Oppositionschef Florian Graf (CDU): „Ein Kulturkampf gegen Autofahrer“

Rot-Rot-Grün bevormunde die BerlinerInnen, sagt CDU-Fraktionschef Florian Graf. Die geplante Sperrung von Unter den Linden kritisiert er als Verbotspolitik.

„Wechsel gehört zur Demokratie“: Für Florian Graf (CDU) selbst geht es von der Regierungsbank in die Opposition Foto: dpa

taz: Herr Graf, wie ist das, nach fünf Jahren als Regierungspartei nur Zuschauer bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen zu sein?

Florian Graf: Der Wechsel gehört zur Demokratie. Wir nutzen die Zeit, uns auf die Rolle der Opposition vorzubereiten, und beobachten selbstverständlich die Koalitionsverhandlungen sehr genau.

Das skurrile, fast schizophrene bei Ihnen ist ja: Nun sind Sie Oppositionsführer, aber sitzen zugleich auch dienstags bei der Sitzung des noch bis Dezember amtierenden rot-schwarzen Senats mit am Tisch.

Diese Übergangszeiträume muten tatsächlich etwas merkwürdig an. Aber es ist ja klar, dass der amtierende Senat jetzt keine wegweisenden Entscheidungen mehr treffen kann, während sich eine absehbar neue Konstellation auf politische Ziele verständigt.

Eine Ihrer ersten Aktionen in dieser Rolle war, empört auf die rot-rot-grüne Entscheidung zu reagieren, die Straße Unter den Linden weitgehend autofrei zu machen. Verkehrsideologische Umerziehung nennen Sie das. Was ist so schlimm am ungestörten Flanieren in Berlins Mitte?

Ich halte das für eine völlig unüberlegte Symbolpolitik …

… genau das soll es ja auch sein: ein klares Symbol, weit über die Straße Unter den Linden hinaus.

„Ich will unsere Mitglieder stärker an inhaltlichen Fragen beteiligen“

Für mich ist das ein Kulturkampf gegen Autofahrer. Jeder, der sich mit der dortigen Verkehrssituation beschäftigt, muss erkennen, dass der Verkehr nicht über Nebenstraßen abfließen kann und dass das eben zu einem Kollaps führen muss. Damit wir uns richtig verstehen: Ich finde es gut, Freiräume in der Innenstadt zu nutzen. Die CDU hat deshalb beispielsweise das Projekt Flussbad am Bodemuseum maßgeblich vorangetrieben – das gehört für uns auch zu einer lebenswerten Metropole.

Heißt das im Umkehrschluss: Wenn es ein Konzept gäbe, das Staus verhindert, hätten Sie nichts gegen die Sperrung von Unter den Linden?

Es ist die völlig falsche Priorität, dieses Thema so nach vorne zu rücken. Für mich ist in der Verkehrspolitik viel dringender, wie wir zu einer Sanierung der Straßen und zu einem vernünftigen Mix aller Verkehrsträger kommen, zu einer besseren Verkehrslenkung und Baustellenkoordination.

43, der gebürtige Tempelhofer und Diplom-Verwaltungswirt sitzt seit 2006 für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit 2011 ist er Fraktionsvorsitzender.

Warum hält die CDU so grundsätzlich daran fest, dass individuelle Freiheit sich trotz umweltfreundlicher Alternativen so sehr in der Freiheit zum Autofahren manifestieren muss?

Richtig ist, auf neue Technologien und verbrauchsärmere Fahrzeuge zu setzen. Aber wir werden uns immer dafür aussprechen, dass jeder selbst entscheiden kann, auf welche Weise er mobil sein will. Dieser Vorstoß von Rot-Rot-Grün ist doch Bevormundung. Man will den Leuten vorschreiben, wie sie ihr Leben zu führen haben. Das kennen wir von diesen Parteien ja auch aus der Schulpolitik. Auch da gibt es bei SPD, Linken und Grünen die Tendenz, Eltern vorgeben zu wollen, was für ihre Kinder gut ist. Ich bevorzuge hier wie dort Vielfalt und Eigenverantwortung.

Aber mit dem großen Unterschied, dass die freie Entscheidung fürs Gymnasium statt für die Sekundarschule nicht mit belastenden Abgasen verbunden ist. Da hinkt doch Ihr Vergleich.

Dann erklären Sie mir doch mal, wieso die Umweltbelastung geringer sein soll, wenn die Autos nicht Unter den Linden fahren, sondern in Nebenstraßen im Stau stehen.

Das ist einfach: Weil diese Autofahrer das Symbolhafte dieser Entscheidung erkennen und dort nach Möglichkeit gar nicht erst per Auto unterwegs sein sollten.

Zu glauben, ich könnte Autofahrer umerziehen, indem ich einen großen Boulevard zur Fußgängerzone mache, ist doch der falsche Weg. Klimaschutz ist ein wichtiges Ziel, aber dabei muss man für neue Technologien werben, statt auf Verbote zu setzen.

Aber der Staat setzt doch in vielen Feldern auf Verbote, um eine Verbesserung zu erreichen, egal ob CDU oder SPD in der Regierung sitzen – etwa beim Rauchverbot.

Zu einem Masterplan für die Zukunft unserer Stadt gehört auf jeden Fall mehr als dieses Klein-Klein. Mein Anspruch ist, dass die künftige rot-rot-grüne Koalition mal auf den Tisch legt, wie sie die wirtschaftliche Prosperität und die Attraktivität Berlins sichern will.

Dass Sie da jetzt nicht mit verhandeln, hat einiges mit dem schlechtesten Berliner CDU-Wahlergebnis überhaupt zu tun: nur 17 Prozent. 1999 waren es mal sagenhafte 40,8 Prozent. Was muss sich ändern?

Das Wahlergebnis ist ein tiefer Einschnitt, dessen Aufarbeitung ein längerer und oft vielleicht auch schmerzhafter Prozess sein wird. Die CDU wird mit ihren Mitgliedern diskutieren müssen, welche Richtung wir uns geben, und eine inhaltliche Agenda formulieren. Ich glaube, dass es dabei auch zu kulturellen Änderungen kommen muss …

… und das heißt was?

Das Wahlergebnis spiegelt das fehlende Vertrauen der Menschen in den Staat wider, dieser könne die notwendigen Entscheidungen im Interesse der Bürger definieren und umsetzen. Da müssen wir ran. Die Wählerinnen und Wähler müssen uns künftig wieder zutrauen, die Probleme dieser Stadt zu lösen – in der gesamten Stadt.

Aber wie?

Bei der inhaltlichen Debatte werbe ich dafür, unsere Mitglieder intensiv einzubeziehen. Aber wir müssen auch darüber beraten, wie wir für verschiedene Bevölkerungsteile Anreize setzen, sich in unserer Partei zu engagieren und Impulse, Sachverstand und Ideen einzubringen. Außerdem sollten wir Menschen ohne Parteibuch mehr Gelegenheit geben, Vorschläge einzubringen.

Ein Versuch, die Mitglieder mehr zu beteiligen, ist ja offenbar der in Steglitz-Zehlendorf geplante Mitgliederentscheid über den CDU-Bundestagkandidaten.

Das entscheiden die Kreisverbände eigenständig, und in einigen wird dies auch umgesetzt. Aber es geht mir auch darum, die Mitglieder an inhaltlichen Fragen zu beteiligen. Ich bin immer offen dafür, solche Wege zu gehen.

Frank Henkel wird ab 8. Dezember nicht mehr vorn auf der Senatsbank sitzen, sondern als einfacher CDU-Abgeordneter inmitten der CDU-Parlamentarier. Welche Rolle sehen Sie für ihn künftig?

Mit Frank Henkel arbeite ich seit vielen Jahren sehr gut und vertrauensvoll zusammen. Seine Erfahrungen aus der Regierungszeit und als früherer Fraktionsvorsitzender werden für die Fraktionsarbeit einen hohen Wert haben.

Schon sechs Tage vorher wird Henkel auch nicht mehr Parteichef sein – Monika Grütters soll ihn dann ablösen. Warum sie, die als Kulturstaatsministerin ein äußerst enges Zeitkorsett hat? Warum nicht Generalsekretär Kai Wegner, der eher die Zeit mitbrächte, die der Neuaufbau Ihrer Partei verlangen wird?

Sehen Sie, es gibt etliche Landes- und Bundesvorsitzende – übrigens nicht nur in der CDU –, die ein hohes Staatsamt bekleiden. Das Zeitbudget spielt dabei nicht die entscheidende Rolle. Für mich ist vielmehr entscheidend, dass Monika Grütters eine sehr gute Besetzung ist, weil sie eine hervorragende Arbeit als Kulturstaatsministerin leistet, weil sie unsere Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl sein wird und weil sie auch einen bürgerlichen Gegenentwurf zu Rot-Rot-Grün darstellen kann.

Aber anders als in Ländern, wo die CDU sicher regiert und ein Ministerpräsident den Parteivorsitz locker nebenher machen kann, sind die Berliner Mitglieder nach der Niederlage erschüttert und werden viel Zeit und viele Streicheleinheiten einfordern, und zwar von der Chefin und nicht von einem Vertreter. Zeit, die Grütters nicht hat.

Ich sehe da kein Problem. Ich bin sicher, dass sie mit einem guten Team im Landesvorstand diese Aufgaben hervorragend bewältigen kann. Meine Unterstützung hat sie dabei.

In der Opposition sind Sie ja nicht allein, da sitzen noch FDP und vor allem die AfD neben Ihnen. Wie stellen Sie sich das Verhältnis zur AfD im Parlament vor?

Mein Fokus liegt darauf, die Auseinandersetzung mit Rot-Rot-Grün zu führen. Für eine Zusammenarbeit mit der AfD sehe ich keine Ansatzpunkte. Ich rate dazu, dass sich das Parlament stärker mit den Inhalten von Anträgen auseinandersetzt als mit den Antragstellern. Dabei dürfte auch sehr schnell klar werden, dass die Wahrnehmung der AfD, sie werde von den etablierten Parteien ausgegrenzt, ein Trugbild ist. Sie wird allenfalls ihrer Inhaltslosigkeit überführt.

Um den Bogen zum Beginn unseres Gesprächs zu schlagen: Wenn die AfD beantragen würde, den Boulevard Unter den Linden auf keinen Fall für Autos zu sperren, würden Sie dann zustimmen?

Gehen Sie mal davon aus, dass die CDU immer zügig klar machen wird, wo sie steht – und da schauen wir nicht nach links oder rechts, wer uns hinterherläuft. Alles Weitere klären wir im konkreten Tagesgeschäft.

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