Parlamentswahlen in den Niederlanden: Vierkampf in Den Haag
Rechtspopulisten, Linksbündnis, Liberale und Christdemokraten liegen in Umfragen zur Parlamentswahl fast gleichauf. Die Bildung einer Koalition führt wohl über das Zentrum.
Die vorgezogenen Neuwahlen zum niederländischen Parlament am heutigen Mittwoch versprechen außergewöhnlich spannend zu werden. Nachdem die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) wochenlang einen kleinen, aber konstanten Vorsprung vor dem rot-grünen Wahlbündnis (GroenLinks/PvdA) und den Christdemokrat*innen (CDA) hatte, schmolz dieser auf der Zielgeraden des Wahlkampfs zusammen. Zudem schlossen auch die progressiv-liberalen Democraten 66 (D66) deutlich auf, sodass alle vier sich Hoffnungen auf den Wahlsieg machen können.
Die letzten Umfragen am Vorabend der Wahl sehen die PVV mit 15 bis 19 Prozent auf gleicher Höhe bzw. hauchdünn vor dem Linksbündnis (15 bis 16,5 Prozent), D66 (15 bis 16 Prozent) und CDA (12,5 Prozent), der zuletzt leicht an Zustimmung verloren hat.
Grund dafür ist, dass Spitzenkandidat Henri Bontenbal unlängst in einem TV-Gespräch im Rahmen der Meinungsvielfalt Toleranz gegenüber streng protestantischen Schulen äußerte, die Homosexualität verurteilen. Obschon Bontenbal sich danach mehrfach von diesem Standpunkt distanzierte, dürfte ihn die Aussage Stimmen kosten, die nun offenbar zu den progressiver ausgerichteten D 66 tendieren.
Aus dem richtungsweisenden Dreikampf – rechts, links oder Zentrum – ist damit ein Vierkampf geworden, der so offen ist wie lange kein Urnengang. Gut ein Drittel der Wähler*innen hatten am Vorabend ihre Entscheidung noch nicht getroffen.
Erneuter Sieg
Insofern kann das Ergebnis noch immer ein erneuter großer Sieg der PVV sein. Deren Triumph 2023 hatten die Umfragen auch nicht kommen sehen. Dennoch zeichnet sich ab, dass die Absage der meisten Parteien an eine Koalition mit den Rechtspopulist*innen ihnen schaden dürfte.
Einen „Schlussstrich unter die Ära Wilders“, wie der rot-grüne Spitzenkandidat Frans Timmermans ihn Dienstagabend während der Abschlussdebatte im öffentlich-rechlichen TV-Sender NOS beschwor, ist indes vermessen. Die PVV ist seit nunmehr 20 Jahren eine gefestigte Kraft in der niederländischen Politik.
Ihre Inhalte sind bis weit in die Mitte salonfähig geworden, und im Fahrwasser der PVV konnten drei andere Rechtsparteien Sitze im Parlament erringen. Zudem hat GroenLinks/ PvdA, die mit ihrer für 2026 geplanten Fusion die rechte Hegemonie in der niederländischen Politik brechen wollen, zwar Chancen auf den Wahlsieg, doch ihre Umfragewerte stagnieren.
Entgegenkommen könnte dem Bündnis freilich, dass sozio-ökonomische Themen wie die Wohnungskrise, Gesundheitskosten, Ungleichheit und Energiepreise im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielten. In der Abschlussdebatte warfen zudem zukünftige Haushaltsdiskussionen ihre Schatten voraus. Die Frage, die sich auch den übrigen europäischen Nato-Mitgliedern stellen wird: Woher soll das Geld für den erhöhten Verteidigungsetat kommen?
Der Zuspruch für D66 und CDA zeugt unterdessen von der Tendenz zu einer Konsolidierung nach der chaotischen Erfahrung der PVV-geführten Rechtsregierung. Der Weg zu ihrer Nachfolgerin wird wahrscheinlich nur über die beiden Zentrumsparteien führen.
Ansonsten lässt sich über künftige Koalitionen in Den Haag nur sagen, dass wohl erneut vier Parteien dafür nötig sein werden. Bis dahin dürfte es ein langer Weg werden, der an diesem Mittwochmorgen beginnt, wenn um 7.30 Uhr die Wahllokale öffnen.
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