Parlamentswahlen in Israel: Bibi oder Benny

Wer wird israelischer Ministerpräsident? Der amtierende Premier Netanjahu wird von Newcomer Gantz herausgefordert. Ausgang ungewiss.

Wahlplakate mit Gantz und Netanjahu in Jerusalem

Kopf an Kopf: Wahlplakate mit Gantz und Netanjahu in Jerusalem. Foto: UP/laif

JERUSALEM/ TEL AVIV/ RAMLA taz | Es ist Freitagmittag und Haupteinkaufszeit für das Wochenende. Avi Dichter steht auf dem Markt der israelischen Kleinstadt Ramla und wirbt um Wählerstimmen für seine Partei, den Likud. Ein Heimspiel. Denn Ramla, das zwischen Jerusalem und Tel Aviv liegt, ist eine Hochburg der rechten Partei des regierenden Ministerpräsidenten Benjamin Nethanjahu.

In elf Tagen, am 9. April, finden in Israel Parlamentswahlen statt. Laut Umfragen deutet sich ein Zweikampf zwischen Netanjahu, der auf eine vierte Amtszeit hofft, und seinem Herausforderer Benny Gantz vom Wahlbündnis Blau-Weiß an, das in den Umfragen knapp vorne liegt.

Auf dem Marktplatz von Ramla hingegen wirkt es so, als könnte der Newcomer Gantz den Routinier Nethanjahu gar nicht in Bedrängnis bringen. „Bibi, Bibi – König der Welt“ rufen die Likud-Anhänger, um die Stimmung anzuheizen. Avi Dichter, der für die israelische Knesset kandidiert,schlendert von Stand zu Stand, schüttelt Hände, posiert für Fotos und appelliert an die Leute, „den Zettel auszufüllen“, zur Wahl zu gehen.

„Rechts, stark, erfolgreich“, steht auf einem Schild der Aktivisten. Dichters Parteifreunde verteilen Stofftragetaschen für den Einkauf auf dem Markt. „Nur ein großer Likud verhindert die Linke“, steht auf ihnen geschrieben. Das ist die zentrale Botschaft des Likud für diese Wahlen. Netanjahu warnt seit Jahren vor dem linken Schreckgespenst – nun hat er dafür ein Gesicht gefunden: Benny Gantz, Chef der Partei Blau-Weiß. „Wählt mich, wenn ihr Gantz verhindern wollt“, ist Netanjahus Devise. „Wählt Blau-Weiß, wenn ihr Netanjahu leid seid“, kontert Gantz.

„König, König“

Und darauf deutet einiges hin. Denn obwohl Gantz, der frühere Generalstabschef, politisch unerfahren ist und erst vor drei Monaten seine Kandidatur bekannt gab, räumten ihm die Umfragen schon früh echte Chancen auf einen Wahlsieg ein. Dazu trägt sicher auch bei, dass sich Gantz – nach schwierigen Verhandlungen – mit Jair Lapid, Chef der Zukunftspartei, auf ein gemeinsames Wahlbündnis geeinigt hat. Es liegt aber auch an Netanjahu selbst. Dem Ministerpräsidenten drohen gleich mehrere Prozesse. Er soll Geschenke in Form von teuren Zigarren, Alkohol und Schmuck im Wert von umgerechnet rund einer viertel Million Euro angenommen haben. Außerdem steht er im Verdacht, Einfluss auf die Berichterstattung einer Zeitung und eines Nachrichtenportals genommen zu haben.

Selbst in der Likud-Hochburg Ramla sind nicht alle mit Bibi zufrieden. Wie Karmel, der auf dem Markt Erdbeeren verkauft, und sich über die Netanjahu-Anhänger ärgert. „König, König – was soll das, wir sind doch keine Monarchie“, schüttelt er den Kopf. Wenn nur zehn Prozent von den Vorwürfen gegen Netanjahu der Wahrheit entsprächen, dann sollte er sich schämen. Karmel, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, wünscht sich einen aufrechten Regierungschef: „Einen, der meinen Enkeln ein Vorbild ist.“

Keine 150 Meter von seinem Stand entfernt hat Karmel, ein drahtiger Mann vor 63 Jahren, per Hausgeburt das Licht der Welt erblickt. Karmels Vater, Immigrant aus Bagdad, hatte damals ein kleines Restaurant. Den Markt in Ramla kennt er, seit er denken kann. Seine frisch geernteten Erdbeeren gehen so schnell weg, dass er mit dem Einpacken kaum hinterherkommt. Für zehn Schekel das Kilo verkauft er die süß duftenden Früchte, umgerechnet 2,50 Euro. „Hier in Ramla gibt es nicht viele, die so denken wie ich“, sagt er mit rauchiger Stimme. „Die Leute kommen kaum raus aus der Stadt, bleiben in ihren engen Weltanschauungen stecken und wählen die Partei, die sie und ihre Eltern schon immer gewählt haben: Likud.“

König Bibi? Wir sind doch keine Monarchie!

Er hingegen sei viel in der Welt herumgekommen, habe Werte wie Freiheit und Gleichheit schätzen gelernt. Es klingt stolz, aber keinesfalls arrogant, wie der Erdbeerverkäufer Karmel von seinem Leben erzählt. Wen er wählt? Wahrscheinlich, sagt Karmel, werde er der Meretz eine Chance geben, einer kleinen Linkspartei, die möglicherweise an der Sperrklausel hängen bleibt. Wichtig sei ihm, dass eine Partei Werte habe, für Menschenrechte eintritt. Deshalb seien sowohl das neue Mittebündnis Blau-Weiß als auch der rechte Likud keine Option.

In den großen Fragen unterscheiden sich die beiden Parteien kaum. Nur einen halben Satz räumt das 40 Seiten umfassende Programm von Blau-Weiß möglichen Lösungen für den Konflikt mit den Palästinensern ein. Man werde „einen offenen Horizont für künftige Regelungen“ wahren, gleichzeitig aber die Siedlungen im Westjordanland fördern, „um ein normales Leben, überall dort, wo Israelis leben“, zu ermöglichen.

Jerusalem soll „ungeteilte ewige Hauptstadt“ Israels bleiben, die Armee niemals aus dem Jordantal abziehen. Nur zum Thema Religion und Staat hat Blau-Weiß eine weltlichere Haltung als der Likud. Begrenzter öffentlicher Verkehr am Sabbat soll möglich sein und die Leihmutterschaft für LGBT-Familien. Wehrpflicht für alle Bürger sieht das Programm vor. Damit schließt sich eine Koalition mit den ultraorthodoxen Parteien aus.

Jakob Metz-Laon handelt mit Schuhen. An seinem Stand auf dem Markt in Ramla hängt ein Wahlplakat vom Likud mit dem Bild Netanjahus. „Uns geht es doch gut. Millionen Israelis machen Urlaub im Ausland, jeder hat sein iPhone und ein eigenes Auto“ – warum also sollte man etwas ändern? Tatsächlich boomt Israels Wirtschaft, der Schekel ist stabil, die Arbeitslosenzahl liegt bei vier Prozent. Der 43-Jährige schimpft auf „die Arroganz“ der Aschkenasen (Juden mit Wurzeln in christlichen Staaten). Dass der Likud in Ramla Mainstream ist, liegt auch daran, dass die Misrachim (Juden mit Wurzeln in muslimischen Staaten), die traditionell eher konservativ wählen, die Mehrheit in der Stadt stellen.

Thema Nummer 1: Sicherheit

Die Eltern von Metz-Laon sind einst aus dem Irak nach Israel gekommen. „Jahrelang“ hätten sie in einem provisorischen Flüchtlingslager leben müssen. „Wir werden der Arbeitspartei niemals das historische Unrecht verzeihen, das sie unseren Familien angetan hat.“ Zwar komme Bibi auch nicht gerade aus Bagdad, „aber er spricht unsere Sprache“. Die Sicherheit sei „unvergleichbar besser“ als zu Zeiten der früheren Regierungschefs Jitzhak Rabin oder Ehud Barak (beide Arbeitspartei). „Vier Jahre lang hatten wir hier die Hölle“, erinnert er an die frühen 2000er Jahre und die zahlreichen Terroranschläge im Verlauf der Zweiten Intifada, vergisst jedoch, dass schon ab 2001 der Likud regierte.

Bisher punktete Netanjahu stets mit dem Argument der Sicherheit und mit seinen guten Beziehungen zum Weißen Haus. Dass die USA diese Woche offiziell Israels Souveränität auf den Golanhöhen anerkannt haben, schreibt er allein sich selbst zu. In Israel wurde er dafür bejubelt. Der 1967 von Israel eroberte und später annektierte Golan gilt als strategisch wichtig. Auch Benny Gantz freute sich über die Entscheidung Trumps und bedankte sich bei dem US-Präsidenten. „Niemals von den Golanhöhen abziehen“, hält das Programm von Blau-Weiß fest, dabei führten Regierungschefs der Arbeitspartei und auch des Likud, darunter Netanjahu, in der Vergangenheit Verhandlungen über einen Frieden mit Syrien und waren bereit, die Golanhöhen dafür aufzugeben.

In Sachen Sicherheit will die Führungsriege von Blau-Weiß, die gleich mit drei Ex-Generalstabschefs aufwartet, nicht hinter Netanjahu zurückstehen. Sein lange gepflegtes Image als „Mr. Security“ bekommt mit jedem Raketenangriff aus dem Gazastreifen neue Kratzer. Der jüngste Schlagabtausch, bei dem sieben Israelis verletzt wurden, beweist einmal mehr, dass Netanjahu keine Lösungen hat für die latente Bedrohung aus dem Gazastreifen. Viel härter müsse man gegen die islamistische Führung der Hamas vorgehen, forderten die Generäle von Blau-Weiß. In Sachen Kriegsführung und Terrorbekämpfung lassen sie sich nichts vormachen.

Schuhverkäufer Metz-Laon räumt ein, dass auch Netanjahu nicht perfekt sei. „Aber im Vergleich zu allen anderen ist Bibi zuallererst Israel verpflichtet.“ Die anderen, das seien „die Linken“, die sich stets gegen Israel und die Armee positionierten. „Sie reden wie ein Goy (Nichtjude) in Deutschland, verteidigen die Araber und verurteilen Israel.“ Dass Netanjahu vor Gericht muss, glaubt der Schuhverkäufer nicht. „Der geht nicht ins Gefängnis, Bibi ist unschuldig.“ Die „Hetzjagd der Medien“ sei Schuld daran, dass es überhaupt zu polizeilichen Untersuchungen kam. Das allein sei Grund genug, um aus Solidarität Netanjahu mit dem Wahlzettel das Vertrauen auszusprechen.

Korruption & Bestechung

Nicht genug damit, dass dem Regierungschef wegen Korruption, Bestechung und Vertrauensmissbrauch so gut wie sicher die Anklage droht. Wenige Wochen vor den Wahlen verdichtet sich erneut der Verdacht, Netanjahu habe sich und Vertraute an dem U-Boot-Handel mit dem deutschen Unternehmen Thyssenkrupp bereichern wollen. Dabei schien die Affäre für ihn schon ausgestanden zu sein. Neu ist vor allem der Vorwurf, Netanjahu habe den Deutschen sein Einverständnis gegeben, U-Boote auch an Ägypten zu verkaufen. Für Blau-Weiß ist das nichts anderes als Verrat. „Die Wahrheit muss ans Licht“, fordert Gantz.

Dasselbe fordert Netanjahu umgekehrt von seinem Kontrahenten, dessen privates Handy offenbar vom iranischen Geheimdienst gehackt wurde. Von einer außerehelichen Affäre und Sexvideos ist die Rede. Gantz könne nun Opfer von Bestechungsversuchen durch die Iraner werden, warnt der Likud in seiner Kampagne. Nicht zum ersten Mal wird in einer Vorwahlzeit schmutzige Wäsche gewaschen. So persönlich und gemein wie in diesem Jahr waren die Anschuldigen trotzdem noch nie. „Wenn Netanjahu könnte, würde er mich umbringen lassen“, soll Gantz frustriert über die Unterstellungen aus dem Likud-Lager zu Vertrauten gesagt haben und gibt seinen Gegnern damit schon wieder neuen Angriffsstoff. Benny Gantz sei „durchgeknallt“, „paranoid“ und „als Regierungschef untauglich“, heißt es auf der Facebook-Seite des Likud, wo ihn ein gefälschtes Video stotternd und völlig hilflos in einem Interview zeigt.

Bibi gegen Benny – darum geht es bei Israels Parlamentswahl. Parteipolitik und Ideologien stehen im Hintergrund. Die Inhalte sind ohnehin fast dieselben, nur die Verpackung ist anders. „Links und rechts ist Vergangenheit“, sagt Gantz in seiner Antrittsrede. Jetzt ginge es darum, die von Netanjahu geteilte Nation wieder zu einen. Bei einer Wahlveranstaltung im Theater von Holon, unweit von Tel Aviv, signalisiert Gabi Aschkenasi, Kandidat von Blau-Weiß und wie Gantz Ex-General­stabschef, die grundsätzliche Bereitschaft der Partei, mit dem Likud zu koalieren. „Nur nicht mit Netanjahu“, verspricht er. Keine der beiden Parteien könnte allein regieren. 28 beziehungsweise 30 Mandate geben die Umfragen dem Likud und Blau-Weiß, mindestens 61 wären nötig für eine knappe Regierungsmehrheit.

Im Gegensatz zu Parteichef Gantz, der stets im Anzug auftritt, kleidet sich Aschkenasi leger in Jeans und Jackett. „Er ist ein Chevreman“, sagt jemand, „einer von uns.“ Ein Redner ist er aber nicht. Er tut sich schwer, die Menge zu begeistern, spricht von besseren Schulen und Ausbildungsmöglichkeiten, von mehr Krankenhäusern und -personal, von gleichen Chancen für die Peripherie. Schließlich widmet er sich ausführlich seinem Lieblingsthema: dem Kampf gegen die Verkehrsstaus. Das Publikum wird unruhig. „Was ist mit der Hamas?“, fragt ein Mann. Erst am Morgen war die Rakete unweit von Tel Aviv eingeschlagen, die ein Haus zerstörte und sieben Menschen verletzte – und Israel zu Angriffen im Gazastreifen provozierte.

Enttäuschte Wähler

Aschkenasi holt weit aus, spricht über die Nordgrenze, und wie gut Israels Armee dort die von der libanesischen Terrororganisation Hisbollah ausgehende Gefahr gebannt habe. „Abschreckungskraft“ ist sein Zauberwort. Was für den Norden gut lief, werde auch im Süden möglich sein. Dass Blau-Weiß das Problem Hamas lösen wird, glaubt ihm indes niemand. „Erst gestern war er noch Stabschef“, sagt ein Mann. „Und? Nichts hat er erreicht.“

Die Veranstaltung in Holon lässt viele enttäuscht zurück. Auch Aschkenasi mangelt es an politischer Erfahrung. „Er hat keine einzige Frage klar beantwortet“, kritisiert Eli Beckermann, die wissen will, ob Blau-Weiß eine erneute Besatzung des Gazastreifens ins Auge fasst. Auch auf ihre Frage nach Israels Öffentlichkeitsarbeit im Ausland geht Aschkenasi nicht ein. „Was plant Blau-Weiß, um die BDS-Kampagne zu stoppen, dem von Palästinensern lancierten Aufruf, Israel zu boykottieren?“, fragt Beckermann weiter. Auch hier erhält sie keine klare Antwort.

Dennoch, erzählt Beckermann später, will sie dem neuen Bündnis eine Chance geben. Hier ginge es um eine Partei der Mitte, nicht wie beim Likud, „wo sie immer nur ‚rechts, rechts‘ rufen, und wo links ein Schimpfwort ist.“ Netanjahus offene Hetze gegen die arabischen Staatsbürger, gegen linke Positionen und die Medien kommt ihm hier teuer zu stehen. Die Wähler von Blau-Weiß werden hellhörig, wenn Gantz von der Einheit im Volk spricht. Die Ex-Militärs genießen zudem großes Ansehen in der Bevölkerung, und Gantz hat den Ruf eines aufrechten Bürgers. Noch ist seine Weste sauber.

Das allein könnte schon reichen, auch wenn die Ziele der Partei, die erst vor wenigen Wochen wie aus dem Nichts entstand, weitgehend nebulös bleiben. Überhaupt sei „nach so vielen Jahren Bibi Zeit für frisches Blut“, findet der ältere Herr, der sich als Holocaustüberlebender vom Likud verlassen fühlt. Aber so weit ist es noch nicht. Blau-Weiß steht ein harter Kampf um die Stimmen derer bevor, die Bibi immer schon wählten. Und sei es nur aus Tradition.

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