Performing Arts im Stadttheater: "Vollkommenheit gibt's nur im Tod"

Artist in Residence Alexander M. Giesche stellt mit SchauspielerInnen die Frage nach dem perfekten Menschen – und erinnert das Theater Bremen daran, dass es auch Imkerei sein sollte

Vier Performer proben den perfekten Menschen - in vollendeter Symmetrie. Bild: Landsberg/Bremer Theater

taz: Herr Giesche, hatten Sie das Projekt „Der perfekte Mensch“ geplant, als Sie hier anfingen?

Alexander M. Giesche: Überhaupt nicht. Ich arbeite ja sonst ganz anders.

Wie denn?

Alexander-Maximilian Giesche, 30, ist Artist in Residence am Theater Bremen. Er hat angewandte Theaterwissenschaften in Gießen studiert und ist derzeit im Masterstudium an der DASArt (Amsterdam).

Die Performance "Der perfekte Mensch" feiert Premiere im Kleinen Haus am Samstag, 11. Mai, 20 Uhr. Als Rahmen veranstaltet das Theater bis 18. 5. „Die Tage des perfekten Menschen“ bei denen sämtliche aktuellen Produktionen des Spielplans gezeigt werden - zum Studierenden-Vorzugspreis von 5 Euro pro Vorstellung. Außerdem gibt es Parties und Theatergespräche. Infos: www.theaterbremen.de

Meistens habe ich eine mehr oder weniger absurde Idee, die Vorstellung von einer Bühnensituation – und probiere aus, was sie macht, was sich mit ihr erzählen lässt. Und dabei ergibt sich auch ein Titel.

Also kurz vor der Premiere?

In einem Stadttheater funktioniert das natürlich anders. Da muss ein Jahr vorher fürs Spielplanheft schon ein Name stehen, mit einem kleinen Exposé.

Das fiel Ihnen schwer?

Ich habe mich gewunden! Woher soll ich ein Jahr vorher wissen, was mich im Mai 2013 umtreibt? Eine Bauprobe hatte ich zum Beispiel auch noch nie. Die Räume haben sich bisher immer aus dem Bedarf heraus entwickelt. Jetzt hatte ich einen Abgabetermin, bei dem muss fast alles festgelegt sein – und dann hofft man, dass es sich so einlöst wie geplant.

Das hofft man doch immer?

Klar. Aber es ist schon anders, als im Rahmen des Studiums etwas zu produzieren. So eine Premiere an einem Theater, das ist …

belastender?

Momentan freue ich mich total: Die Energie stimmt, es gibt eine gute Spannung – und es wird ein Publikum geben, das nicht nur aus Theaterwissenschaftlern besteht: Darauf, mich mit vielen aus der freien Szene über „die elitären Arschlöcher vom Stadttheater“ auszukotzen, die kein Gespür für Kunst haben, hatte ich keine Lust mehr. Ich glaube, Theater muss man von innen heraus verändern wollen – und mitgestalten.

Und das wäre, um’s ein bisschen vom Hausregisseur abzusetzen, Ihre Aufgabe als „Artist in Residence“ hier?

Ach dieser Titel, mit dem keiner so richtig etwas anfangen kann. Aber vielleicht trifft es das: Die Hierarchien in so einem Haus aufzuweichen, die Rollen zu verunklaren. Ich verstehe mich ja auch nicht als Regisseur: Ich bin ein Theatermacher, mich treibt eine große Leidenschaft für die Bühne an. Und ich genieße es, Teil einer Theaterfamilie zu sein – was es so in der freien Szene nicht gibt. Ich bekomme hier die Gelegenheit, Projekte anzustoßen, von denen nicht klar ist: Ist das ernst gemeint? Darf man das? Kann das funktionieren?

Also – neben der Perfekte-Mensch-Performance …?

Zum Beispiel wollen wir am Dach des Theaters Bienen ansiedeln – um etwas in die Stadt ausschwärmen zu lassen, um die Möglichkeit zu schaffen, unter einem Bienenschwarm über die Schwarmtheorie nachzudenken und daran zu erinnern, dass der Mensch stirbt, wenn die Kultur stirbt: 8.000 Bienen, die ums Haus schwirren – auch das kann Theater sein.

Das klappt?

Die Wahrheit ist: Das weiß ich nicht. Aber wenn’s nichts wird, kann ich immer sagen: Ihr wusstet doch, ich habe mein Studium in Amsterdam nur unterbrochen, nicht abgeschlossen, was erwartet ihr?

Komfortabel.

Das ist ein Geschenk. Und ich bin wahnsinnig froh, dass Michael Börgerding mir hier diese Chance gibt, und sagt: So, jetzt mach’ hier mal deine erste Arbeit mit Schauspielern – obwohl ich von Schauspielerführung nix verstehe. Erst dachte ich noch: Oh, toll, endlich mal mit Schauspielern arbeiten, da braucht jetzt jeder seinen großen Monolog. Aber das hatte nichts mehr mit mir zu tun. Während der Arbeit habe ich denen dann das Schauspiel sozusagen weggenommen.

Dann hätten Sie ja auch ohne Profis arbeiten können?

Nein. Es ist kein klassisches Schauspielprojekt geworden. Aber es ist trotzdem wichtig, dass es Schauspieler performen.

Wegen des Themas?

Ja. Ich fand spannend, wie so junge SchauspielerInnen an so ein Haus kommen und sich in so einem Geflecht selbst inszenieren müssen. Und das ist ja etwas, was alle SchauspielerInnen ständig machen – sich selbst zu inszenieren, das eigene Bild zu optimieren, das ist ihr Antrieb, aber auch ihre Geißel.

Also erleben wir dokumentarisches, selbstreflexives Schauspielertheater?

Hm. Also – es geht nicht darum, alle sagen zu lassen: Owei, als Schauspieler leide ich schrecklich darunter, Rollen spielen zu müssen. Das wäre mir zu platt. Solche Aussagen treffen nie.

Aber der Titel verführt dazu?

Auf jeden Fall! Der ist eine riesige Moralkeule. Der hat ja auch was total Faschistisches …

und er beschreibt die Dynamik der Aufklärung.

Es weckt riesige Erwartungen. Wir sind im Laufe der Proben schon davon abgekommen, das Wort Perfektion überhaupt in den Mund zu nehmen. Der Titel bewirkt ohnehin, dass ich mich frage: Was ist Perfektion, ist das etwas Erstrebenswertes?

Das heißt aber vom Setting her, dass der Messias, also der perfekte Mensch, nur präsent ist als Latenzphänomen im Möglichkeitsraum der …

… der Demokratie …?

oder der dystopischen Visionen …?

Spannend für mich ist, dass Perfektion, also das Vollkommene, nie zu erreichen ist. Die Vollkommenheit gibt es nur im Tod. Zugleich aber handeln viele Schauspieltheorien genau vom perfekten Moment und davon, eine Reihe perfekter Momente herzustellen, die wir als Zuschauer vielleicht nur mitbekommen, indem wir etwa – was weiß ich: indem wir eifersüchtig werden, nicht auf der Bühne dabei zu sein. Und das ist, glaube ich, übertragbar: diese eifersüchtige Sicht, dass es dem anderen besser geht, weil er besser aussieht als ich, eloquenter ist oder reicher. Weil seine Situation perfekter ist als die eigene.

Also die zynische Variante?

Das ist doch menschlich: Klar will man mehr. Wieso zynisch?

Naja im Sinne von Diogenes, der sagt, ein perfekter Mensch zu werden, ist gut – um den Gegner zu beschämen …

Aber geht es uns im Theater nicht genau darum? Das würde ich mal behaupten!

Deswegen hocken die Zuschauer schamhaft im Dunklen …?

… und die Schauspieler stehen im strahlenden Licht. Bei uns ändert sich das aber zum Teil: Was sie zu sprechen haben, sind eher Textflächen, auch ihre Aktionen haben etwas Objekthaftes, die stehen im Raum wie die Musik oder das Licht. Es geht in erster Linie darum, Zustände zu kreieren, Tableaus.

Und – das mögen die?

Ich schaue dabei jedenfalls sehr gerne zu, wie sie etwas nicht tun, was sie eigentlich könnten. Das Gefühl: Ich will, aber ich kann nicht, ist ja etwas, was uns vermutlich alle stark beschäftigt.

Und die Spielerinnen könnten, wollen aber nicht …?

… oder dürfen nicht: Weil von außen ein Regisseur, also ich, sagt: Nein, nein, nein, weniger, ihr seid toll, wie ihr seid! Ihr seid …

… perfekt?

Ja. Bloß keine Figuren darstellen! Gerade diese Umkehrung der Perspektive ermöglicht aber jedem, das auf sich zu übertragen. Mein Traum ist, die Zuschauer damit aus der Passivität herauszuholen, dass sich das Ganze in eine große Tanzszene auflöst – und jetzt alle auf die Bühne! Und dann endet der Abend in einer großen, gemeinsamen Party.

Das wäre aber nur vollkommen, wenn es sich einfach so ergibt.

Wahrscheinlich. Ach, diese perfekten Momente! Das ist genau die Crux.

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