piwik no script img

Parlamentswahlen in den NiederlandenLiberale und Rechtspopulisten gleichauf

Überraschung in Den Haag: Die liberalen Democraten66 unter Rob Jetten holen ihr bisher bestes Wahlergebnis. Die rechtspopulistische PVV verliert stark.

Rob Jetten von der Mitte-Links-Partei D66 spricht Donnerstagabend während der Auszählung der Ergebnisse zu Anhängern Foto: Peter Dejong/ap/dpa

Von

Tobias Müller aus Amsterdam

Hochspannung bei den Neuwahlen zum niederländischen Parlament: Bei 97,7 Prozent aller ausgezählten Stimmen liegen D66 und PVV am Donnerstagmorgen gleichauf. Beide kommen auf 26 der 150 Parlamentssitze. Während das für die Rechts­po­pu­lis­t*in­nen einen Verlust von 11 Sitzen bedeutet, gewinnen die progressiv-liberalen D66 17 hinzu.

Ihr Spitzenkandidat Rob Jetten hat damit die besten Karten, der kommende Premierminister zu werden. Für D66, die noch nie zuvor eine Wahl gewinnen konnten, ist dies ein historischer Erfolg.

Die bisherige rechtsliberale Regierungspartei VVD fällt von 24 auf 22 Sitze zurück, das rot-grüne Wahlbündnis GroenLinks-PvdA verliert 5 und hat künftig nur noch 20 Abgeordnete.

Deren Spitzenkandidat Frans Timmermans, als ehemaliger EU-Kommissar der international profilierteste niederländische Politiker, zog bereits eine Stunde nach den ersten Hochrechnungen die Konsequenzen und trat als Parteichef zurück.

Starke Gewinne auch für Christdemokraten

Ein großer Gewinner war auch der Christen-Democratisch Appèl (CDA), der von 5 auf 18 Sitze klettert. Spitzenkandidat Henri Bontenbal hatte sich ähnlich wie Jetten bei D66 als Brückenbauer innerhalb der stark polarisierten niederländischen Gesellschaft präsentiert – eine Strategie, die nach der chaotischen Regierungszeit der PVV-geführten Rechtskoalition offenbar wirkte.

Von den Verlusten der PVV profitierten unterdessen die Rechtsparteien JA21, die künftig neun statt einem Abgeordneten haben, sowie das alt-right-lastige Forum voor Democratie (FvD, sieben statt drei).

Enttäuschend endete die Wahl für die bäuerliche BoerBurgerBeweging und Nieuw Sociaal Contract, die nach den letzten Wahlen 2023 Teil der kurzlebigen Rechts-Koalition wurden. Während BBB immerhin noch drei ihrer sieben Sitze behielt, stürzte NSC von 20 ganz aus dem Parlament.

Das Kopf-an-Kopf-Rennen an der Spitze sah ab den ersten Hochrechnungen am Mittwochabend nach einem Sieg für D66 aus. Lange lag sie mit zwei Sitzen vorne. Erst als weit nach Mitternacht immer mehr Kommunen ihre Ergebnisse ausgezählt hatten, konnte die PVV zu ihr aufschließen.

So eng beide Parteien stimmenmäßig zusammenlagen, boten sie am Wahlabend doch ein konträres Bild. Die PVV, die im Juni wegen eines Streits um schärfere Asylregeln die Regierung hatte fallen lassen, organisierte angesichts der erwarteten Verluste nicht einmal eine Wahlparty. Bei den An­hän­ge­r*in­nen von D66 hingegen in Leiden war die Stimmung euphorisch, das Meer an Fahnen erinnerte an ein Fußballspiel.

Wilders’ PVV verzichtet auf eine Wahlparty

Laut Spitzenkandidat Jetten, der in der letzten Regierung Mark Ruttes bereits Klima- und Energieminister war, stehen die Niederlande damit vor einem deutlichen Richtungswechsel: Millionen von Wählern hätten „die Seite von Wilders umgeschlagen“ um „Hass und Negativität“ hinter sich zu lassen und stattdessen wieder gemeinsam nach vorne zu schauen.

In einer ersten Rede kündigte Jetten an, „wieder groß denken und groß handeln“ und dabei für alle Niederländer da sein zu wollen, nicht nur die eigenen Wähler. Damit unterstrich er seine Premier-Ambitionen. Jetten rief „alle Kräfte der positiven Mitte“ zur Zusammenarbeit auf.

Wilders gestand dagegen ganz alleine in den Fraktionsräumen seiner Partij voor de Vrijheid deren Niederlage ein. Als Grund nannte er, dass andere Parteien die PVV von vornherein als Koalitionspartnerin ausgeschlossen hätten.

Auch wenn er „gerne ein anderes Ergebnis“ gesehen hätte, verteidigte Wilders den Rückzug aus der Koalition im Sommer dennoch. Einem künftigen Premier Jetten kündigte er eine starke Opposition an, da die PVV mit ihm besonders wenig Übereinstimmung habe.

Enttäuschung bei Rot-grün

Emotional geriet unterdessen der Abschied des rot-grünen Spitzenkandidaten Timmermans, der in Rotterdam vor seine An­hän­ge­r*in­nen trat: „Ich konnte nicht genug Menschen überzeugen, uns ihre Stimme zu geben. Deswegen setze ich einen Schritt zurück und überlasse die Leitung unserer Bewegung einer neuen Generation“, so der sichtbar bewegte Timmermans, ehe er unter großem Applaus mit einer Verbeugung abtrat.

Nicht nur für ihn, sondern auch für das rot-grüne Bündnis ist die erneute Niederlage nach 2023 eine schwere Enttäuschung. Inwieweit sie auch eine Hypothek für die geplante Fusion 2026 darstellt, wird sich zeigen.

An diesem Donnerstag beginnt nun die Sondierung nach einer neuen Koalition in Den Haag. Deutlich ist, dass dafür wohl erneut vier Parteien benötigt werden. Im Zentrum sind D66 und CDA gesetzt. Fraglich ist, ob sie eine eher rechte Mehrheit mit der VVD oder eine eher linke mit GL-PvdA anstreben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Will Jetten tatsächlich zehn neue Städte bauen (keine neue Idee, Veenendaal & Co. entstanden bereits so), dann muss er das Stickstoffproblem der Niederlande angehen, sich also mit Bauern und teils Autofahrern anlegen, was aber ohnehin aus anderen Gründen fällig ist.



    Jetten präsentierte sich als extrem äußerlich gepflegter Schwiegersohn, der bei Holland schlauster Mensch immerhin PLatz 3 holte und so sich auf die Stimmzettel menschelte.



    Welche Mehrheit sich formen wird, ist abzuwarten. Auf der Rechtsextremen haben sich die Prozente leider nur verschoben, heben wir das Ergebnis bitte nicht zu sehr in den linksliberalen Himmel.

  • Ich freue mich für die NL, dass Geert Wilders so "abgeschifft" ist.

    Allerdings finde ich es schon problematisch, wenn die demokratischen Parteien mehr oder weniger alle nur noch bei rund 20 % liegen. Damit kann keine mehr von sich behaupten, eine "Volkspartei" zu sein. Wenn es dann noch Koalitionsstreitigkeiten gibt, stehen wieder Neuwahlen ins Haus - mit ungewissem Ausgang.

  • Es ist also kein Naturgesetz, dass die Rechtsextremen eine Wahl nach der anderen gewinnen, egal welchen Unsinn sie erzählen.

    Da sollten sich die deutschen Parteien einmal ein Beispiel dran nehmen, mutige Ansagen und plausible Antworten auf das raunige Geschwurbel können funktionieren.

  • Ah, es geht laaaangsaaam bergauf mit "meinem" Land.

    Natürlich sind die Rechten noch zu stark. Eventuell hätte es noch mehr Verlußte für PVV, JA21 und FvD gegeben, wenn Pieter Omtzigt das NSC nicht verlassen hätte. Die sozial-konservative NSC hatte viel Potential.

    Aber es zeigt, dass das Experiment "Regierungsbeteiligung der Rechten" nicht funktioniert, und das klare, pragmatische und positive Kernaussagen bei den Wählern funktionieren.



    Auch haben die Parteien keine Angst vor Erneuerung, und versuchen nicht ewig-gestrige Themen mit ewig-gestrigen Politikern aufzuwärmen, wie hier in Deutschland Merz und Konsorten. Man muss sich den Rechten nicht annähern, man braucht sich nicht von ihnen treiben lassen.

    Es lässt sich viel von Holland lernen, auch wenn wir sicherlich noch einen langen Weg vor uns haben, wieder eine unaufgeregte, liberale und Konsens-orientierte Demokratie zu werden.

    Insbesondere die Wohnungskrise muss gelöst werden, dort gibt es (zurecht) viel Konfliktpotential.



    Und die Agrarthemen - zu lange hat die intensive Landwirtschaft einen Freifahrtschein gehabt, und nun muss man sich neu erfinden (Stichwort: "Stickstoffemissionen", aber es gibt auch andere Themen).

    • @Whying_Dutchman:

      PVV mit Wilders hat Wählerstimmen und Sitze verloren - aber der rechtsradikalpopulistische Block insgesamt



      (42 Sitze) aus PVV = 26 Sitze JA21 = 9, und FvD = 7 hat im Vergleich zu 2023 nach dem jetzigen Stand der Auszählung einen Sitz hinzu gewonnen.

      Sollte D66 mit Rob Jetten gewinnen wird eine Regierungsbildung einfacher aber die Krise des Rechtspopulismus in den Niederlanden ist alles andere als vorbei.

  • Das Comeback von D66 hätte ich so nicht erwartet. Glückwunsch. In der Konfrontation mit Wilders PVV hätte ich eher entweder die Christdemokraten (CDA) oder Timmermans Allianz aus Sozialdemokraten und GroenLinks vorne gesehen. Aber so ist das auch vollkommen in Ordnung. Hauptsache, Wilders wird gestoppt.



    Denn anders als hierzulande stimmt bei den Niederländern - auch den christlichen und den konservativen - der Wertekompass noch: mehr als drei Viertel von Ihnen lehnen die manische Islamophobie und den Anti-EU-Kurs eines Wilders entschieden ab. Bei uns ist darauf nicht mal mit der CDU Verlass … nicht mal in der taz-Kommune😉.

  • Eine beruhigende Entwicklung ... und die Blauen hier ärgern sich grün.