Parlamentswahlen in Norwegen: Alles neu – außer der Regierungschef
Bei den Wahlen in Norwegen legen vor allem die Rechtspopulisten zu. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre bleibt dennoch im Amt.

Die erstaunliche Wende zum als kompetent geltenden Staatsmann gelang ihm im Team mit Ex-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, den er nach dem Koalitionsbruch mit der Zentrumspartei (Sp) im Januar überraschend als Finanzminister aus dem Hut zauberte. Und wie geht es nun weiter?
Støre kann erst mal weitermachen mit seiner Minderheitsregierung: Seine Arbeiterpartei legte zwei Punkte zu auf gut 28 Prozent, fünf Sitze mehr. Sie ist wieder stärkste Partei. Nun wird es aber komplizierter mit dem Regieren – ob allein oder mit noch zu findenden Koalitionspartnern – denn Støre ist von mehr Parteien als bisher abhängig.
Die fünf Parteien des Mitte-links-Spektrums kommen zusammen auf 87 Sitze im norwegischen Parlament, dem Storting. Das sind nur zwei Sitze mehr als sie für die Mehrheit brauchen. Zu diesem Spektrum gehören neben der Ap, die Zentrumspartei, die Sozialistische Linkspartei (SV), die radikale Linkspartei Rødt (R) und die Grünen (MDG).
Jubel bei den Grünen
Besonders die Sp hat bei den Wahlen verloren. Sie hatte die Koalition im Streit verlassen und rutschte um fast 8 Punkte auf 5,6 Prozent ab. Auch die SV liegt nur noch bei 5,5 Prozent mit einem Minus von 2,1.
Jubel stattdessen bei den norwegischen Grünen MDG: Sie schafften es erstmals über die Vierprozenthürde. Auch vorher waren sie schon im Parlament vertreten, über ihre Direktmandate. Aber erst jetzt bekommen sie zusätzliche Ausgleichsmandate. Statt drei haben die Grünen künftig also plötzlich sieben Mitglieder im Parlament. Sie wollen Støre vor allem zu mehr Klimaschutz bewegen.
Auch Rødt, die sozialistisch-kommunistische Partei Norwegens, die als aufmüpfig gilt und von rechts gerne verlacht wird, jubelte über weiteren Zuwachs, sie haben jetzt neun Mandate. Ihr Ziel: die Regierung weiter nach links zu ziehen, mehr Wohlfahrtsstaat und mehr Einsatz für Palästina.
Was auch immer der Ministerpräsident nun vorhat – Mehrheiten zu finden wird schwieriger. Besonders in Fragen der Öl- und Gas-Zukunft des damit reich gewordenen Landes: Seine Arbeiterpartei will auch weiterhin darauf setzen; die Grünen wollen den Ausstieg aus dem profitablen Geschäft mit fossilen Energien planen. Beobachter halten es für möglich, dass Støre im Zweifelsfall auch über Blockgrenzen hinweg verhandelt.
Rechtspopulisten sind eigentliche Wahlsieger
Die eigentlich größte Wahlsiegerin ist derweil die rechtsliberale bis rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP). Sie kommt mit einem historischen Plus von über zwölf Punkten nun auf fast 24 Prozent – ihr bestes Ergebnis seit ihren Anfängen als Protestpartei in den 1970er Jahren. Sie gewinnt ganze 27 Mandate hinzu, ihre Fraktion ist mit künftig 48 Sitzen die zweitgrößte im Parlament. Und sie ist mit großem Abstand die stärkste auf der bürgerlichen Seite. Das an sich war erwartet worden, nur nicht in dieser Höhe.
Die FrP punktete vor allem bei jungen Männern und generell in ländlichen Regionen an der Westküste, wo sie vielerorts nun die stärkste Partei ist. Sie kam mit Plänen wie der Abschaffung der Vermögenssteuer, weniger Bürokratie, weniger Abgaben auf Benzin und Diesel und strikterer Asylpolitik an.
Aber: Vorsitzende Sylvi Listhaug hatte einen Machtwechsel angestrebt, sie wollte eine bürgerliche Regierung anführen, im bewussten Konflikt mit der klassischen konservativen Partei Høyre. Dafür reicht es nun nicht. Denn der FrP-Erfolg ging zulasten der Høyre. Die steht nur noch bei 14,6 Prozent, minus 5,7, auch das wird „historisch“ genannt.
Außerdem hätte sie die Liberalen (V) gebraucht. Deren Fraktion schrumpft nun aber von acht auf drei. Als ein Grund gilt, dass ursprünglich liberale Wähler just Listhaug als Ministerpräsidentin verhindern wollten. Sie ist außerhalb ihrer Partei nicht besonders beliebt. Listhaug jubelte am Montagabend dennoch: Auch ohne Regierungsmehrheit hätten sie allen Grund, sich als Wahlsieger zu fühlen.
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