Palästinensische Wirtschaft: Gaza braucht den Export

Die Lieferung von mehr israelischen Waren lindert Probleme. Doch viel wichtiger ist die Ankurbelung der seit Jahren daniederliegenden palästinensischen Wirtschaft.

Auf den ersten Blick sieht man den Mangel nicht: Supermarkt in Gaza. Bild: ap

JERUSALEM taz | Mit der künftig erlaubten Einfuhr von Schokolade, Marmelade, Keksen und Gewürzen wird sich an der Misere der meisten Menschen im Gazastreifen grundsätzlich nichts ändern. Der ein oder andere Betrieb, der für den lokalen Markt produziert, wird die Arbeit wieder aufnehmen. Es sollen Schulen und Abwasseranlagen gebaut, kaputte Häuser saniert werden. Doch solange die Exportwege versperrt bleiben, werden die 1,5 Millionen Menschen in Gaza unverändert auf ausländische Spendengelder angewiesen bleiben.

Die Bilanz nach genau drei Jahren Embargo ist erschreckend. Fast 60 Prozent der Bevölkerung müssen, nach Untersuchungen der Weltbank, mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Die Armutszahlen der internationalen Hilfsorganisationen variieren zum Teil. Besonders hoch greift die UNRWA (UN-Abteilung für palästinensische Flüchtlinge), wenn sie feststellt, dass gut 10 Prozent der Menschen bereits mangelernährt seien. Jon Ging, Chef der UNRWA in Gaza, sagt, dass "einer von fünf Menschen in Gaza nicht in der Lage ist, sich und seine Familie zu ernähren, selbst mit Hilfe der UNO". Die Zahl der besonders hart betroffenen Menschen habe sich allein seit Jahresbeginn verdoppelt. "Das ist natürlich eine vorhersehbar gewesene Konsequenz der Blockade", so Ging diese Woche.

Tatsächlich lag der größere Einbruch für die Wirtschaft bereits im Vorfeld der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen. Bis zum Sommer 2005, dem Jahr, als Israel die Siedlungen räumte und die Truppen vor die Grenzen zurückzog, arbeiteten 35.000 Angestellte in 3.900 Unternehmen, vor allem in der Textilverarbeitung. Laut einer Statistik des Palästinensischen Handelszentrums (Pal Trade) ging die Zahl bis Mitte 2007 bereits auf 780 Unternehmen zurück. Heute, drei Jahre nach Beginn der Blockade, arbeiten nur noch 1.900 Angestellte in nur 200 Unternehmen. Wenn schon vor dem Machtwechsel die Wirtschaftslage katastrophal war, so hat die Blockade ihr den Todesstoß verpasst.

Dabei hat sich rein äußerlich, abgesehen von der Zerstörung durch den Krieg, nicht erkennbar viel verändert. Auf den Märkten gibt es ein breites Angebot von frischem Obst und Gemüse. In den Supermärkten kann man Süßwaren kaufen, die selbst in Tel Aviv nur nach langem Suchen zu finden wären. Die Waren werden an der ägyptischen Grenze reingeschmuggelt und mit einer "Tunnel-Steuer" von 30 Prozent Aufpreis belegt. Auf Bestellung kann vom lebenden Tier über Kühlschrank bis zum Neuwagen nahezu alles geliefert werden.

"Wer die Hauptstraße von Gaza entlanggeht, wird Läden mit vollen Regalen sehen", sagt UN-Sprecher Christer Nordau. "Man sieht aber auch die Ladenbesitzer vor ihrem Geschäft sitzen, denn sie haben keine Kunden." Nur die wenigsten verfügten über das Geld, um die angebotenen Waren zu kaufen. Erstaunlich waren deshalb die Zahlen, die die Weltbank vor gut einem Jahr veröffentlichte. Damals blieb die Grenze zu Ägypten elf Tage offen, was den Leuten aus Gaza reichte, um insgesamt nicht weniger als 250 Millionen Dollar umzusetzen. Offenbar scheint grundsätzlich Geld da zu sein, es ist aber ungerecht verteilt.

Die größte Gruppe, die heute noch über ein regelmäßiges Einkommen verfügt, arbeitet de facto seit drei Jahren nicht mehr. Es sind die rund 70.000 Angestellten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gab seinen Mitarbeitern den dringenden Rat, die Arbeit unter den neuen islamistischen Machthabern niederzulegen. Andernfalls sollten sie ihr Gehalt einbüßen. Wer weiterarbeitete, wurde fortan von der Hamas-Führung entlohnt. Rund 30.000 Palästinenser stehen heute auf der Gehaltsliste der Islamisten. Wer keiner der beiden großen Fraktionen nahesteht, hat derzeit kaum eine reelle Chance auf Arbeit. Die Grenzen zum israelischen Arbeitsmarkt, wo zeitweilig einige zigtausend Palästinenser aus Gaza beschäftigt waren, bleiben auf absehbare Zeit verschlossen.

Die einzige Gruppe, die sich ohne Parteibuch erfolgreich durchschlägt, sind die Schmuggler. Rund 20.000 Palästinenser hängen an dem Geschäft mit den umstrittenen Tunneln, die in den vergangenen Jahren die einzige zuverlässige Verbindung des Gazastreifens zur Außenwelt darstellen.

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