Philosophin über Feminismen: Brot und Rosen

Die italienische Philosophin Cinzia Arruzza über ihren idealen Feminismus. Einen Feminismus für alle, nicht nur für cis Frauen in Führungspositionen.

Eine rote Rose liegt neben einem Laib Brot auf einem Holztisch

„Brot und Rosen“ – den Slogan prägte die US-Aktivistin Rose Schneiderman vor über hundert Jahren. Brot steht für wirtschaftliche Kämpfe, Rosen für den Kampf um Anerkennung Foto: ViewStock

taz: Frau Arruzza, die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg hat in ihrem Bestseller „Lean in“ geschrieben, dass die Welt eine bessere wäre, wenn die Hälfte aller Firmen von Frauen geführt würden und die Hälfte aller Haushalte von Männern. Sie halten diese Aussage für problematisch. Wieso?

Cinzia Arruzza: Die Welt wird nicht dadurch besser, dass mehr Frauen darüber entscheiden, wo Drohnen fliegen oder welche Länder bombardiert werden. Das Problem sind Führungspositionen an sich. Sie basieren auf gesellschaftlicher Ungleichheit, die es ermöglicht, dass nur manche Menschen nach oben kommen und andere unterdrückt werden. An diesen bestehenden Hierarchien und Machtverhältnissen will Sandberg nichts ändern. Dadurch bleibt das System dahinter dasselbe. Mit einer gerechten Gesellschaft hat das nichts zu tun.

Hat Sandbergs sogenannter liberaler Feminismus, dessen Grundhaltung in der westlichen Welt stark verbreitet ist, wirklich gar keine Antworten für Frauen, die weniger privilegiert sind?

Nein. Von Sandbergs Feminismus profitieren nur Frauen, die das notwendige kulturelle, intellektuelle und ökonomische Kapital bereits mitbringen. Das heißt, dass sie eh schon die Möglichkeit haben, dort zu arbeiten, wo sie wollen, und in großen Firmen an die guten Stellen kommen – was sie sich meistens nur leisten können, weil sie andere Frauen mit der Erziehung der eigenen Kinder oder ihrem Haushalt beauftragen. So ein Leben ist aber nicht für alle Frauen möglich. Was ist beispielsweise mit den Rechten von migrantischen Frauen, die in Spanien oder Italien auf Plantagen arbeiten? Für sie hat Sandberg keine Antwort.

Cinzia Arruzza lehrt Philosophie an der New School for Research in New York. Ihre Hauptthemen sind feministische Theorie und Marxismus.

Gehen die Forderungen des liberalen und antikapitalistischen Feminismus überhaupt nicht zusammen?

Natürlich gibt es auch gemeinsame Anliegen, bei denen sich Frauen solidarisieren. Für das Recht auf Abtreibung gehen beispielsweise viele Frauen gemeinsam auf die Straße. Aber der antikapitalistische Feminismus geht immer noch einen Schritt weiter und fordert nicht nur das Recht auf Abtreibung, sondern noch dazu eine kostenlose medizinische Versorgung. Nur so können auch arme Frauen, die es sich sonst vielleicht einfach nicht leisten könnten, ihr Recht in Anspruch nehmen.

Das Manifest, das Sie gemeinsam mit Nancy Fraser und Tithi Bhattacharya verfasst haben, versammelt elf Thesen eines „Feminismus für die 99 %“. Er soll sich auf diejenigen Frauen konzentrieren, die nichts oder wenig vom Kuchen abbekommen. Aber wer ist damit überhaupt gemeint?

Unser Slogan ist unter anderem eine Hommage an die Occu­py-Bewegung aus dem Jahr 2011. Damals hieß es „Wir sind die 99 Prozent“. Das haben wir aber abgewandelt. Denn unser Manifest muss für alle Frauen gelten, also auch trans und queere Personen, migrantische Frauen, Frauen mit oder ohne Working-Class, also Arbeiterhintergrund und Sexarbeiterinnen einschließen, um nur einige zu nennen. Wir gehen nicht von einem homogenen Frauenbild aus. Diese Frau, die damit beschrieben werden soll, existiert sowieso nicht.

Cinzia Arruzza, Tithi Bhatta­charya, Nancy Fraser: „Femi­nis­mus für die 99 %. Ein Mani­fest“. Matthes & Seitz, 107 S., 15 Euro

Innerhalb dieser 99 Prozent dürfte es ziemlich viele unterschiedliche Bedürfnisse geben. Die einen kämpfen um gerechtere Arbeitsbedingungen, die anderen ums Überleben. Wie sollen diese Anliegen zusammengehen?

Genau um diese Unterschiede geht es. Natürlich haben nicht alle dieselben Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Aber statt uns deswegen gegeneinander auszuspielen, müssen wir Wege finden, miteinander zu leben, und unsere Fähigkeiten kombinieren. Das funktioniert momentan aber noch nicht, weil wir überall in unserem Leben – von der Schulzeit bis ins Arbeitsleben – lernen, mit anderen Frauen zu konkurrieren. Deswegen können wir uns nicht emanzipieren, solange wir im Kapitalismus leben. Unser Manifest verstehen wir als ersten Vorschlag, was sich verändern muss, damit die Welt für die 99 Prozent gerechter wird. Zuallererst brauchen wir eine Gesellschaft, die nicht sexistisch und rassistisch ist.

Im Buch schreiben sie, dass es in einer neuen feministischen Streik-Ära nicht nur um Lohnarbeit, sondern auch um unbezahlte und unsichtbare Arbeit gehen dürfe.

Um arbeiten zu können, müssen wir am Leben sein. Schließlich braucht der Kapitalismus funktionierende Menschen. Das heißt: Jemand muss dafür sorgen, dass wir lernen, uns selbst zu versorgen, dass wir, auf welche Art auch immer, erzogen werden. Wir nennen das so­ziale Reproduktion. Diese Arbeit wird immer noch mehrheitlich von Frauen verrichtet und nicht als Arbeit anerkannt. Ein Streik kann Lohnarbeit und Care-Arbeit miteinander verbinden und dadurch sichtbar machen.

Statt „Bread and Butter“, also nur sozialer Gerechtigkeit, fordern Sie „Bread and Roses“. Was ist damit gemeint?

Kurz gesagt: Der Kampf um „Bread and Butter“, also faire Löhne, ist absolut notwendig. Trotzdem kritisieren wir in unserem Buch, dass sich viele Forderungen nur auf ökonomische Umstände beziehen. Das reicht nicht.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ja, für Frauen, die in Spanien auf der Plantage arbeiten, geht es primär nicht um einen gerechten Arbeitsvertrag – sondern um Schutz vor Ausbeutung, sexuellen Übergriffen, Erpressungen, Demütigungen und Unterdrückung als Frau. Wir müssen unsere nationalen Klassenkämpfe erweitern, um uns für die Rechte dieser Frauen einzusetzen. Es geht um die Qualität und die Würde des Lebens, die Roses eben.

In Deutschland haben wir nach #MeToo vor allem über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und in der Filmbranche gesprochen. Haben Sie Hoffnung, dass auch andere Themen bald auf die Tagesordnung kommen, wenn wir anders über Frauen und Arbeit nachdenken?

Meiner Meinung nach passiert das schon. #MeToo hat gezeigt, dass sexuelle Belästigung und Machtpositionen eng zusammenhängen. Sexuelle Belästigung hat ja nichts mit Sex zu tun, sondern mit Macht. Deswegen gibt es dort, wo sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz möglich ist, oft starre Hie­rar­chien und nicht besonders ausgeprägte demokratische Entscheidungsprozesse. In den schlimmsten Fällen bedeutet das, dass Arbeitgeber*innen die Pässe ihrer Angestellten einbehalten. Deswegen sind die Frauen vollständig abhängig. Sexuelle Belästigung ist dann eine Methode, um sie zu disziplinieren. Wenn wir über das eine sprechen, thematisieren wir das andere immer auch mit.

In These 11 fordern Sie, radikale Bewegungen sollten sich zusammentun und gemeinsam antikapitalistisch organisieren. Welche Aktion malen Sie sich dafür aus?

Strategien müssen sich immer an lokalen Konditionen orientieren, die sich die jeweiligen Bewegungen selbst überlegen. Ein Vorschlag wäre, den Dialog zwischen Klimaaktivist*innen und der Frauenbewegung zu öffnen. Anknüpfungspunkte gibt es genug: Immerhin sehen wir einerseits, dass gerade junge Frauen an der Spitze der Klima­bewegung stehen und eine wichtige Rolle spielen. Daten belegen außerdem, dass Frauen in besonderem Maße von der Klimakrise betroffen sein werden. Zunächst ist es wichtig, dass wir miteinander ins Gespräch gehen und gemeinsam einen Prozess starten – und dann sehen, wo es hingeht.

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