Pflege-Missstände in Bremen: Altenheim geht in die Offensive

Nach einem Eilantrag gegen die Schließung der Bremer „Seniorenresidenz Kirchhuchting“ tritt das Unternehmen die Flucht nach vorn an.

Die „Residenz Kirchhuchting“ ist seit zwei Jahren im Visier der Heimaufsicht Foto: Carmen Jaspersen/ dpa

BREMEN taz | Die Betreiber der „Seniorenresidenz Kirchhuchting“ versuchen, ihr Altenheim zu retten. Nach einem Eilantrag, der die von der Heimaufsicht für vergangenen Donnerstag verfügte Schließung der Einrichtung erst einmal verhindern konnte, geht die Unternehmensgruppe Mediko, zu der die „Residenz“ gehört, in die Offensive: Viele Mängel seien behoben, von „gefährlicher Pflege“ könne keine Rede sein, die Fachkräftequote sei sogar übererfüllt – und man sei sich sicher, dass das Verwaltungsgericht in dieser Woche zugunsten der Mediko entscheiden werde.

Schließung ist „Ultima Ratio“

Allerdings wird die Verfügung, nach der das Heim aufgrund schwerer Pflegemängel geschlossen werden muss (taz berichtete), in dieser Woche keineswegs für ungültig erklärt: Das Verwaltungsgericht entscheidet laut Sozialbehörde lediglich darüber, ob die von der Mediko eingereichte Klage gegen die Verfügung eine aufschiebende Wirkung hat, ob das Heim also wenigstens so lange geöffnet bleiben darf, bis das entsprechende Gerichtsverfahren beendet ist. Und hier ist das Bremer Heimaufsichtsgesetz eigentlich eindeutig: Widersprüche und Anfechtungsklagen haben danach keine aufschiebende Wirkung.

„Natürlich kann es passieren, dass das Gericht einen Ermessungsspielraum nutzt, der ja immer vorhanden ist“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Aber die Schließung eines Pflegeheims sei stets „Ultima Ratio“, die gut begründet und selten angewendet werde: „Das Ergebnis der Heimaufsicht ist schließlich das Resultat aus zwei Jahren Kontrolle.“ Die hat offensichtlich nicht viel bewirkt: In der Einrichtung, erklärte die Behörde am vergangenen Montag, sei nach Kontrollen in mehreren Fällen von einer „schwerwiegenden Gefahr für Leib und Leben“ für die BewohnerInnen auszugehen.

Viele neue Mitarbeiter

Das sieht man bei der Mediko-Gruppe anders: Man habe „bereits“ neun von neunzehn Mängeln beseitigen können, sagt Christian Cohausz, der seit dem ersten November Mitglied der Mediko-Geschäftsführung ist. Die restlichen Defizite, das garantiere er, würden im Laufe der nächsten drei bis sechs Monate ebenfalls beseitigt. Zu denen, erläutert er, gehörten Mängel in den Dokumentationen der Medikamentenvergabe und der Ess- und Trinkmengen.

Ursachen hierfür seien vor allem „viele neue Mitarbeiter, die noch geschult werden müssen“. Dass Lücken in der Dokumentation fatale Folgen haben können wie Fehldosierungen von Medikamenten oder die Dehydrierung von HeimbewohnerInnen, ist ihm bewusst: „Aber von gefährlicher Pflege kann trotzdem nicht die Rede sein.“

Warum das in der „Residenz“ seit Langem bestehende Problem mit der Dokumentation bis heute nicht abgestellt wurde, vermag Cohausz nicht zu beantworten: „Ich bin ja erst seit Kurzem hier, kann also wenig darüber sagen, was hier in der Vergangenheit schiefgelaufen ist.“

Auch die immer wieder unterschrittene Fachkräftequote könne er nicht begründen: „Ich nehme aber an, man hat nicht darauf geachtet, die Anzahl des Personals der jeweils aktuellen Belegungssituation anzupassen.“ Aber auch das werde in Zukunft anders: „Ich möchte, dass die Residenz Kirchhuchting die beste Einrichtung in Bremen wird.“

Eidesstattliche Erklärung

Cohausz legt als Beleg für die positive Entwicklung der Heimstrukturen die eidesstattliche Erklärung eines seit Mitte September beauftragten Qualitätsmanagers vor, nach der bis zum 22. November „Missstände bisher entschlossen und direkt“ beseitigt worden seien, sowie ein positives Begehungsprotokoll des Gesundheitsamtes vom ersten Oktober.

Die Fachkräftequote, sagt er, liege momentan mit „über 80 Prozent“ weit über der vorgeschriebenen 50-Prozent-Quote und solle auch in Zukunft so hoch bleiben. Bereits über das gesamte Jahr 2015 habe man die 50-Prozent-Quote halten können.

Hier redet Cohausz freilich von einem Durchschnittswert, der vom momentan hohen Personalstand profitiert, denn laut seines neuen Pressesprechers Nicolas Scheidtweiler lag die Quote mindestens im Juli 2015 bei nur 43,9 Prozent. Wie sich die Fachkräftezahl in den vergangenen zwei Jahren insgesamt entwickelt hat, ist dem handschriftlichen Zettel, den er der taz vorlegt, kaum zu entnehmen: Für die Jahre 2013 und 2014 sind dort jeweils nur die Quoten von Januar und Juli vermerkt, für das Jahr 2015 kommt noch der Oktober hinzu.

Offene Fragen beklagt auch Michael Horn, der für die Linkspartei im Beirat Huchting sitzt. Er hat gemeinsam mit weiteren Beiratsmitgliedern sowie der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Sigrid Grönert die „Residenz“ besucht: „Herr Cohausz und sein Sprecher haben sich um Transparenz bemüht, Fragen beantwortet und informiert, aber sie hätten jemanden dazu holen müssen, der schon länger in der Einrichtung arbeitet“, sagt Horn. Denn über die Zustände und die Entwicklung in den letzten zwei Jahren hätten beide wenig sagen können.

In Huchting verwurzelt

Ihm liege es am Herzen, dass die HeimbewohnerInnen, die noch in der Residenz leben und von denen viele gegen die Schließung der Einrichtung sind, im Stadtteil blieben, sagt Horn: „Die sind mittlerweile hier verwurzelt – einen alten Baum pflanzt man nicht mehr um.“ Man könne ja statt einer Schließung auch über einen Trägerwechsel nachdenken. Horn kann nicht verstehen, wieso es zwei Jahre gedauert hat, bis die Heimaufsicht Konsequenzen zog: „Das ist zu lange.“

Das sieht auch Reinhard Leopold, Gründer der Bremer Angehörigeninitiative „Heim-Mitwirkung“ so. Für ihn ist das bremische Heimaufsichtsgesetz dafür verantwortlich: „Laut Paragraf 26 ist die Heimaufsicht nicht nur für die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen, sondern auch für die Beratung der Heime bei Mängeln zuständig.“ Für ihn ist in Kirchhuchting „zwei lange Jahre lang beraten worden!“ Eine Überwachungsbehörde dürfe niemals gleichzeitig eine Beratungsfunktion haben, sagt Leopold: „Im kommenden Jahr muss das Gesetz novelliert werden – diese Gelegenheit sollte genutzt werden, Paragraf 26 zu streichen.“

Hausverbot in der Residenz

Andere gewinnorientierte Unternehmen bezahlten außerdem viel Geld für Unternehmensberatungen, „aber die Beratung eines gewinnorientierten Altenheim-Unternehmens zahlt der Steuerzahler“. Leopold hält die Offensive der Mediko für unglaubwürdig: „Die reagieren immer nur dann, wenn’s brennt und kurze Zeit später ist alles wieder beim Alten.“

Das befürchtet auch Inga Rohlf (Name geändert), die als Pflegerin in der Residenz arbeitet. Das neu eingerichtete Beschwerdemanagement käme viel zu spät: „Immer wieder haben wir versucht, auf die Mängel in diesem Hause aufmerksam zu machen und nichts ist passiert – jetzt ist das Vertrauen nicht mehr da.“ Ehemalige Angestellte, die BewohnerInnen besuchen wollten, bekämen Hausverbot, seit die Einrichtung in die Öffentlichkeit geraten sei: „Das schafft für uns keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern schüchtert ein.“

Schlechte Bezahlung

Auch die schlechte Bezahlung der Pflegehilfskräfte lasse nicht auf strukturelle Verbesserungen schließen: „Die bekommen hier pro Stunde einen Euro achtzig weniger als im benachbarten Heim an der Tegeler Plate.“ Und Weihnachtsgratifikationen, die es bisher jedes Jahr aufgrund besonderer Leistungen gegeben hätte, seien diesmal nicht vorgesehen: „Als Grund wurde uns gesagt, dass die neu eingestellten Pflegekräfte so viel Geld kosten würden, dass dafür nichts mehr übrig bleibt.“

Den BewohnerInnen und deren Angehörigen sei hingegen mitgeteilt worden, „dass wir hier alle gemeinsam auch in diesem Jahr Weihnachten feiern werden“. Ja, bestätigt Cohausz, davon sei er auch fest überzeugt.

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