Parfümeriekette kooperiert mit der Bahn: „Schöner ans Ziel kommen“?

Douglas schickt neuerdings sogenannte Beauty-ICEs durchs Land. Unser Autor ist mitgefahren – und hat den „Purpose“ gespürt.

Eine Douglas-Mitarbeiterin schminkt eine Frau im Beauty-Waggon. Auf dem Tisch steht ein großer Schminkkoffer, am Fenster ist die Douglas-Aufschrift zu sehen

Kein Platz für Laptop und Kaffee: Im Beauty-Waggon sind Schminkkoffer auf die Tische geschraubt Foto: Douglas

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Gesichtsmaske aufgetragen. Das war vor einigen Wochen, sie hatte, so meine ich, Aloe-Vera-Aroma oder -Geschmack, oder -Duft oder wie das halt heißt. Sorgsam betrachtete ich im Spiegel mein beschmiertes Gesicht, in dem man den Ausdruck existenzieller Furcht hätte erkennen können, wäre es nicht eben unter meterdickem Schlamm begraben worden. Am Ende musste man mich waschen wie einen Greis.

„In Berlin schneiden sich die Leute seit Jahren die Fußnägel in der U-Bahn“, hatte kurz zuvor Margarete Stokowski auf Twitter eine Meldung kommentiert, die Glorreiches verhieß: Deutschlands größte Parfümeriekette Douglas und die Bahn seien eine Kooperation eingegangen und böten ab sofort Fahrten mit dem „Douglas Beauty-ICE“ an. Besser als ein Crossover-Special von „Um Himmels Willen“ und „Frauentausch“.

(Der Vollständigkeit halber muss ich dar­auf hinweisen, dass in Frankfurter Zügen, allein in meiner Gegenwart, schon Warzen vereist und Hühneraugen herausgerissen wurden. Auch der geübte Umgang mit Talg, Schmalz und gebrochenen Haustierknochen ist dort alltäglich beobachtbar. Ob der Mann mit der Hose voller Klopapier, der in haltende ­S-Bahnen einsteigen, hindurchrennen und kurz vor ihrer Abfahrt wieder aussteigen soll, echt oder eine Legendenfigur ist, konnte ich bis zum Redak­tionsschluss nicht klären.)

„Schöner am Ziel ankommen“, das verspricht auch Douglas-Chefin Tina Müller. Bei Opel war sie für die Kampagne „Umparken im Kopf“ verantwortlich; nun will sie ihren Kunden wieder direkt in die Fresse fuhrwerken. Auf ihrem Linked-In-Profil beschreibt sich Müller als „marketing guru“ und „future enthusiast“, was eine gute Grundlage ist, denn die Zukunft kommt ja erst noch. „Zum Jungbleiben ist es nie zu spät“, heißt passenderweise das 2014 mit ihrer dermatologischen Freundin Susanne von Schmiedeberg verfasste Ratgeberbuch über Zeit.

Schön im Sausebraus

„Purpose ist mehr als ein Zweck – es ist die Basis für alles, was wir tun“, überschreibt Müller wiederum auf ihrem Profil einen Artikel. Schon bei der legendären Kampagne „Come in and find out“ bewies man bei Douglas ein Händchen fürs Englische. Ich erfahre: „Nicht jedes Unternehmen hält einen höheren Sinn für notwendig, andere haben ihn noch nicht herausgearbeitet.

Manch ein Unternehmen hat zwar einen Purpose, zu den Mitarbeitern ist dieser jedoch nie durchgedrungen – und zu den Kunden schon gar nicht. Wir bei Douglas haben nicht nur einen Purpose definiert, uns ist es auch ein Anliegen, dass dieser für alle Mitarbeiter wahrnehmbar ist. Er soll gelebt werden und so auch für unsere Kunden in unserer täglichen Arbeit spürbar sein.“ Genauso spürbar also wie das Brennen von Nagellackentferner auf der Analschleimhaut oder die Duftwolken Billigparfum in der Nase, die uns die Welt benebeln.

Auch die Bahn hat einen höheren Sinn. Der besteht jedoch, nimmt man Geistliches ernst, gerade dadurch, dass er sich so selten zeigt. So verbringen wir ein Leben in der Schwebe.

Bitte Fahrplan beachten!

Damit ich garantiert in den Genuss einer Schönheitskur im Sausebraus komme, steige ich schon in Nürnberg ein. Satte drei Stunden bis Berlin, für die ich zunächst zweieinhalb Stunden nach Bayern fahren muss: Eine gründliche Überarbeitung meines Außenauftritts ist lange schon fällig. Der Beauty-Zug selbst fährt nicht irgendwie, irgendwo, irgendwann, sondern nur zu ganz bestimmten Zeiten und an ganz bestimmten Tagen. Bitte Fahrplan beachten! Bitte zurückbleiben! Bitte die Windrichtung messen!

Um auf Tuchfühlung mit dem höheren Purpose meines eigenen Unternehmens zu gelangen, gehe ich am Nürnberger Hauptbahnhof in Nanu-Nana, dem einzigen Ort, an dem man sich noch entschuldigt beim Anrempeln. Zusammen mit in die Jahre gekommenen Muttis angemalte Baumstümpfe, Weihnachtslikör oder Nudeln in Penisform angucken bringt die Seele zur Ruhe und einen himmlischen Frieden in diese trotz allem schrecklich heterosexuelle Welt.

Beglückt kaufe ich fünf Kilo Plastikschrott und einen extragroßen Wandbehang, auf dem steht: „Greif nach den Sternen!“ und „Sei glücklich!“ und „Tanze im Regen!“. Das allerdings ist, je nach dem, in welcher Phase der Beauty-Behandlung man sich befindet, mitunter auch gar keine so gute Idee.

Am Bahnsteig das Übliche: Ansagen, Menschen, Gesellschaft. Niemand besonders hübsch oder hässlich, niemand unbändig begierig auf Beauty – zumindest nicht wie ich (sehr). Während neben mir ein Bauarbeiter kommentarlos in ein Loch hinabsteigt und verschwindet, überlege ich, unruhiger werdend, wohin genau sie mich eigentlich einliefern werden, wenn ich gleich frage, wo hier das Beauty-Abteil sei?

Die Frau mit dem Klemmbrett muss eines der „Mädels“ sein, die sich laut Durchsage „freuen“ würden, mich „zu verwöhnen“

Wo hier das Beauty-Abteil ist? „Da sind Sie bei uns richtig“, sagt eine Frau mit Klemmbrett in der Hand. Sie muss eines der „Mädels“ sein, die sich, laut Durchsage, „freuen“ würden, mich „zu verwöhnen“. Die Stimmung ist gut: Zwei Douglas-Mitarbeiterinnen sitzen in dem aufwendigst umgebauten Erste-Klasse-Abteil (Nackenlehnen mit Douglas-Beschriftung, Schminkkoffer auf den Tisch geschraubt), welches, ausnahms- und sozialistischerweise, auch gewöhnliche Menschen betreten dürfen. Wie schrieb Schiller: „Bettler werden Fürstenbrüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Er ahnte nicht, wie sanft es werden würde.

Und auch schon zwei Kunden sind drin, die Gesichtsmasken tragen und damit so aussehen wie Replikanten. Der Mann ist Ende dreißig und einer dieser geschäftigen Rollkofferleute, Typ kerniger Bayer; die Frau Ende fünfzig, mit den feinen Falten einer Landgräfin, dafür aber leider zu profan, vom Wesen her. (Man will ja doch lieber neben einer Gräfin sitzen, wenn man die Wahl hat.)

Umgekehrtes Waterboarding

„Tut aber weh“, sagt er, worauf gelacht wird. Ich frage, „wirklich?“. Erneut wird gelacht. „Jetzt verschrecken Sie nicht unsere Kunden“, frotzelt eine der Douglas-Frauen, und ich bin immer noch nicht ganz überzeugt. Tatsächlich bekomme ich jetzt auch eine Maske aufgetragen. Sie besteht aus einer gleichmäßig kolorierten Kunststoffhaube, unter die kalter, glibbriger ­Ultra­schallschmier gestrichen wurde, hat Löcher für Augen, Nase und Mund, und das Aufsetzen ist ein bisschen so wie umgekehrtes Waterboarding oder wenn man zu schnell und zu viel Eis auf einmal isst. Für einen Moment stelle ich mir vor, wie der ganze Zug mit suppigbeigen Wabbelklappen auf dem Gesicht weiterfährt. Die Revolution ist nur eine Betonschwelle weg (feste Fahrbahn, weiche Haut).

Die dritte Betreuerin, die nicht für Douglas arbeitet, sondern für eine Eventagentur, freut sich, wie sie sagt. Dass endlich auch mal ein paar Männer da seien. Bei den ersten Fahrten habe der „Schwerpunkt“ auf Make-up gelegen, was Männer eher nicht so anziehe, auf Handcreme und Handmassagen. Jedes Mal stehe eine andere Marke im Vordergrund. Einzig Augenschminken ist tabu, der Zug ruckelt ja. Die Handcreme von der letzten Fahrt verwende sie jetzt auch privat, sagt die Event-Frau. Die habe sie für sich entdeckt.

Ob sie gern bei Douglas arbeiten würden, frage ich die beiden anderen, und die sagen ja. Dann kriegt der Mann seine Maske abgenommen und fühlt sich „frisch“. Ein anderer schleicht sich indes von hinten an die Event-Frau heran und bittet um eine Behandlung am Platz. In der ersten Klasse ist das drin. Ihm wird umgehend eine der Beauty-Expertinnen hinterhergeschickt.

Da, glänzender Schlamm

Die meisten Fahrten des Beauty-Zugs seien anlassbezogen, erzählt die Eventfrau noch: zum Oktoberfest, zur Fashion Week. „In einer Pilotphase bis Jahresende wollen DB und Douglas die Resonanz auf das neue Service-Angebot testen“, hatten beide im April verkündigt. Nun nimmt auch die Frau neben mir ihre Maske ab und zeigt ihr wahres Gesicht, auf dem noch etwas feuchter Schlamm glänzt, den sie „einmassieren“ soll. Bei mir dann ähnlich, man wünscht ein­ander einen schönen Tag.

Ob ich jetzt wohl in einen Teufelskreis eingestiegen bin, denke ich auf dem Weg zurück zu meinem Platz, entspannt, erholt, leer, durch den Fahrtschwung aufgewirbelt; ob meine Haut ohne Douglas-Produkte fortan überhaupt noch funktionieren wird können; meine Haut, das Organ, das mich am Zerfließen hindert; wie ich weiterleben soll.

Ich schwanke. In der Toilettenkabine finde ich noch eine unabgespülte Wurst vor. Hart und unbeweglich liegt sie im Becken, wie Plastik. Erst beim dritten Spülen ist sie weg.

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