Persönlichkeitsrechte verletzt: Asylbewerber gegen Springer

Die „Bild“ berichtet über den geflüchteten Alassa M. und verdreht Tatsachen. M. befürchtet Angriffe. Sein Anwalt geht gerichtlich dagegen vor.

Mehrere Leute vor einem Mikro

Bewohner*innen der Flüchtlingsunterkunft Ellwangen bei einer Pressekonferenz Foto: dpa

Und dann findet sich Alassa M. plötzlich auf der Titelseite der Bild wieder. Es ist der 4. Januar, und die Tageszeitung schreibt auf ihrer Seite 1: „Abgeschoben, Einreisesperre, illegal zurück und trotzdem Stütze“. Es ist Alassa M.s Geschichte, aber aus seiner Sicht ist sie mehr als verdreht.

Die Bild behauptet, der Geflüchtete sei gesetzwidrig zurück nach Deutschland gereist und lebe hier „auf Staatskosten“. M. habe sich über eine Einreisesperre der Ausländerbehörde hinweggesetzt. Tatsächlich, so sagt sein Anwalt Frank Stierlin, sei diese aber befristet gewesen, sein Mandant sei legal zurück nach Deutschland gekommen. M. und Stierlin gehen deswegen jetzt gegen die Berichterstattung der Bild vor.

Aber von vorn: Im Mai 2018 kommt die Polizei mit einem Großaufgebot ins nordbadische Ellwangen. Hunderte Einsatzkräfte durchsuchen die dortige Erstaufnahmeeinrichtung, um die Abschiebung eines Geflüchteten durchzusetzen. Einige Bewohner protestieren dagegen, M. ist einer von ihnen. Augenzeugen sagen, dass die angemeldete Demo friedlich geblieben sei. Die Bild jedoch schreibt damals, dass einige Bewohner der Unterkunft gewaltsam Widerstand geleistet hätten.

Am 4. Januar macht die Bild dann noch mal groß mit M. und der Demo in Ellwangen auf. Die Zeitung behauptet, M. habe damals einen „Aufstand gegen die Polizei“ mitorganisiert. Das ist falsch, sagen die Staatsanwaltschaft Ellwangen und das Polizeipräsidium Aalen daraufhin in einer Pressemitteilung: Es gebe „keine Hinweise auf eine unmittelbare Beteiligung des Herrn M. an den Vorkommnissen“. Auch habe es kein Ermittlungsverfahren gegen ihn gegeben.

„Das ist mediale Hetze“, sagt Anwalt Stierlin gegenüber der taz. Wegen des Bild-Berichts kocht das Netz vor Hass auf seinen Mandanten. Auf Facebook haben sich unter beiden Bild-Artikeln zusammen über 1.800 Kommentare gesammelt. „Jetzt mal ehrlich, warum ist man ‚rechts‘, wenn einem das nicht gefällt?“, schreibt ein Nutzer. Für Anwalt Stierlin geht das zu weit: „Meiner Meinung nach hat der Artikel eine Pranger-Wirkung, die die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten verletzen.“ Eine Anfrage der taz an die Bild-Zeitung zu dem Artikel blieb unbeantwortet.

Folgeantrag gestellt

M. hat nach dem Bild-Artikel Angst, dass er in Karlsruhe angegriffen wird. Denn das Blatt zeigte auf einem Foto die Flüchtlingsunterkunft, in der M. gerade lebt. „Wer weiß, wie die Leute jetzt reagieren werden“, sagt er. Wegen dieser Unsicherheit würde er gern umziehen, muss aber auf seinen Asylentscheid warten. Ende Dezember hat er einen Folgeantrag gestellt, der der taz vorliegt. Darin schildert der 29-Jährige seine Fluchtgeschichte.

Frank Stierlin, Anwalt

„Meiner Meinung nach hat der Artikel eine Pranger-Wirkung“

Er komme aus Kamerun, sei selbst Muslim und habe 2012 eine Christin geheiratet. Doch er gehöre zur Bevölkerungsgruppe der Bamoun: „Es gibt in unserer Tradition der Bamoun eine Aussage, Muslime dürfen Christen nicht heiraten“, sagt er im Antrag. Deswegen werde das Paar verfolgt. 2014 hätten die beiden daher beschlossen, das Land zu verlassen. Sie seien nach Algerien geflogen, dann weiter nach Libyen und in getrennten Booten nach Italien gekommen. Alassa M. sei klargeworden, dass es dort für Flüchtlinge keine Zukunft gebe. Deswegen sei er weiter nach Deutschland gezogen und so nach Ellwangen gekommen.

Dort setzt er sich im vergangenen Mai gegen die Abschiebung anderer Flüchtlinge ein. Wenig später wird er selbst abgeschoben. Am 20. Juni bringt ihn ein Flugzeug nach Mailand. Dort, so M., habe es keine Unterkunft für ihn gegeben. Er habe in Kirchen und in Bahnhöfen kampiert. Zu diesem Zeitpunkt ist gerade der Rechtspopulist Matteo Salvini Innenminister von Italien geworden. Salvini verfolgt einen politischen Kurs, der Geflüchtete von der Einreise abschrecken soll. Alassa M. berichtet, er habe in Italien keinerlei Unterstützung bekommen.

Der „Ellwangen-Appell“

Zunächst muss M. trotzdem in Italien bleiben. Sechs Monate lang wird er für die Einreise in die Bundesrepublik gesperrt. Es ist das Einreiseverbot, über das sich M. laut Bild hinweggesetzt haben soll. Sein Anwalt aber betont, dass sein Mandant ganz legal vorher die Frist habe verstreichen lassen. Als seine Einreisesperre abläuft, fährt M. Ende Dezember zurück nach Deutschland und beantragt erneut Asyl. Eine Woche später erscheint die Bild-Titelgeschichte über ihn.

Unterdessen fordern Aktivisten mit einer Petition, dass er zurück nach Deutschland kommen darf. Den „Ellwangen-Appell“ unterzeichneten bisher knapp 14.000 Menschen. Darunter Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke. Laut den Organisatoren liegen noch weitere Unterschriften auf Papier vor, sie sprechen deshalb von 20.000 Unterstützern.

Ob M. in Deutschland noch Asyl bekommt, wird in den nächsten Monaten entschieden. Sein zweites Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe er bereits hinter sich, sagt er. Jetzt warte er auf die Entscheidung. Anwalt Stierlin sagt, er habe mittlerweile eine Unterlassungserklärung an den Springer-Verlag geschickt. Er will, dass Bild den Artikel im Netz löscht und sich verpflichtet, die darin enthaltenen Falschbehauptungen künftig zu unterlassen. Da der Springer-Verlag daraufhin nicht reagiert hat, hat Stierlin mittlerweile einen Antrag auf Unterlassung beim Landgericht Hamburg eingelegt.

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