Party in der taz: Die Druckerschwärze runter schwitzen
Exzesse, Tränen und digitale Anwandlungen: Wie es auf der großen taz party zur „Seitenwende“ wirklich war, lesen Sie hier.
B erlin-Kreuzberg, taz-Haus, Donnerstagabend: „Seitenwende“-Party, laute Musik, schummriges Licht. Unter der Diskokugel reden zwei angeschwipste, seit dreiundfünfzig Jahren befreundete Redakteure begeistert auf die Volontärin ein. „Hast du das gesehen? Schreib das auf!“
Man soll die Hand nicht beißen, die einen füttert. Und so schreibt die Volontärin jetzt halt über diese Party, mit der die taz einen historischen Moment ihrer Geschichte feierte: die allerletzte auf Papier gedruckte Ausgabe unter der Woche.
Here we go: Am Abend des 16. Oktober schieben sich mehr Menschen durch die taz-Kantine als reinpassen. Aufgedrehte tazler*innen neben interessierter Öffentlichkeit. Irgendjemand will gehört haben, dass Robert Habeck kommt. Oder Olaf Scholz. Oder Angela Merkel. Jedenfalls ein Star. Weil den Gästen außerdem Essen versprochen wurde, hatte keine*r ein richtiges Abendbrot (das wird später noch wichtig).
Die Volontärin nimmt sich vor, durch den Abend zu kommen, ohne versehentlich bei den Grünen einzutreten. Erstmal einen Sekt vom Tablett oder eins von diesen Häppchen, die sehr lecker aussehen, aber über Köpfe hinweg durch die Menge weggetragen werden. Hinterher! Nach dem siebten Glas hätte sie fast den ersten Haps ergattert (wenn nicht wieder wer wen angetippt und den Weg versperrt hätte: „Kennt ihr euch eigentlich?“) und das offizielle Programm geht los. Auf einer Bühne reden die Chefredakteurinnen. Leider versteht man sie nicht, weil das Publikum zu laut mit seinen Gläsern klappert. „Wirtschaftlich geht es uns gut wie nie!“, lässt sich von Barbara Junges Lippen ablesen. Ulrike Winkelmann strahlt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ein Redakteur zeichnet die Szene auf der Bühne in sein Tagebuch. Er malt jeden Tag den Moment des Tages. Er muss also wissen, dass gerade ein Highlight passiert. Dabei ist Robert doch noch gar nicht da … Oder ist er das da, hinter ihm? Er dreht sich um und malt versehentlich einen Strich übers Blatt.
Der neunte Sekt schmeckt besonders gut. Auf die Bühne tritt die Geschäftsführung. Sie habe viele gleiche Gefühle wie die Chefredaktion: erleichtert, erschöpft, stolz, durch den Wind und „Sterne in den Augen“. „Lauter!“, lallt jemand.
 
Einige Volontär*innen spielen Bingo. Andere versuchen, sich auf Mindestlohn zu saufen. Um für ein Jahr ihr Gehalt auszugleichen, müssen sie Sekt im Wert von 4.080 Euro trinken. Das sind 1.166 Gläser à 0,1, also 116,6 Liter. Leider geht die Party nur bis Mitternacht. Aber wer ist schon wegen des Geldes hier?
„Die taz ist kein Luxus, sondern Menschenrecht“, liest wer auf der Bühne aus einem Leser*innenbrief vor. Die Leser*innen kennen ihre taz am besten. ████ ██ █████ ██ ██ ███████ █! Der kleine Teil des Publikums, der das offizielle Programm noch verfolgt, droht abzuschweifen. Wo bleibt der Stargast?
Dann betritt ein mittelalter Mann in verdächtig gut sitzendem Anzug („Daran erkennt man sie“, flüstert eine Redakteurin) die Bühne. Es ist immerhin Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), er kommt quasi direkt ausm Bundestag! Applaus!
Ihm sei gesagt worden, er halte ’ne Rede, sagt er. Also liest er was vor. „Mikro näher ran!“, schreit eine Redakteurin. „Die taz wurde im Bundestag mindestens 476 Mal erwähnt“, sagt Nouripour, „erstmals 1982 zur Kampagne ‚Waffen für El Salvador.‘“ Ein Redakteur bricht in Tränen aus. Vielleicht, weil ██████ ██ ███ oder ███████ ██ ██ █████ ███ █████ ██.
Die Diskokugel dreht sich immer schneller. Da! Wieder ein gut sitzender Anzug. Ist das? Robert? Olaf? Angela?!? Ach nee, es ist Wolfgang Schmidt, Ex-Chef des Bundeskanzleramtes im Kabinett Scholz. Na toll, „ein Grüßaugust“. ██ ████████ ███████████ macht sich ein Bier auf.
Plötzlich Aufruhr in der Menge. Die Popcornmaschine im Innenhof ist explodiert und hört nicht auf, Mais zu poppen. Gäste flüchten in die Kantine und werfen sich gegen die Tür. Leider haben es drei Praktikant*innen nicht geschafft. Zum Glück waren die nicht so teuer.
Passiert hier noch was? Endlich fährt ein Vertriebler die frischen Freitagsausgaben aus der Druckerei vor. Blitzlichtgewitter geht los, die DJs spielen Ton Steine Scherben. Der Star ist doch noch gekommen.
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