Parteiausschlussverfahren beendet: Sarrazin darf Sozialdemokrat bleiben

Thilo Sarrazin wird nicht aus der SPD ausgeschlossen. Ex-Senator erklärt, er hab Migranten nicht diskriminieren wollen. Alle Antragsteller verzichten daraufhin auf den beantragten Ausschluss.

Zum zweiten Mal davongekommen: Berlins ehemaliger Finanzsenator Thilo Sarrazin (immer noch SPD) Bild: dapd

BERLIN taz/dpa/dapd/afp |Thilo Sarrazin wird nicht aus der SPD ausgeschlossen. Alle vier Antragsteller haben ihre Anträge auf Ausschluss zurückgezogen, gab die Vorsitzende der Schiedskommission des Berliner Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, Sybille Uken, am Donnerstagabend bekannt. Man habe sich nach fünfstündiger Beratung gütlich auf Basis einer Erklärung von Sarrazin geeinigt. In der Erklärung betont Sarrazin, es habe ihm ferngelegen, "insbesondere Migranten zu diskriminieren." Es ist bereits das zweite Parteiausschlussverfahren, das Sarrazin nun überstanden hat.

Einen Antrag auf das Parteiordnungsverfahren hatten neben dem Kreisverband auch die Landes- und die Bundespartei gestellt. Die SPD wirft Sarrazin wegen provokanter Thesen zur Integration parteischädigendes Verhalten vor. Hintergrund ist sein im Sommer 2010 erschienenes Buch "Deutschland schafft sich ab". Darin beklagte er die angeblich fehlende Integrationsbereitschaft von Muslimen. Für Empörung sorgten vor allem Sarrazins Bemerkungen über angeblich genetisch vorgegebene Intelligenzdefizite bei Migranten.

Sarrazin, der seit 1973 der SPD angehört, hatte vor der Anhörung Berufung vor der Landesschiedskommission angekündigt.

Forlgende Erklärung von Thilo Sarrazin hatte zur Folge, dass alle vier Anträge auf Parteiausschluss zurückgezogen wurden:

"1. Ich habe in meinem Buch nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Es entspricht insbesondere nicht meiner Überzeugung, Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden; alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert.

Ich habe mit meinem Buch keine selektive Bevölkerungspolitik verlangt; der Vorschlag, Frauen in akademischen Berufen und anderen gesellschaftlich hervorgehobenen Positionen Prämien zu gewähren, sollte diesen Frauen lediglich die Möglichkeit verschaffen, ihre Berufe und Tätigkeiten mit der Geburt eigener Kinder zu verbinden. Hiermit habe ich auch nicht die Vorstellung verbunden, diese Förderung lediglich Frauen mit akademischen Berufen oder mit bestimmter Nationalität oder Religion zukommen zu lassen.

2. Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren. Vielmehr sollten meine Thesen auch der Integration von Migrantengruppen dienen, die bislang aufgrund ihrer Herkunft, sozialen Zusammensetzung und Religion nicht bereit oder in der Lage waren, sich stärker zu integrieren. Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass diese Gruppen bei eigenen Anstrengungen und einer ergänzenden Bildungspolitik etwa aus genetischen Gründen nicht integriert werden könnten.

Mir ging es also darum, schwerwiegende Defizite der Migration, Integration und Fehlentwicklungen der Demografie in Deutschland anzusprechen, eine fördernde Integrationspolitik und Demografiepolitik zu entwickeln und dafür insbesondere die vorhandenen Defizite des Bildungssystems zu überwinden.

3. Ich habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedauere ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat.

Bei künftigen Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit werde ich darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht mein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen infrage zu stellen oder stellen zu lassen."

Uken zufolge zogen die Antragsteller ihre Anträge auf Basis einer Erklärung Sarrazins zurück. In dem drei Punkte umfassenden Papier (siehe Kasten) betont der frühere Politiker, er habe "zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen". Er habe in seinem Buch nicht die Auffassung vertreten, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Alle Menschen seien gleich viel wert.

Er habe auch keine "selektive Bevölkerungspolitik" verlangt, betonte Sarrazin in dem Schreiben. Auf keinen Fall habe er die Vorstellungen vertreten, lediglich Frauen mit akademischen Berufen und einer bestimmten Nationalität oder Religion eine Prämie für die Geburt von Kindern zu gewähren.

Des Weiteren schreibt Sarrazin in der Erklärung wörtlich: "Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren." Er werde künftig bei öffentlichen Veranstaltungen darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht sein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder in Frage stellen zu lassen. Mit der Erklärung ging Sarrazin detailliert auf die einzelnen Vorwürfe der Antragsteller ein.

Uken betonte, die Schiedskommission habe mit allen Beteiligten eine sehr konstruktive, respektvolle, ernsthafte und intensive Diskussion geführt. Die Sitzung der Schiedskommission dauerte fünf Stunden. Sarrazin wollte sich im Anschluss nicht selbst äußern.

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