Organskandal in München: Laborwert „schlicht vergessen“

Vier leitende Ärzte am Münchner Klinikum rechts der Isar wussten seit Anfang 2010 um einen Manipulationsverdacht bei der Organvergabe. Konsequenzen hatte das nicht.

Bewusst unter den Teppich gekehrt? Die Vorwürfe wiegen schwer. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Leitung des Münchner Universitäts-Klinikums Rechts der Isar war bereits seit Januar 2010 über mindestens einen Verdacht auf Datenmanipulation bei der Organvergabe informiert. Sowohl der Ärztliche Direktor als auch der Chefarzt der Chirurgie, der Direktor der II. Medizinischen Klinik (Gastroenterologie) sowie der Leiter des Transplantationszentrums hätten 2010 Kenntnis gehabt von dem Fall einer leberkranken Patientin, die aufgrund vertauschter Blutwerte vorzeitig eine Spenderleber bekam, teilte das Klinikum am Freitag mit. Mit ihren tatsächlichen Laborwerten hätte diese Leber der Patientin nach den Vergabekriterien zu diesem Zeitpunkt nicht zugestanden.

Allen vier Ärzten sei - ebenfalls bereits zum damaligen Zeitpunkt, und keineswegs erst jetzt – „die Existenz einiger von Mitarbeitern angefertigten Gedächtnisprotokolle“ über diesen Fall bekannt gewesen, so das Klinikum. Bislang war nur bekannt, dass der Direktor der II. Medizinischen Klinik eines dieser Gedächtnisprotokolle in seinem Schreibtisch mehr als zwei Jahre lang aufbewahrt hatte. Tatsächlich aber hat er seine drei anderen Kollegen hierüber bereits 2010 informiert, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen hatte. Damit vergrößert sich der Kreis der schweigenden Mitwisser.

Weshalb keiner der vier leitenden Ärzte damals die Unregelmäßigkeit dem bayerischen Wissenschaftsministerium oder der Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer meldete, ist weiterhin unklar. Aus Klinikkreisen hieß es am Freitag, die Chefs hätten den Verdacht entweder bewusst unter den Teppich kehren wollen oder ihn damals einfach in seiner Dimension unterschätzt.

„Kommunikationsfehler“

Tatsächlich hatten der Ärztliche Direktor der Klinik und der damalige Leiter des Transplantationszentrums noch im August 2012 in einem gemeinsamen Gespräch mit der taz erklärt, sie hätten zwar bereits im Jahr 2010 „von einem falsch übermittelten Laborwert“ an die Stiftung Eurotransplant Kenntnis gehabt. Diese Panne sei aber eindeutig einem „Kommunikationsfehler“ geschuldet und keineswegs vorsätzlicher Manipulation. Ein neuerer Labowert der Patientin sei bei der Übermittlung „schlicht vergessen“ worden, so die beiden Ärzte damals.

Die Pressestelle des Klinikums versicherte am Freitag, es habe nach dem Hinweis bereits im Jahr 2010 eine klinikinterne Prüfung des einen Falls gegeben. Diese sei zu dem Ergebnis gekommen, "dass eine Verwechslung von Laborröhrchen vorgelegen" habe. Nachweise für eine vorsätzliche Manipulation hätten sich dabei jedoch nicht ergeben. Dieser Verdacht habe sich erst Anfang Oktober 2012 erhärtet, und zwar "nach Vorlage von Ausdrucken der im EDV-System des Klinikums bereits im Januar 2010 als fehlerhaft gelöschten Laborbefunde".

Klinikmitarbeiter sagten der taz, es bestünden Zweifel, ob die Leitung 2010 ein Interesse daran gehabt habe, dem Verdacht wirklich nachzugehen. Hätte sie dies tun wollen, dann sei ein Anruf bei der für die Organvergabe zuständige Stiftung Eurotransplant zum Datenabgleich "das Mindeste" gewesen. Doch diesen entscheidenden Anruf hat es offenbar nie gegeben: "Eurotransplant kann Ihnen mitteilen, dass das Transplantationszentrum München Rechts der Isar im Jahr 2010 keine offizielle Anfrage zur Klärung einzelner Fälle an Eurotransplant gerichtet hat", sagte der Medizinische Direktor von Eurotransplant, Axel Rahmel, am Freitag der taz. Eurotransplant sei gern bereit, seinen Teil zur Aufklärung beizutragen: "Wir können anhand unserer Daten prüfen, ob uns bereits im Jahr 2010 aus München Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gemeldet worden sind", so Rahmel.

Ein Sprecher des bayerischen Wissenschaftsministeriums sagte unterdessen am Freitag der taz, bereits am vorigen Samstag bei der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung zur Krise am Klinikum Rechts der Isar sei der Verdachtsfall besprochen worden. Die Einschätzung des Ärztlichen Direktors Reiner Gradinger von 2010, wonach vorsätzliche Manipulation auszuschließen sei, sei zudem in einem Schreiben Gradingers an die drei anderen Ärzte aus dem Jahr 2010 dokumentiert. Dieses Schreiben - das von einiger Brisanz bei der Beurteilung der Frage sein dürfte, wer wann was am Klinikum gewusst hat - habe den Teilnehmern der Aufsichtsratssitzung am Samstag übrigens vorgelegen. Dass die Öffentlichkeit hierüber durch das Ministerium bislang nicht informiert wurde, rechtfertigte der Ministeriumssprecher mit den "laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft". Die Existenz des Schreibens hatte der Bayerische Rundfunk am Donnerstag publik gemacht.

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