Oppositionsarbeit in Birma vor der Wahl: Lektionen in Demokratie

Einst saßen hunderte Mitglieder der NLD im Gefängnis. Nun bereiten sie sich auf die Wahl vor und stoßen an die Grenzen der Verfassung.

Aung San Suu Kyi schneidet eine Geburtstagstorte

Die Ikone der Opposition: Aung San Suu Kyi bei der Feier ihres 70. Geburtstages am Wochenende. Foto: reuters

RANGUN taz | Sie sind schon seit halb fünf wach. Ein Projektor strahlt geschwungene Buchstaben an eine schmutzige Wand, eine Gruppe diskutiert über Südafrikas Apartheidsystem. Drückend heiß ist die Luft, die im Raum steht. Dauernd klingeln Handys, überall liegen Laptops, Dokumente und Bücher wild herum. In Birmas größter Stadt Rangun lernt der politische Nachwuchs Englisch und bereitet sich auf eine bessere Zukunft vor.

„Ich bin keiner dieser Parteisoldaten, ich bin ein Diener meines Landes“, meint Nay Chi Win. Der 34-Jährige hat mehr als vier Jahre im Untergrund gelebt, sich vor dem Staat versteckt, Überlebensstrategien entwickelt. Jetzt entwickelt er Strategien für seine Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD). Es ist die Partei von Aung San Suu Kyi, die sie hier alle verehren.

Als die Friedensnobelpreisträgerin im November 2010 aus ihrem Hausarrest freigelassen wurde, war Win einer ihrer engsten politischen Berater, koordinierte ihr Büro und eingehende Glückwunschtelefonate: „Angela Merkel war auch einmal am Apparat, ich habe sie durchgestellt“, erinnert er sich.

Nay Chi Win ist seit 1999 Mitglied der NLD. Wenige Monate zuvor erst hatten Aung San Suu Kyi und andere Regimekritiker die Partei gegründet.

16 Jahre Hausarrest

Als die Opposition bei den Wahlen 1990 einen Erdrutschsieg verbuchen konnte, weigerte sich das Militär, seine Macht abzugeben – und reagierte mit scharfer Repression. Fast 16 Jahre lang sollte Aung San Suu Kyi in den Jahren darauf in Hausarrest und im Gefängnis verbringen. Als die Junta dann im Jahr 2010 überraschend Wahlen ankündigte und Generäle wie der heutige Präsident Thein Sein ihre Uniformen auszogen, um als „zivile“ Politiker die Macht zu übernehmen, kam auch Aung San Suu Kyi frei.

Seitdem ist auch der NLD-Aktivist Nay Chi Win wieder dabei, baut an dem politischen Fundament, unterrichtet Studenten die Grundlagen von Englisch und Demokratie.

In seinem Appartement im Zentrum von Rangun treffen sich junge Interessierte aus dem ganzen Land. Kinder von jenen, die noch vor wenigen Jahren im Gefängnis saßen. Die Gruppe analysiert Konflikte aus der ganzen Welt, um Lösungen für die eigenen zu finden.

Dabei stolpert sie immer wieder über die Verfassung Birmas: 2008, bevor das Land seine politische Metamorphose vollzog, hatte die damalige Militärjunta noch eine neue Verfassung ins Leben gerufen, die die alten Kader über die Zeit retten sollte. Darin enthalten ist der Artikel 436, der dem Militär im Parlament 25 Prozent der Sitze garantiert, ohne dass es sich zur Wahl stellen müsste. Besonders schön für die Generäle: Verfassungsänderungen sind nur mit 75 Prozent der Stimmen möglich.

Alles etwas schwerfällig

„Wir erwarten nicht, dass sich die gesamte Situation ändert“, sagt NLD-Sprecher Nyan Win. Aber er hoffe, dass sich die Militärs irgendwann doch bewegen.

Der 71-jährige Jurist gehört zur alten Generation der Partei, er spricht leise und behutsam, manche Antworten wirken etwas schwerfällig. „Schwerfällig“ sei auch die Bevölkerung, die die Verfassungsproblematik zwar kennt, aber viel mehr auch nicht: „Die Menschen sind noch nicht bereit für die Demokratie. Daher versuchen wir, ihnen die Verfassung erst einmal zu erklären“, sagt Win.

Mehr als fünf Millionen Unterschriften haben sie im vergangenen Jahr gesammelt, um Artikel 436 abzuändern. Dass die Militärs sich nicht einfach selber abwählen werden, weiß Nyan Win auch. Ein NLD-Abgeordneter, der die Generäle im Parlament beobachtet und namentlich nicht genannt werden will, wird noch deutlicher: Obwohl die Regierungspartei hier und da Kompromisse eingehe und in den Ausschüssen ihre Parlamentsspielchen mache, seien das „in Wahrheit alles Hardliner, die sich dem Volk gegenüber als moderate Kräfte geben. Und die einzige Partei, die einzige Person, mit der sie nicht zusammenarbeiten wollen, sind die NLD und Aung San Suu Kyi.“

Die Nationale Liga für Demokratie hat bei den Nachwahlen vor drei Jahren 43 von 44 vakanten Sitzen gewonnen. Noch spielt sie im Parlament keine entscheidende Rolle – doch von den derzeit elf Parlamentsparteien genießt sie den größten Zuspruch im Vielvölkerstaat. Mit Ablegern in fast allen Dörfern und nach eigenen Angaben mehr als 1,2 Millionen Mitgliedern strebt die Partei danach, im November die stärkste politische Kraft zu werden.

Auch NLD-Aktivist Nay Chi Win arbeitet daran, dass mithilfe seines Projekts in Zukunft eine ernst zu nehmende Demokratie in Birma entsteht. Dass es gelingt, wagt er noch nicht vorauszusagen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.