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Parlamentswahl in TschechienBabiš räumt ab

Der Rechtspopulist Babiš gewann die tschechische Parlamentswahl noch deutlicher als erwartet. Nun steht eine schwierige Regierungsbildung steht bevor, viele Fragen bleiben offen.

Der Vorsitzende der oppositionellen „ANO“ (JA), Andrej Babiš, gewinnt die Parlamentswahl Foto: David Josek/dpa
Florian Bayer

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Florian Bayer aus Prag

taz | Tschechien hat gewählt, das Ergebnis ist eindeutig: Andrej Babiš ist zurück. Seine rechtspopulistische Ano („Ja“) übertraf alle Erwartungen und wurde stärkste Kraft. Sie kam laut vorläufigem Ergebnis auf 34,9 Prozent, ein Plus von 7,7 Prozentpunkten. Die bisher regierende Mitte-Rechts-Koalition Spolu („Gemeinsam“) von Premierminister Petr Fiala stürzte dagegen auf 23,1 Prozent ab (minus 4,6 Prozentpunkte). Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 69 Prozent, dem höchsten Wert seit mehr als 20 Jahren.

Leicht unter den Erwartungen blieb die rechtsradikale SPD, die auf 7,8 Prozent kam (minus 1,8 Prozentpunkte). Sie steht für nationale Souveränität, strikte Migrationskontrolle und ein Referendum über EU- und Nato-Mitgliedschaft. Auch die erstmals kandidierenden „Motoristen“ sind dem rechten Lager zuzuordnen – sie kamen auf 6,8 Prozent und ziehen damit ins Parlament ein. Die Partei positioniert sich gegen den Green Deal, für billigere Energie und autofreundliche Politik. Die EU-Mitgliedschaft stellen sie jedoch nicht in Frage.

Nicht ins Parlament geschafft hat es, durchaus überraschend, die linksradikal-nationale Stačilo! („Genug“), die sich unter anderem für einen EU- und Nato-Austritt ausspricht. Sie kam nur auf 4,3 Prozent und blieb damit unter der Fünfprozenthürde. Durchaus respektabel schnitten die moderate Bürgermeisterpartei Stan (11,1 Prozent) sowie die linken „Piraten“ (8,8 Prozent) ab, die beide zuletzt mitregierten.

Der Wahlerfolg von Andrej Babiš, gegen den immer wieder Korruptionsvorwürfe im Raum standen, erklärt sich aus einem Paradox: Objektiv gute Wirtschaftsdaten – deutliches Wirtschaftsdatum, niedrige Schuldenquote – trafen auf negative Stimmung in der Bevölkerung. Die Preise sind deutlich gestiegen, die Reallöhne stagnieren jedoch seit vier Jahren, sagt Politologe Vít Dostál. „Die Menschen erinnern sich, dass ihre wirtschaftliche Situation zwischen 2017 und 2021 besser war. Also jene Zeit, in der Babiš regierte“, sagt Dostál, der die Gesellschaft für Außenpolitik AMO in Prag leitet.

Premier Fiala schaffte es zudem in den letzten vier Jahren nicht, zentrale Wahlversprechen wie die Lösung der Wohnungskrise einzuhalten. Die Protestparteien, allen voran Babiš, nutzten diese Unzufriedenheit geschickt aus. Die Ano-Kampagne kritisierte die Regierung, bot aber selbst kaum Lösungen an. Wie Babiš seine Versprechen – etwa günstigere Hypotheken, höhere Renten, mehr Sozialleistungen – finanzieren will, ist gänzlich ungeklärt.

Doch der klare Wahlsieg des 71-jährigen Milliardärs, der auch „tschechischer Trump“ genannt wird, bedeutet noch lange nicht, dass der Weg zu einer neuen Regierung einfach wird. Denn mit voraussichtlich 81 Mandaten in der 200 Sitze zählenden Abgeordnetenkammer braucht Babiš jedenfalls Partner, doch jede Koalitionsoption birgt Risiken.

Naheliegend wäre eine Koalition mit der rechtsradikalen SPD oder den rechtspopulistischen „Motoristen“. Beide hätten im Verbund mit Ano eine Mehrheit. Darüber hinaus ist auch eine Ano-Minderheitsregierung denkbar, laut Dostál durchaus wahrscheinlich. Auch eine große Koalition mit Teilen der bisher regierenden Spolu wäre möglich, gilt aber aufgrund wechselseitiger Antipathie und abgegebener Versprechen beider Seiten an ihre Wählerschaft als höchst unwahrscheinlich.

Eine Schlüsselrolle kommt zudem Präsident Petr Pavel zu, der die künftige Regierung, wie auch immer sie aussehen wird, vereidigen wird. Der ehemalige Nato-General hat bereits vor der Wahl angedeutet, dass er problematische Ministerkandidaten ablehnen könnte. Er betonte schon im Vorfeld, dass es eine Kultur der Kompromisse brauche und dass die internationale Ausrichtung Tschechiens – also Mitgliedschaft bei EU und Nato – nicht zur Disposition stehen dürfe.

Westliche Regierungschefs wären laut dem Politologen Dostál gut beraten, trotz aller Differenzen Babiš zu gratulieren und ihn für sich zu gewinnen. So ließe sich vielleicht verhindern, dass dieser noch weiter ins EU-feindliche Camp eines Viktor Orbán abdriftet. Denn mit ihm macht er im EU-Parlament bei den „Patrioten für Europa“ bereits gemeinsame Sache. Ob Babiš nach einem angriffigen Wahlkampf nun wieder moderater auftritt, ist derzeit völlig offen. Mehr als alles andere gilt er als Fahne im Wind, die vor allem am eigenen Vorankommen interessiert ist.

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