Opposition in Russland: Keine Spur von „Massenaufruhr“

Eine unabhängige Kommission legt einen Bericht zu den Protesten in Moskau im Jahr 2012 vor. Die Polizei setzte gezielt auf Eskalation.

Ein Teilnehmer der Protestaktion am 6. Mai 2012 in Moskau wird festgenommen. Bild: reuters

MOSKAU taz | Der Bolotnaja-Platz im Moskauer Zentrum verwandelte sich am 6. Mai 2012 für einige Stunden in ein Schlachtfeld. Einen Tag vor der Amtseinführung Wladimir Putins veranstaltete die Opposition einen „Marsch der Millionen“, womit sie gegen die Rückkehr des Präsidenten in den Kreml protestierte. Den Organisatoren wird seither von der Ermittlungsbehörde unterstellt, es auf eine „massive Störung der öffentlichen Ordnung“ angelegt zu haben.

Dagegen wendet sich jetzt ein Untersuchungskomitee, das im Dezember von zwei Dutzend Vertretern der Öffentlichkeit ins Leben gerufen wurde – darunter Menschenrechtler wie Ludmila Alexejewa, aber auch Exwirtschaftsminister Jewgeni Jassin. Sie sammelten Video- und Bildmaterial und befragten 600 Zeugen. Im Ergebnis hält die Kommission fest, dass es „keinen Massenaufruhr“ gegeben habe.

Stattdessen gebe es ausreichend Belege, dass die Ordnungshüter gezielt auf Eskalation hingearbeitet hätten. In Schlüsselmomenten waren Polizei und Truppen des Innenministeriums für die Organisatoren des Marsches nicht erreichbar. Auch wurden Demonstranten, die nicht in die Auseinandersetzung geraten wollten, von der Polizei im Kessel festgehalten.

Für Verwunderung sorgte der Umstand, dass von den identifizierbaren Steinewerfern aus der Masse der Demonstranten nicht ein einziger vor Ort oder später festgenommen wurde. Zeugen wollen beobachtet haben, wie Provokateure ungehindert durch die Reihen der Sicherheitsorgane gelangten. Auch daraus schließt der im Internet abrufbare Bericht, dass den Verantwortlichen an Krawall gelegen war, um die Demonstranten mit Gewalt abzuschrecken.

Bauarbeiten am Tag vor den Protesten

Dass ausgerechnet am Ort der Kundgebung einen Tag zuvor Kanalarbeiter den Asphalt aufbrachen und ihn zu handlichen Stückchen verarbeiteten, rief auch Unverständnis hervor. „Selbst für die letzen 15 Jahre totaler Gesetzlosigkeit“ seien diese Ereignisse „beispielllos“, meinte der Soziologe Georgi Satarow.

Im Zusammenhang mit den staatlichen Ermittlungen wurden Hunderte Beamte zusätzlich nach Moskau verlegt, um Demonstranten im Nachhinein dingfest zu machen. Die Jagd nach mutmaßlichen Ruhestörern ist auch nach einem Jahr nicht abgeschlossen. Mehr als 15 Demonstranten sitzen seit Monaten in Untersuchungshaft, andere wurden zu Hausarrest verurteilt. Den Angeklagten drohen Haftstrafen bis zu acht Jahren.

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