Parteitag der Grünen: Demütig zur Macht

Sicherheit durch Veränderung: Das ist die Botschaft der Grünen-Spitze auf dem digitalen Parteitag. Für Aufregung sorgt Baerbocks weißes Kleid.

Annalena Baerbock in weißem Kleid im Fernsehstudio des Digital-Parteitags der Grünen

Hat mit ihrer Rede zum Parteitagsstart den staatstragenden Ton gesetzt: Annalena Baerbock Foto: dpa

BERLIN taz | Der Mann, schwarzes Hemd, grauer Anzug, schlendert lässig auf die TV-Kamera zu, den Blick fest auf die ZuschauerInnen gerichtet, maßvoll mit beiden Händen gestikulierend. Es ist nicht Ingo Zamperoni von den Tagesthemen, wie man kurz denken könnte, sondern Grünen-Chef Robert Habeck, der da auf dem Bildschirm spricht.

Ein moderner Politiker braucht heutzutage die Qualitäten eines Anchormans, jedenfalls dann, wenn ein Bundesparteitag wegen der Corona-Pandemie komplett ins Digitale verlegt wird. Die Grünen stellen sich an diesem Wochenende diesem Experiment: drei Tage voller Debatten, ein Beschluss übers Grundsatzprogramm – dafür haben sie ein Fernsehstudio im Berliner Tempodrom aufgebaut.

Über 800 Delegierte verfolgen das Spektakel am Samstag von zuhause aus, es gibt einen Livestream, einen Chat und einen Applaus-Button, mit dem sie bunte Sonnenblumen und Herzchen über den Bildschirm fliegen lassen können. Es gibt ferner eine 70er-Jahre-Ecke mit braunem Samtsofa und zwei professionellen ModeratorInnen und eine Ecke, in der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner die Formalia erklärt.

Ziemlich viel Neues also, technisch gesehen, aber die inhaltliche Hauptbotschaft hat man schon öfter gehört: Die Grünen wollen endlich, endlich regieren. Habeck sagt: „Macht – das ist in unserem Kosmos oft ein Igitt-Begriff gewesen.“ Aber Macht komme von machen. Eine Gesellschaft werde geformt, gemacht. Die Grünen wollen die Partei sein, die das nach der Bundestagswahl 2021 übernimmt.

Habecks Trick

Habeck greift zu dem Trick, seinen Machtanspruch demütig klingen zu lassen. In etwa: Die Grünen würden die Bürde auf sich nehmen zu führen, weil die Zeit eben so sei. Das ist natürlich Unfug, aber gleichzeitig sehr modern. Das ganze grüne Twitter-Universum ist voll von Selbstlob, das stets im Tonfall großer Bescheidenheit vorgetragen wird. Ruhig spricht Habeck, staatstragend, nicht leidenschaftlich wie auf einer Bühne mit echten Menschen davor – auch das ist ein Zugeständnis an das seltsame Format.

Habeck sendet optimistische Botschaften: „Wir können ein neues Wir sein.“ Eines das streite, aber auf Basis einer gemeinsamen Wirklichkeit. Und er versucht auffällig oft, Verunsicherungen in der Gesellschaft aufzugreifen. Ausführlich spricht er über die Wirkungen der Corona-Pandemie aufs Individuum – und findet dafür ein passendes Bild.

„Der gemeinsame Grund unserer Gesellschaft ist ausgetrocknet, er hat Risse bekommen, kleine Schollen sind entstanden.“ Auf diesen Schollen lebten Menschen in Grüppchen. Wenn es stark regne, könne eine solcher Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen. „Dann bildet sich ein Graben, der das Land in zwei Hälften teilt.“

So sehen sich die Grünen inzwischen: Nicht mehr als Öko-Avantgarde, die aus der Nische heraus für Veränderungen kämpft. Sondern als Kraft, die die ganze Gesellschaft zusammenhält. Im Bundestagswahlkampf 2021 will die 20-Prozent-in-Umfragen-Partei explizit auch um konservative WählerInnen kämpfen – und die Union im Wettbewerb um Platz Eins herausfordern.

Respekt für den Kohlearbeiter

Entsprechend betont Habeck, dass viele Menschen Angst vor Verlust hätten. Er zählt Beispiele auf: die Autobauerin, die fürchtet, in ein paar Jahren auf der Straße zu stehen, der Kohlearbeiter, dessen Tagebau schließt, die Bauernfamilie, die den Hof aufgibt, weil sie im Wettbewerb nicht mithalten kann. „Alle diese Menschen verdienen Antworten und Perspektiven, die ihnen Respekt und Würde sichern.“

Zu Habecks Tonfall passt, dass die Grünen-Spitze sorgsam darauf achtet, anschlussfähig für den Mainstream zu bleiben. Bestes Beispiel ist die Klimaschutzpolitik: Annalena Baerbock entschärfte einen Streit in der Klimaschutzpolitik rechtzeitig, so dass eine für den Vorstand riskante Abstimmung am Samstagnachmittag vermieden wurde. Am Ende landete ein Kompromiss im Grundsatzprogramm.

Die Formulierung, hinter der sich alle versammelten: Zentrale Grundlage grüner Politik sei das Klimaabkommen von Paris sowie der Bericht des Weltklimarates zum 1,5 Grad-Limit. Jener verdeutliche, dass jedes Zehntelgrad zähle, um das Überschreiten von Kipppunkten im Klimasystem zu verhindern. „Es ist daher notwendig, auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“

Teile der Basis hatten zuvor gefordert, die Klimaziele schärfer zu formulieren, als es der Bundesvorstand in seinem Leitantrag vorgeschlagen hatte. Im Kern ging es um die Frage, ob das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, zur „Maßgabe“ grüner Politik werden solle. Über einen entsprechenden Änderungsantrag aus dem Kreisverband Mannheim sollte abgestimmt werden. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft argumentierte in diese Richtung.

Druck von Fridays for Future

Dahinter steckt eine größere Debatte: Die KlimaaktivistInnen von Fridays for Future werfen den Grünen seit Längerem vor, dass ihre Politik nicht reiche, um das 1,5-Grad-Ziel zu erfüllen. Damit liegen sie nicht falsch. Aber die Grünen orientieren sich eben am Pariser Klimaschutzabkommen. Es sieht vor, die Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Und setzt also einen Korridor fest, keine fixe Marke.

Luisa Neubauer von Fridays for Future begrüßte den Kompromiss dennoch auf Twitter. „Es geht uns nie darum, willkürlich Parteien zu bashen. Sondern darum, dass sich alle Parteien auf 1,5 Grad und den Schutz unserer Zukünfte besinnen“, schrieb sie. Die Grünen hätten auf Druck von gesellschaftlichen Bündnissen einen wichtigen Schritt gemacht. „Who's next?“

Haben Baerbock und Neubauer, die beiden Frauen, den Kompromiss eingetütet? Neubauer war am Samstag nicht zu erreichen. Und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner wollte das auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Es habe „vielfältige Gespräche mit vielen Menschen“ gegeben, orakelte er. Wie schön, es ist gut, das zu wissen.

Aufschlussreicher als Kellners Pressebriefing war die Rede von Annalena Baerbock, die schon am Freitagabend angesetzt war. Auch sie spricht getragener als sonst – und bleibt eng an ihrem Manuskript. Sie bereitet ihre Partei auf schwierige Situationen im Wahljahr 2021 vor. „Wir müssen ehrlich sein“, sagt sie, „wir Grünen können eine sozial-ökologische Marktwirtschaft nicht alleine bauen – nicht mit 20 Prozent, auch nicht mit 30.“

Aufregung ums weiße Kleid

Dazu brauche man in einer Demokratie Mehrheiten, eine grundsätzliche Akzeptanz und die Bereitschaft der Menschen mitzumachen. Ein zentraler Satz ihrer Rede lautet: „Mit einem Weiter so verlieren wir unseren Halt.“ Nur Veränderung schafft Sicherheit, diese Botschaft kommt von den Grünen-ChefInnen immer wieder – sie dürfte entscheidend fürs Wahljahr werden. Dumm ist sie nicht, weil sie das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen und Reformwille zusammenbringt.

Der wirkliche Aufreger aber ist das weiße Kleid, das Baerbock trägt – jedenfalls auf Twitter. Ist es eine bewusste Anspielung auf Kamala Harris und die Suffragetten-Bewegung? Die Autorin Jana Hensel fragt mit Blick auf Harris skeptisch, warum sich Baerbock symbolisch mit Emanzipationskämpfen schmücke, „die sie als weiße Frau nie zu führen hatte?“

Daniel Holefleisch, der Ehemann Baerbocks, kontert: Baerbock habe am Tag vor dem Parteitag ein pinkes und ein weißes Kleid aus dem Schrank genommen, „um gute Kontrastfarben zum diesmal sehr dunklen Hintergrund zur Auswahl zu haben.“ Sie möge keine Hosenanzüge.

Also Zufall? Oder ein perfider Trick des Teams Baerbock/Holefleisch, eine bewusste, aber öffentlich dementierte Anspielung? Wir werden es nicht erfahren. Man trifft auf einem digitalen Parteitag ja leider keine Leute, die man mal im Vertrauen fragen könnte. Und dafür jemanden anzurufen, das wäre dann doch zu beknackt.

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