Pierre Laval: Der Pazifist, der mit den Nazis kollaboriert hatte
Vor 80 Jahren wurde Pierre Laval hingerichtet. Der Ministerpräsident des Vichy-Régimes ließ Juden deportieren, um sein Land aus dem Krieg rauszuhalten.

Hätte er mal auf seine Frau gehört. Jeanne hatte Pierre Laval im Frühjahr 1942 bekniet, bloß nicht erneut in die französische Regierung einzutreten, als Nummer zwei in Marschall Philippe Pétains Kollaborationsregime in Vichy, das er konzipiert hatte. Aber er war in seinen Augen eben der einzige, der Frankreichs Selbstständigkeit würde retten können. Als treuer Schüler von Nobelpreisträger Aristide Briand, hielt er sich für den Garanten des Friedens. Das Mittel, sein besetztes Land aus dem weiteren Krieg herauszuhalten, war für ihn die Umarmung des Besatzers.
„Je hais la guerre d'une façon tenace et maladive“, zitiert ihn der früh verstorbene Zeithistoriker Fred Kupferman, selbst Auschwitz-Überlebender: „Ich hasse hartnäckig und geradezu krankhaft den Krieg“. Der Pazifismus gehört zu den wenigen Konstanten in Lavalles politischer Biografie.
Und darum wird am 18. April 1942 der 1883 in einem Dorf in der Auvergne geborene Metzgerssohn, den das Time Magazine nach Gandhi und vor Franklin D. Roosevelt zum „Man of the Year“ des Jahres 1931 gekürt hatte, zum dritten Mal Premierminister Frankreichs und drei Jahre später dann hingerichtet, – vor nun genau 80 Jahren – am 15. Oktober 1945.
Die Jagd auf Juden
Kein falsches Mitleid. Laval hatte Frankreich zum Mittäter der Shoah gemacht. Um die Autonomie des Pétain-Regimes zu beweisen, mussten statt SS-Leuten französische Polizisten die Jagd auf Juden übernehmen. Die Behauptung, er habe die von den Nazis gar nicht geforderte Deportation auch ihrer Kinder aus humanitären Erwägungen angeordnet, um nur ja keine Familien auseinander zu reißen, war schon 1942 zu durchsichtig: Es ging darum, Aufsehen durch tränenreiche Abschiede zu vermeiden – und darum, dem Staat keine Versorgungsfälle ans Bein zu binden. Laval war eben durch und durch ein Pragmatiker, kaum Antisemit und ganz sicher kein Faschist.
In den 1930ern ist Laval noch der beliebteste Politiker Frankreichs. Dem Rest der Welt ist er eine Figur der Hoffnung für Europas Zukunft: Erstmals Ministerpräsident wird er 1931. Als Krisenlöser holt man ihn 1935 noch einmal an die Spitze der Regierung, aber bevor die Maßnahmen greifen, ist die Mehrheit futsch.
Laval hatte als Kommunist angefangen, aber die totalitäre Versuchung verfängt bei ihm nicht. „Ideologie hat er abgelehnt“, so fasst der Geschichtsprof Renaud Meltz zusammen, der mit einer monumentalen Biografie das französische Mysterium Laval ergründet hat.
Der entspricht dem Politikermodell Danton: Schlau, mit Blick auf den eigenen Vorteil, korrupt, moralbefreit, aber leutselig, ein echter Bürgermeister: Das Amt hat er in seinem Wahlkreis Aubervilliers von 1923 bis 1944 die ganze Zeit inne.
Die Kühe selbst versorgt
Nein, so jemandem nimmt keiner krumm, wenn er nebenher einen Radiosender erwirbt, ein Schloss und einen landwirtschaftlichen Betrieb. Dass er dort die Kühe mitunter selbst versorgt und melkt zahlt dagegen aufs Beliebtheitskonto ein.
Und doch ist das 1945 geräumt: Da wünschen 78 Prozent der Franzosen Laval die Todesstrafe. Mit der Judenverfolgung hat das nichts zu tun. Keine Rolle spielt sie auch beim Prozess, dem seine Anwälte aus Angst um ihren Ruf fernbleiben, während ihm Geschworene während der Beweisaufnahme eröffnen, er verdiene zwölf Kugeln in den Rücken. So wird er wegen „Verschwörung gegen die innere Sicherheit des Staates und Geheimdienstarbeit mit dem Feind“ zum Tode verurteilt.
Die Hinrichtung mit unverbundenen Augen
Die Hinrichtung gerät zur grausamen Farce. Sie findet, ungewöhnlich, erst mittags statt, weil Laval Zyankali geschluckt hat, allerdings nur die Hälfte der Kapsel. Das reicht nicht. Also pumpt man ihm den Magen aus und doktert an ihm herum, bis er, wacklig, in den Hof geführt werden kann, zur Exekution.
Er trinkt noch einen Schluck. Kotzt. Dann Schlussworte mit Pathos. Die Gnade, dem Erschießungskommando mit unverbundenen Augen gegenüber zu treten, wird ihm gewährt. Unerfüllt bleibt sein Wunsch, ihm nicht ins Gesicht zu schießen. „Today, justice has been served“, resümiert die Wochenschau der United Newsreel Corporation.
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