Panne beim Lürssen-Brand: Organisierte Unzuständigkeit

Messergebnisse zum Brand der Lürssen-Werft legen nahe, dass die Feuerwehr vorschnell entwarnt hat. Für Fehlentscheidungen will niemand zuständig sein.

Dichter und giftiger Rauch: Brand der Lürssen-Werft in Vegesack. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

BREMEN taz | Keine Behörde in Bremen fühlt sich im Katastrophenfall zuständig. Die Folgen des Brandes in der Lürssen-Werft vor rund zwei Monaten offenbaren organisierte Unverantwortlichkeit: Neue Messwerte belegen sehr wohl eine mögliche Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung, die Feuerwehr hatte aber noch während der mehrtägigen Löscharbeiten entwarnt. Welche Stelle das veranlasst hat, bleibt unklar. Aus Sicht des Naturschutzbunds Bremen (Nabu) hätten Anwohner*innen möglicherweise sogar evakuiert werden müssen.

Die Umweltorganisation Aktion Kröteschutz ließ kurz nach dem Brand einige Asche-Rückstände des Brandes analysieren. Große Teile waren, so Sprecher Thomas Gartz, im Vegesacker Stadtgarten und auf umliegenden Flächen zu finden gewesen.

Das „Labor für Chemische und Mikrobiologische Analytik“ (Lafu) nahm sich der Proben an – und stellte erhöhte Schadstoffbelastungen fest. Nachweislich waren darin bedenkliche Mengen Aluminium, Antimon, Blei, Barium, Titan, Zink und Phosphor enthalten. Stoffe, die in erhöhten Mengen enorm gesundheitsschädlich sind, etwa zu Krebserkrankungen, Osteoporose, Arthritis und vielen weiteren Krankheiten führen können. Und diese Stoffe, so ist sich Gartz sicher, seien mit dem Brand unmittelbar in die Umwelt gelangt.

Offene Fragen

Diese Bedenken teilt auch der Nabu. Deren Geschäftsführer Sönke Hofmann fragt, warum überhaupt entwarnt wurde. Die Feuerwehr, so berichtete auch Buten und Binnen, tat die Rußablagerungen und Luftbelastung als ungefährlich ab und wies lediglich an, Fenster und Türen geschlossen zu halten. „Gingen die Behörden davon aus, dass die Bremen-Norder die Gifte schon ‚wegatmen‘ würden?“, fragt Hofmann.

Ihm zufolge hätte die Feuerwehr – spätestens als sich die Brand-Situation entspannte – mit Sicherheitsmaßnahmen nachlegen müssen: Nach zwei Tagen hätten zusätzliche Kräfte für bessere Informationen und Schutz, möglicherweise sogar eine Evakuierung der Bevölkerung sorgen müssen, so Hofmann.

Wie konnte es angesichts der neuen Messwerte zur Entwarnung kommen? Warum nimmt keine Behörde neue Proben zu Belastung von Boden und Grundwasser? Die vermeintlich zuständigen Ressorts sind sich bezüglich ihrer Verantwortung eher unsicher.

Sönke Hofmann, Geschäftsführer Naturschutzbund (Nabu) Bremen

„Gingen die Behörden davon aus, dass die Bremen-Norder die Gifte schon „wegatmen“ würden?“

Die Feuerwehr will sich, konfrontiert mit den neuen Messwerten, zunächst mit der Umweltbehörde absprechen. Denn die trage die Verantwortung für die Interpretation der Daten – und damit für die Entwarnung. Aus der Umweltbehörde allerdings heißt es, die Verantwortung für diesen Vorgang habe ausschließlich bei der Feuerwehr gelegen.

Auch die Gesundheitsbehörde erklärt sich unzuständig für die Gesundheit der Menschen aus Bremen-Nord. Die Bewertung der neuen Messwerte sei Aufgabe der Umweltbehörde. Die verantworte die Überprüfung der Luftreinheit in Bremen – mit dem Gesundheitsressort hätten die geäußerten Bedenken erst einmal nichts zu tun. Zurück in der Umweltbehörde beteuert man abermals, dass man aufgrund der alten Luftmessungen der Feuerwehr keinen Handlungsbedarf sehe und deshalb auch nicht noch einmal nachforschen werde.

Einen Tag später meldet sich auch noch das Innenressort zu Wort. Denn dem, so stellt sich heraus, untersteht die Feuerwehr, sodass die Anfrage zunächst hier besprochen werden musste. Das Innenressort schließlich verweist bei der Verantwortlichkeit wieder auf den Umweltsenator. Nur dass hier eben alle Verantwortlichkeit längst an die Feuerwehr abgegeben war.

Das Ergebnis: keine Stellungnahme zu den Messergebnissen, Entwarnungen oder dem Umgang mit den neuen Erkenntnissen aus den Ressorts. Im Katastrophenfall weiß offenbar niemand etwas, und viel wichtiger: Niemand hat eine möglicherweise falsche Entscheidung getroffen.

Wenigstens der Vegesacker Beiratsvorsitzende Jürgen Hartwig (SPD) will die Analysedaten und neu gewonnenen Erkenntnissen im Beirat besprechen.

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