„Open Access“ in der Wissenschaft: Zugang für alle!

Kommerzielle Verlage verdienen horrende Summen, indem sie staatlich finanzierte Forschungsergebnisse publizieren. Das ist undemokratisch.

Zu einer „Bücherboxx“ umfunktionierte Telefonzelle

Alles frei verfügbar: „Bücherboxx“ am Mierendorffplatz in Berlin Foto: Imago / Stefan Zeitz

Als die Welt noch analog war, haben Wissenschaftler*innen Artikel geschrieben, Verlage Zeitschriften herausgegeben und Bibliotheken sie ausgelegt. Der Weg vom Manuskript in den Lesesaal war teuer und lang – manchmal dauerte er Jahre.

Eine digitale Kommunikation sieht anders aus. Das dachte schon der Physiker Paul Ginsparg, als er 1991 in Los Alamos seinen Computer in einen Preprint-Server verwandelte und eine Tauschbörse für Fachartikel aus der Physik einrichtete. Damit war der Dienst arXiv.org erfunden. Einen euphorischen Moment lang schien es, als bräuchte die Wissenschaft keine Verlage mehr.

Paul Ginsparg gehört zu den Gründungsvätern der internationalen Open-Access-Bewegung. Sie wird zum einen getragen von Wissenschaftler*innen, denen es um neue Formen des akademischen Austausches geht, sowie von Bibliotheken, deren Budget unter steigenden Zeitschriftenpreisen leidet. Darüber hinaus sind Universitäten und Forschungsförderer beteiligt, die sich fragen: Wieso sollen öffentlich bezahlte Forschungsergebnisse nur einer privilegierten Minderheit zur Verfügung stehen?

Die Open-Access-Bewegung will den wissenschaftlichen Fortschritt beschleunigen und demokratisieren. Akademische Veröffentlichungen sollen „kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein … ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren“, heißt es in der Budapester Open-Access-Erklärung, die von knapp 6.000 Einzelpersonen und 800 Institutionen aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde.

Gewinnmargen bei 20 und 30 Prozent

Es geht um viel Geld: 2011 erwirtschafteten die Wissenschaftsverlage weltweit 9,4 Milliarden US-Dollar, 70 Prozent durch Subskriptionsgebühren von Bibliotheken. Den Markt teilen sich international agierende Konzerne wie Elsevier, Wiley-Blackwell, Thomson Science, Springer und Taylor & Francis. Ihre Gewinnmargen liegen schätzungsweise bei 20 und 30 Prozent.

Die Autorin ist geschäftsführende Leiterin des Kooperativen Bibliotheksverbundes Berlin-Brandenburg.

Warum publizieren Wissenschaftler*innen ihre Ergebnisse nicht einfach im Selbstverlag? Der Gründe rühren an den Eigengesetzlichkeiten des Wissenschaftsbetriebes: Publikationen sind eine der wichtigsten Währungen. Eine Veröffentlichung zählt mehr, wenn sie eine Begutachtung – ein Peer-Review – durchlaufen hat. Wird die Zeitschrift dann häufig zitiert und ist im Web of Science von Thomson Reuter gelistet, steigt ihr Wert weiter. Die Anzahl solcher Veröffentlichungen wird als Maß für die Produktivität und den Einfluss der Autor*innen angesehen.

Sich gegen dieses System stellen zu wollen ist besonders für junge Wissenschaftler*innen am Beginn ihrer Karriere schwer. So nimmt es nicht Wunder, dass eher arrivierte Professor*innen für Open Access kämpfen. Die Bewegung hat durchaus Erfolge zu verbuchen. Die Zahl der Artikel in einer der Open-Access-Spielarten – es wird unterschieden zwischen Gold, der reinen Lehre, und Grün, einer barrierefreien Zweitpublikation – steigt. 2013 war fast die Hälfte der wissenschaftlichen Artikel, zumindest einige Jahre nach Erstveröffentlichung, frei verfügbar.

Auch der politische Druck nimmt zu. Bis 2016 sollen 60 Prozent der Ergebnisse, die bei EU-geförderter Forschung erzielt wurden, frei zugänglich sein. Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten empfohlen, bei nationalen Forschungsprogrammen ähnlich vorzugehen. Dieser Ruf ist in Deutschland nicht ganz ungehört geblieben: Vergangenes Jahr haben die Wissenschaftsministerien in Baden-Württemberg und Schleswig Holstein „Open-Access-Strategien“ veröffentlicht. Förderorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft scheuen sich hingegen, Open Access zur Bedingung zu machen, und verweisen auf die Wissenschaftsfreiheit.

Unter dem Motto „Wir können auch anders” findet vom 5. bis 13. September 2015 in Berlin eine Wandelwoche mit anschließendem internationalen Kongress zur Solidarischen Ökonomie statt, die „Solikon 2015“.

In bewährter taz-Tradition kommt es aus diesem Anlass zu einer freundlichen Übernahme der Redaktion durch die beteiligten Gruppen. Sie werden die Wochenendausgabe vom 5./6. September 2015 produzieren. Ihr gemeinsames Thema: Die große Transformation. Dieser Beitrag ist Teil der 28-seitigen Sonderausgabe.

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Auch Verlage haben Open Access als neues Geschäftsmodell entdeckt. Das sieht dann so aus: Die Autorin zahlt für eine Online-Veröffentlichung in einer renommierten Zeitschrift, die den Artikel anschließend Open Access zur Verfügung stellt. Allerdings sind diese Hybrid-Modelle umstritten, weil die Bibliotheken weiter für den Zugang zur ganzen Zeitschrift zahlen.

In Berlin setzte Staatssekretär Steffen Krach eine Arbeitsgruppe zum Thema ein. Deren Leiter Martin Grötschel, designierter Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, ist exponierter Aktivist der Bewegung. Sollte sich Berlin trauen, Open Access in seinen Hochschulverträgen festzuschreiben, wäre eine wissenschaftliche Graswurzelbewegung in der Universität angekommen.

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