Parteitag der SPD: Früher war mehr Konfetti

Keine Tränen, aber jede Menge Schweiß. Martin Schulz rackert sich beim Parteitag für Aufbruchstimmung ab, Draufgänger Schröder zeigt, wie es geht.

Martin Schulz steht in einer Reihe mit Thomas Oppermann und Katarina Barley, alle halten sich an den Händen

Hilft jetzt nur noch Händchenhalten? Foto: dpa

DORTMUND taz | Die SPD – das vorab – hat sich redlich bemüht. Kanzlerkandidat Martin Schulz rackert sich durch eine fast eineinhalbstündige Rede und kam so ins Schwitzen, dass er sein Sakko auszog. Gerhard Schröder, der letzte noch lebende Exkanzler, brüllt ein „Venceremos!“ („Wir werden siegen!“) in die Halle, als wäre er ein chilenischer Freiheitskämpfer. Gut 600 Delegierte und tausende Besucher beklatschten den Programmparteitag der SPD, der in Dortmund stattfand, da, wo das Herz der Sozialdemokratie schlägt.

Die SPD sitzt ja mal wieder dick in der Tinte. Merkel liegt in Umfragen weit vorn, der Hype um Martin Schulz ist lange perdu, im Moment ist keine Machtperspektive in Sicht – außer der Großen Koalition unter Merkel. In so einer Situation maximalen Kampfeswillen zu zelebrieren, ist nicht einfach. Dieser Parteitag ist eine Gelegenheit, wieder in die Offensive zu kommen. Vielleicht die letzte überhaupt für die gebeutelte SPD.

Und die Hoffnung ruht nach wie vor vor allem auf ihm. Martin Schulz geht gegen Mittag zum Rednerpult. Hinter ihm spannt sich eine Wand, die so intensiv blau leuchtet wie der Abendhimmel im Sommer. Dar­über steht in riesigen Buchstaben der Slogan: „Zeit für mehr Gerechtigkeit“.

Er landet gleich zu Beginn seiner Rede einen echten Treffer. Die Kanzlerin nehme billigend in Kauf, dass die Menschen nicht zur Wahl gingen, wettert Schulz. Die Wahlen 2009 und 2013 gewann sie mit der Strategie der – Achtung, fürchterliches Wort! – „asymmetrischen Demobilisierung“. Sie vermied zugespitzte Festlegungen, duckte sich in relevanten Fragen weg. So verleitete sie SPD-affine Wähler dazu, zu Hause zu bleiben – was ihre Union stärkte.

Vom Pathos ins Persönliche

Schulz fährt schweres Geschütz auf, redet von Merkels „Anschlag auf die Demokratie“. Applaus braust auf, SPD-Fahnen werden geschwenkt, und es stimmt ja auch: Während die SPD zuletzt Konzepte im Wochentakt vorlegte, segelt die Kanzlerin bisher komplett inhaltsleer durch den Wahlkampf. Das Problem für die SPD ist nur, dass das Merkel eher nutzt als schadet. 15 Prozentpunkte liegt sie in Umfragen vorn, scheinbar uneinholbar.

Schulz müht sich ab, schwitzt, wechselt vom Pathos ins Persönliche und zurück. Er verweist auf seine einfache Herkunft als Sohn eines Polizeibeamten. Er ruft Erdoğan zu, endlich die inhaftierten Journalisten freizulassen. Er erklärt, wie er Familien entlasten will. Er macht die Ehe für alle zur Bedingung für eine neue Koalition. Als er sich bei der jungen Kellnerin bedankt, die ihm ein Glas Wasser hinstellt, wirkt das sehr sympathisch.

Das entschiedene Irgendwie zur ­Vermögensteuer ist typisch für die vorsichtige SPD, die es sich mit den Wirtschaftseliten nicht verscherzen will

Doch irgendwie springt der Funke nicht recht über. Schulz’ Rede hat keine echten Höhe- und Tiefpunkte, er moduliert seine Tonlage kaum, alles ist gleich wichtig. Es fehlt, um es mal platt zu sagen: der knallige Wums, der Merkel aus dem Amt kegeln könnte. Am Ende klatschen die Delegierten trotzdem neun Minuten lang. Die Inszenierung zählt. Alles riecht nach moderatem Pragmatismus, der sich auch aus der Rolle speist, neben Merkel zu regieren.

Der SPD-Programmprozess startete schon 2015, es gab Hearings, Bürgerdialoge, Beschlüsse in den Gremien. „Gelebte Parteien­demokratie“, befand Generalsekretär Hubertus Heil vor dem Parteitag. „Das ist kein Konfettiparteitag, es ist ein Arbeitsparteitag.“ Das Antragsbuch ist so dick wie das Berliner Telefonbuch, 1.627 Änderungsanträge liegen vor. Am Ende stellt sich die Basis im Wesentlichen hinter die Linie der SPD-Spitze um Schulz.

Windelweich die Revolte weggekuschelt

Eine Minirevolte, die eigentlich keine war, verläuft im Sande. Die Jusos, SPD-Linke und einzelne Landesverbände hatten in den vergangenen Tagen darauf gedrungen, eine Vermögensteuer ins Wahlprogramm aufzunehmen. Der Parteivorstand umarmte den halbherzig vorgetragenen Protest sanft. Er folgte am Samstagabend einer Idee von Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel, eine Kommission einzurichten, die die Steuer prüfen soll. Windelweicher geht es nicht, oder, um es mit Hubertus Heil zu sagen: „Prüfen kann man alles in der Welt.“ Das entschiedene Irgendwie zur Vermögensteuer ist typisch für die vorsichtige SPD, die es sich mit den Wirtschaftseliten nicht verscherzen will.

Dann, nun ja, dann kommt Gerhard Schröder. Und es ist ja schon interessant, dass der Auftritt eines Exkanzlers zu den unumstrittenen Höhepunkten des Parteitags zählt. Schulz hatte ihn um den Auftritt gebeten. Schröder, der Agenda-Konstrukteur und Gazprom-Lobbyist, ist eine ambivalente Figur für die SPD. Schulz distanzierte sich kurz nach seiner Nominierung von der Agenda, Schröder wird das nicht unberührt gelassen haben. Was gibt er dem Kandidaten mit?

Schröder, der gern witzelt, seine Resozialisierung in der SPD schreite voran, beweist diesen Spruch am Rednerpult. Er trägt das Haar halblang und zurückgekämmt, spricht ruhig, das Dröhnen von früher ist weg. Er erinnert die GenossInnen an den Wahlkampf 2005. Die Sozialdemokraten hätten keine Chance, hätten Journalisten damals geschrieben, sagt er.

Alle erinnern sich noch an jenen Wahlkampf, in dem die SPD abgeschlagen hinter der Union lag. Unvergessen, wie Schröder seine Partei hochriss, die am Ende bei 34,2 Prozent landete – knapp hinter der Union. Unvergessen auch, wie Schröder, dem das Testosteron im Blut kochte, Merkel in der Elefantenrunde abkanzelte wie ein kleines Mädchen. Schröder ruft auf der Bühne: „Was damals ging, das geht heute auch!“ Nicht Journalisten, nicht Umfragen entschieden Wahlen, sondern die Wähler.

Schröder bleibt Schröder

Wie sich Schröder die heutige Merkel vornimmt, das hat Klasse. Wenn er höre, wer sich alles von Amerika emanzipieren wolle, wundere er sich schon – „selbst über Auftritte in bayerischen Bierzelten“. Er erinnere sich an diejenigen, die den USA in den Irakkrieg folgen wollten. Die Spitze sitzt. Merkel hatte damals als Oppositionsführerin das deutsche Nein in einem Gastbeitrag für die Washington Post verurteilt.

Schröder bleibt Schröder. Wenn er vorne gesteht, er habe das Programm nicht gelesen, schwingt da ein bisschen Verachtung für die Niederungen der Parteiarbeit mit – die er nie wichtig nahm. Trotzdem bejubeln sie ihn, alles scheint verziehen. Bei Schröder wusste man immer, was ihm wichtig war. Fast könnte man sagen: Martin Schulz braucht ein bisschen mehr Gerd.

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