Open-Air Programm: Wachsendes Kunstdorf

Das Kunstprogramm im Vorfeld des Dockville-Festivals hat ein neues Kuratorenteam und heißt nun MS Artville. Auch konzeptionell ändert sich einiges.

Kritischer Kommentar zur hanseatischen Überheblichkeit: Jakobus Durstewitz Stadttor in Form des Hamburg-Wappens. Bild: Danilo Rößger

HAMBURG taz | Geschleppt, gehämmert, geschraubt und gemalt wird überall noch fleißig. Die Sonne brennt, aber Zeit, sich im Schatten der vielen Bäume auszuruhen, haben hier weder die Künstler noch all die Handwerker, die ihnen zur Hand gehen. Möglichst viel soll bis zum „Richtfest“, mit dem am heutigen Samstag zum achten Mal das Open-Air-Kunstprogramm im Vorfeld des Festivals MS Dockville eröffnet wird, noch fertig werden.

An der Unterseite eines Containers bringt Sebastián Muhr noch ein paar Fahrradräder an. Aber es fehlen Motoren, um seine Installation „Wheel Nest“ anzutreiben wie geplant. „Einfach nicht mehr rechtzeitig aufzutreiben“, sagt der chilenische Künstler, der seit Jahren alte Drahtesel zu raumgreifenden und quietschenden Maschinen zusammenbastelt und schon im letzten Jahr auf der Elbinsel zu Gast war. Statt sieben werden es wohl nur drei Motoren sein, die sein Geflecht aus Rädern und Riemen in Bewegung setzen, wenn die Bewegungssensoren wahrnehmen, dass jemand unter der Installation vorbeigeht.

Mit dem Charme des Unvorhersehbaren, Rohen und Wildwüchsigen hat das Camp der Künstler schon in den letzten Jahren ausgiebig gespielt und sich mit ausufernden Themen wie dem Setzen und Auflösen von Kategorisierungen oder dem Wuchern des Unkrauts beschäftigt. Auch in diesem Jahr wird auf dem Gelände am Reiherstieg-Hauptdeich ausdrücklich wieder ein großes Experimentierfeld entstehen: kreatives Chaos eben, alles im permanenten Prozess.

In Bewegung geraten ist dabei auch das organisatorische Umfeld des temporären Kunstdorfes auf der Industriebrache. Nach dem Weggang des bisherigen Kuratorinnen-Teams bekommt der offene Kunstraum nicht nur einen neuen Namen – auch konzeptionell soll sich einiges ändern. Statt Ergebnisse eines internen künstlerischen Prozesses auszustellen, soll das in MS Artville umgetaufte Kunstdorf nun vor allem das Prozessuale selbst erlebbar machen. Eingerahmt von vier Präsentationswochenenden lassen drei wöchentlich wechselnde Teams aus insgesamt 19 Künstlern und Kollektiven die Open-Air-Galerie allmählich wachsen.

Deutlich angewachsen ist damit auch das Musik- und Performanceprogramm, das an den Wochenenden Publikum aufs Gelände locken und die Grenzen zwischen Kunstausstellung und Festival aufweichen soll. Zu altbekannten Formaten wie dem Butterland-Open-Air, dem Vogelball und dem Poetry Slam „Kampf der Künste“ kommen unter anderem zwei „Sonnenfeste“, die Revue „Club der Dinge“ des Clubs Golem und ein von Fynn Steiner kuratierter Abend mit einer genreübergreifenden Zusammenkunft Hamburger Untergrund-Künstler.

Zahlreiche Kunstwerke sind dabei schon dieses Wochenende zu entdecken. Unübersehbar steht zunächst Jakobus Durstewitz’ Arbeit „¥€$, we can-can“ im Zentrum: Aus drei 40-Fuß-Seecontainern und alten Theaterkulissen lässt der Hamburger Künstler ein rotes Stadttor bauen, dessen Brüstung auch als Bühne diesen soll. In den Containern gestaltet die Weimarer Gruppe „$¥€“ in Zusammenarbeit mit Studierenden der Bauhaus-Universität eine Forschungsvilla im Kolonialstil, in der Themen wie Flüchtlingspolitik, Stadtentwicklung und hanseatische Überheblichkeit verhandelt werden sollen.

Andere Arbeiten sind eher unscheinbar und fügen sich in den Festivalkontext ein. Einen Wohnwagen haben die Street-Art-Künstler Zipper and The Corner in einen mobilen Veranstaltungsort verwandelt, der als Bar, Grillplatz oder DJ-Pult dienen kann. Genau hinsehen muss man auch, wenn man die Arbeit des Künstlerduos Zonenkinder entdecken will. Aus der Street-Art kommend, haben Carolin und Philipp Goldstein in den letzten Jahren die Stadtnatur als Leinwand entdeckt und eine ganz unscheinbare Form der Urban Art entwickelt: Mit Pinsel, Naturfarben und Modelliermasse verwandeln die Hamburger tote Bäume oder kleine Heuhaufen in lebendige, vergängliche Kunstwerke, oft ganz schlicht, indem sie Gesichter aufmalen. „The tree project“ heißt die Serie, die nun am Reiherstieg-Deich fortgesetzt wird.

■ Sa, 19. 7. bis Sa, 9. 8., MS-Dockville-Gelände, Am Reiherstieg
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