Parteitag der SPD in Berlin: Einmal Giffey für alle

Noch ist nicht entschieden, ob es in Berlin zur Wahl kommt. Der Parteitag der SPD war dennoch Wahlkampf pur – und eine Genugtuung für die Regierende.

Franziska Giffey steht neben protestierenden Schüler*innen mit Transparenten

Die Kritik weglächeln: Giffey am Freitag beim Protest von Schü­le­r*in­nen Foto: dpa

BERLIN taz | Standing Ovations von der eigenen Partei – davon hat Franziska Giffey lange geträumt. „Wir können das noch mal holen“, ruft die Regierende Bürgermeisterin Berlins am Ende ihrer halbstündigen Rede auf dem SPD-Landesparteitag am Samstag den 270 Delegierten zu. Und die reagieren, wie von der Parteiführung erhofft.

Der Parteitag in einem großen Hotel in Berlin-Neukölln ist auch – notgedrungen – eine erneute Kür von Giffey als Spitzenkandidatin, ohne dass das offen ausgesprochen wird. Am kommenden Mittwoch entscheidet das Berliner Verfassungsgericht, ob die Wahl zum Abgeordnetenhaus vom September 2021 wegen zahlreicher Pannen komplett wiederholt werden muss. Alle Parteien in Berlin gehen davon aus, zu eindeutig war Positionierung der neun Rich­te­r*in­nen bei einer Anhörung im September. Mit „noch mal holen“ meint Giffey also den erneuten Sieg bei der Wahl.

Doch der ist längst nicht sicher. Der SPD, die in Berlin zusammen mit Grünen und Linken regiert, droht damit der Verlust des Roten Rathauses nach mehr als 20 Jahren. Sozialdemokraten, Grüne und Union stehen in Umfragen eng zusammen bei je rund 20 Prozent. Und es ist kein halbes Jahr her, dass Giffey – ebenfalls in diesem großen Hotel in Berlin-Neukölln – von der Basis eine herbe Klatsche erhielt: Keine 60 Prozent stimmten für sie bei ihrer Wiederwahl als Parteichefin, ganz, ohne dass es zuvor heftige Dispute gegeben hätte. Die Partei und Giffey, zuvor Bundesfamilienministerin und Neuköllner Bezirksbürgermeisterin, sie fremdeln noch miteinander.

Dass es an diesem Samstag zumindest offiziell anders laufen würde, ja laufen müsse, war allen klar. Zwar sei auch die SPD-Basis alles andere als erpicht darauf, erneut in den Wahlkampf zu ziehen, noch dazu im Winter, heißt es unisono aus der Partei; zwar sei die Berliner SPD „in ganz Deutschland für ihre Diskussionsfreudigkeit berühmt“, wie Bundesarbeitsminister und Gastredner Hubertus Heil zum Auftakt des Parteitags attestiert. Doch wenn es um Machterhalt geht und die Vergabe von Posten, will die SPD dann doch solidarisch sein, auch untereinander. Und so applaudieren die Delegierten Giffey zu, als hätte es den letzten Parteitag nie gegeben.

Giffey, die Macherin

Giffey, die für ihre Rede von einem Pult mitten im Saal frei spricht, hält sich zurück mit Angriffen auf die politischen Kon­kur­ren­t*in­nen innerhalb und jenseits der Koalition. Stattdessen präsentiert sie sich und die Partei als Macherinnen. Giffey wie SPD hätten seit Beginn der Regierung im Dezember 2021 „die Führung“ in allen wichtigen Fragen übernommen: Sei es bei der Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine, von denen Berlin mehr als 300.000 erstversorgt hat; sei es bei der Unterstützung der pandemiegeplagten Wirtschaft; sei es bei der Verkehrswende, schließlich habe die SPD ein 29-Euro-Ticket für Berlin durchgesetzt.

Die Berliner Regierungsfraktionen von SPD, Grüne und Linke haben den Nachtragshaushalt für die Hauptstadt noch einmal um 400 Millionen Euro erweitert. Mit nunmehr drei Milliarden Euro Mitteleinsatz „werden die Berlinerinnen und Berliner in diesem Krisenwinter gezielt entlastet“, teilten die drei Fraktionen am Samstag mit. So sollen zum Beispiel Zuschüsse für Berliner Betriebe finanziert werden, die Weiterführung des 29-Euro-Tickets und die Absenkung der Kosten für das Sozialticket auf 9 Euro, die Ausweitung der Beratungsangebote zum Energiesparen und der Härtefallfonds für Menschen, die Strom- und Gasrechnung nicht mehr bezahlen können. Über die finanziellen Mittel soll das Abgeordnetenhaus am Montag abstimmen. Das Landesparlament hatte am Donnerstag in der ersten Lesung über den Nachtragshaushalt beraten, da hatte er noch eine Höhe von 2,6 Milliarden Euro betragen. Mit dem Geld sollen insbesondere die Bürgerinnen und Bürger angesichts der hohen Energie- und Verbraucherpreise entlastet werden. (dpa)

Und sollte ein Thema, durchaus auch in der Zuständigkeit von SPD-Senator*innen, völlig aus dem Ruder laufen, wie zuletzt der Protest von Schü­le­r*in­nen und Leh­re­r*in­nen des völlig maroden Gymnasiums am Europasportpark zeigte, dann macht Giffey das Thema demonstrativ zur Chefsache. „Wenn eine Schule irgendwie von der Sanierungsliste gerutscht ist und es ist nicht in Ordnung, was da läuft, dann kümmere ich mich persönlich darum.“ Am Freitag setzte sie 40 Millionen Euro für die Sanierung des Gymnasiums durch.

Nur ganz dezent verteilt die Regierende Nadelstiche an die Konkurrenz. An die Grünen gerichtet erklärt Giffey, man mache „keine Waschlappenpolitik“, ein Bezug auf einen Ausspruch von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. „Es gibt Menschen, die sparen schon die ganze Zeit. Es ist zynisch, wenn man denen Tipps gibt, wie sie sparen sollen.“ Gleiches gelte für die „Neiddebatten von AfD und Co.“ in Sachen Geflüchtete und Bürgergeld.

Giffeys Schlussfolgerung: „In der Krise zeigt sich, auf wen sich die Menschen verlassen können.“ Der Slogan der Partei für die nächsten Monate bis zum voraussichtlichen Wahltermin am 12. Februar 2023: „#ZusammenBerlin“.

Doch diese demonstrativ zur Schau gestellte Einigkeit kam nicht aus dem Nichts, Grund dafür ist auch nicht allein der Wahlkampf. Seit Sommer haben Giffey und Raed Saleh, der Co-Landeschef und Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, die Kommunikation in die Partei hinein deutlich verstärkt. Der Leitantrag für diesen Parteitag – Titel: „Wir bringen Berlin gut und solidarisch durch die Krise“ – ist durch lange und breite Einbindung der Basis entstanden. Prompt loben in der Debatte darüber am Samstag zahlreiche Delegierte diesen „wunderbaren Parteitag“. Kritik gibt es nur im Detail, so wird mehrfach mangelndes Engagement gegen die Klimakrise kritisiert. Entsprechend sozialistisch fällt die Zustimmung einstimmig aus.

„Rührt die Trommel“

Der Leitantrag legt einen Schwerpunkt auf die vom Senats teils bereits beschlossenen Krisenhilfen in Höhe von insgesamt 3 Milliarden Euro. Zugleich ist er eine Art Ersatz-Wahlprogramm ganz im Sinne von Hubertus Heils Devise: „Falls ihr noch mal in den Wahlkampf müsst, gilt der Satz: Rührt die Trommel und fürchtet euch nicht.“

Inhaltlich hat die SPD mit dem Parteitag ihre Positionen gestärkt: Sie reklamiert fast alle Erfolge des vergangenen Jahres für sich. Doch die Konkurrenz wird bald nachziehen. Bereits am kommenden Samstag treffen sich Berlins Grüne. Auf dem Programm steht – „im Fall einer möglichen Wiederholungswahl“ – ganz offiziell die Kür der Spitzenkandidatin. Das wird wieder Bettina Jarasch, Berlins Mobilitätssenatorin und im Wahlkampf 2021 Giffeys stärkste Konkurrentin. Nicht nur die SPD wird aufmerksam beobachten, wie sie mit Giffeys Umarmungsstrategie umgeht.

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