansprüche auf Ländereien zu überprüfen. „Da ist Russland ein wilder Fleck“, sagt er. „Es weiß kaum wer, wem was gehört.“ Grundbesitz basiere zum Großteil auf „nicht validen Papieren“.

Er versucht die olympische Landnahme zu erklären und sieht den Hauptschuldigen für die teilweise wilden Enteignungen beim IOC. Wieder erinnert er an die gescheiterte Münchner Olympiabewerbung und wie schwer man sich getan habe, von den Bauern die benötigten Grundstücke loszueisen. Jeden Pachtvertrag habe das IOC sehen wollen. „Und dann kommt Russland mit einem vom Präsidenten unterschriebenen Zettel: ’We make all land available‘“. Das IOC hätte es anders haben können.

Das IOC verschloss die Augen

Die Mitglieder des IOC haben auch gewusst, wer sich da im Juli 2007 in feinstem Englisch an sie gewandt hat. Putin war schon sieben Jahre Präsident in Russland. Längst hatte er die demokratische Verfassung durch seinen autoritären Führungsanspruch de facto außer Kraft gesetzt. Und doch wollte keiner murren, als Bewerbungschef Tschernischenko nach dem Abstimmungserfolg für Sotschi von einer „Chance für die junge Demokratie in Russland“ schwafelte.

Und auch das im Juni 2013 von der Duma einstimmig verabschiedete Gesetz, das „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ unter Strafe stellt, ist nicht vom Himmel gefallen. In einigen Regionen Russlands galten ähnlich formulierte Erlasse schon vorher und versahen homophobe Schlägerbanden, die brutal auf Schwule oder Lesben eindroschen, mit einer Art Rechtfertigung. In Rjasan südöstlich von Moskau ist Homosexualität schon seit 2006 offiziell geächtet. Das IOC wollte davon nichts wissen.

Als beinahe überall in der Welt gegen diese homophoben Gesetze demonstriert wurde, war das IOC immerhin so höflich, die Aktivistinnen, die sich für die Belange Homosexueller einsetzten, anzuhören. Als mehrere 100.000 Menschen Boykottaufrufe unterschrieben hatten, erklärte das IOC, dass Schwule und Lesben in Sotschi nichts zu befürchten hätten, wenn sie die Klappe hielten. Versuche, ein Pride House in Sotschi einzurichten, das bei den Spielen in London 2012 und Vancouver 2010 Treffpunkt schwul-lesbischer Sportler gewesen war, scheiterten am russischen Einspruch.

Die Organisatoren hatten da längst den Versuch aufgegeben, in Sotschi so etwas wie ein anderes Russland zu zeigen. Bürgerrechtler wie der Umweltaktivist Jewgeni Witischko von der Umweltwacht Nordkaukasus wurden wenige Tage vor Beginn der Spiele weggesperrt. Der selbsternannte Jungdemokrat und Cheforganisator Dmitri Tschernischenko hat die Regeln des IOC auf seine ganz eigene Weise interpretiert und wollte den Athleten bei Pressekonferenzen verbieten, ihre Meinung zu sagen.

Derweil patrouillieren Zehntausende Soldaten und Sicherheitskräfte in Sotschi, um die Besucher und Sportler vor den Bedrohungen zu schützen, die anderswo angeblich auch nicht geringer sind. Das Piepsen von Metalldetektoren ist allgegenwärtig an den Eingängen zum Olympiagelände. 2007 in Guatemala, als die Geschichte der Winterspiele von Sotschi begann, hat man es auch oft gehört.

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