Ozeanforscherin über Geschlechterfrage: „Eine Frau wird immer noch hinterfragt“
Johanna Baehr war 2009 die erste Professorin am Hamburger Institut für Meereskunde. Bis heute sind Frauen in der Ozeanologie rar.
taz: Frau Baehr, warum erforschen Sie ausgerechnet Ozeanzirkulation?
Johanna Baehr: Weil es ein wahnsinnig spannendes Forschungsgebiet ist. Die meisten Leute denken bei Ozeanen entweder an Tiere, die da rumschwimmen, oder an Wellen an der Oberfläche. Mein Thema ist aber die Physik des Ozeans: Wie bewegt sich der Ozean, wie fließen die großen Meeresströmungen, was passiert unterhalb der Oberfläche. Denn der Ozean ist ja im Mittel circa 4.000 Meter tief, und der sitzt da nicht einfach nur rum. Der bewegt sich.
taz: Wann nahm die Forschung die Rolle des Ozeans beim Klimawandel in den Blick?
Baehr: Relativ spät. Zunächst hat sich die Forschung zum menschengemachten Klimawandel auf die Atmosphäre konzentriert, wo sich der Treibhauseffekt abspielt. Später verstand man, dass der Ozean einen wesentlichen Teil der Wärme aufnimmt und damit ein CO2-Speicher ist. Das hat allerdings den Schönheitsfehler, dass der Ozean mehr Emissionen aufnehmen kann, je kälter er ist. Außerdem gibt er die Wärme wieder in die Atmosphäre ab. Selbst wenn wir sofort aufhören, Treibhausgas auszustoßen, wird der Ozean noch lange Wärme abgeben. Das alles zu erforschen und zu verstehen begeistert mich.
taz: Trotzdem fanden Sie Zeit, jetzt eine Ausstellung über Frauen in der Meeresforschung zu initiieren. Warum eigentlich?
Baehr: Weil Frauen in der Forschung – und speziell in den Naturwissenschaften – immer noch nicht selbstverständlich sind. Deshalb haben wir aus norddeutschen Instituten Porträts und Notizen von elf noch lebenden Frauen zusammengetragen. Viele haben Führungspositionen. Wir wollen zeigen, dass es sie gibt, dass sie aber immer noch Pionierinnen sind – für das Deutschland des 21. Jahrhunderts eigentlich ein Armutszeugnis.
taz: Haben Sie selbst im Lauf Ihrer Karriere die Gläserne Decke gespürt, sind als Frau ausgebremst worden?
Baehr: Ja. Schon im Studium habe ich den Satz gehört: „Als Frau müssen Sie das nicht wissen.“ Es war als lustiger Spruch gemeint. Aber da unter den 40 Anwesenden zwei Frauen waren, fand ich das nur mittelwitzig. Damals habe ich das weggelächelt. Aber als ich während meiner Promotion überlegte, in der Forschung zu bleiben und gleichzeitig eine Familie zu gründen, habe ich nach einem Vorbild gesucht, einer Ozeanographie-Professorin mit Kindern. In Europa habe ich keine gefunden. 2006 bin ich für mein Postdoktorat mit meinem Mann und einem Kleinkind für zwei Jahre in die USA gegangen. Dort fand ich die Professorinnen mit Kindern. Bevor ich zurück nach Deutschland ging, fragten mich meine US-Kolleginnen: Warum willst du 20 Jahre in der Zeit zurückreisen? In der Tat war ich 2009 die erste Professorin am Hamburger Institut für Meereskunde. Als Frau stand ich da besonders unter Beobachtung.
taz: Was bekommen Sie bis heute zu hören?
Baehr: Es gibt immer noch Kollegen, die finden: „Wenn du Wissenschaft betreibst, brauchst du keine anderen Hobbies.“ Wobei mit Hobby das ganze restliche Leben gemeint ist. Und wer Familie und Freunde hat und schätzt, nimmt dann eben die Wissenschaft nicht ernst. In der Tat muss eine forschende Frau mit viel Begeisterung bei der Sache sein, denn sie wird oft hinterfragt – explizit oder implizit.
Ausstellungseröffnung „Breaking the Surface. Frauen in der Meeresforschung“: Donnerstag, 24.7., 17:30 Uhr, Internationales Maritimes Museum Hamburg, Koreastr. 1, läuft bis 30.12.2025
taz: Und wie effektiv fördert Ihr Institut junge Forscherinnen?
Baehr: Hier im Fachbereich Erdsystemwissenschaften haben wir seit ein paar Jahren genauso viele Professorinnen wie Professoren. Das hängt teils mit der Fakultätsleitung zusammen, teils damit, dass wir uns mit der gesetzlichen Vorgabe, bei gleicher Eignung eine Frau einzustellen, erst befassen mussten und es dann immer stärker wollten. Aber unter den naturwissenschaftlichen Fachbereichen hier sind wir die Ausnahme, und nach oben wird die Luft dünn: Hamburgs Uni insgesamt hat einen Professorinnenanteil von 35 Prozent. Nach wie vor habe ich jede Woche mindestens einen Termin, bei dem ich die einzige Frau bin in der Runde.
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