Pirat Claus-Brunner im Interview: „Wir sind an der Kotzgrenze“

Die Grünen fordern jetzt auch einen kostenlosen Nahverkehr - die Piraten tun das schon immer. Eine Studie soll jetzt klären, was möglich ist

Übervolle S-Bahnen: Leerer würden sie bei Gratisfahrten wohl kaum. Bild: dpa

taz: Herr Claus-Brunner, die Piraten werben von jeher für den fahrscheinlosen Nahverkehr, am Wochenende stimmten auch die Grünen dafür. Gibt’s da jetzt ein neue Allianz?

Gerwald Claus-Brunner: Sicher freut uns das. Wir können uns da gern bald mal zusammensetzen. Worüber ich mich allerdings wundere: Als wir mit der Idee kamen, hieß es noch, das sei total bescheuert. Jetzt fordern die Grünen das Gleiche, und es ist prima. Aber egal: Hauptsache, die Berliner haben am Ende was davon.

Also: Wann fahren wir umsonst?

Das Kernproblem bleibt: Man braucht etwa eine Milliarde Euro, um das gegenzufinanzieren. Meine Idee wäre, den Prozentsatz des Schuldzins, den Berlin jährlich zahlt, zu senken: von jetzt 3,7 auf 1 Prozent. Das würde dem Land 1,8 Milliarden bringen.

Abgesehen vom Veto des Stabilitätsrats: Das Geld würde sicher auch anderswo benötigt.

Klar, das ist die große Schwierigkeit. Deshalb überlegen wir in der Fraktion, ob es nicht auch ein Zwischenmodell gibt: einen Fahrschein für 1 Euro. Das sollte man finanziert bekommen.

Also haben Sie das fahrscheinlose Fahren schon abgehakt?

Nein. Wir werden Anfang 2014 für rund 25.000 Euro eine Studie in Auftrag geben, um mal genau durchzurechnen, was da geht und was nicht.

Warum erst jetzt? Der fahrscheinlose Nahverkehr war eines Ihrer Wahlkampfversprechen – vor zwei Jahren.

Das ist eben ein riesiger Komplex. Es gibt viele Gesetze und Verträge zu berücksichtigen, es gibt die landeseigene BVG und die Bund-Tochter S-Bahn. Da muss man sich erst mal reinfuchsen. Ich hätte auch nie gedacht, dass das so kompliziert ist.

Was können Sie jetzt mit den Grünen wuppen?

Was durchaus kurzfristig machbar ist und wofür wir in unserer Studie auch Parameter festlegen werden, wäre eine Testphase: zwei Monate fahrscheinlos. Das könnte man für gut 200 Millionen Euro als Modellversuch anlegen, etwa aus EU-Fördertöpfen, und alles dokumentieren. Berlin hat ja eine gute Ausgangslage: Nur ein Drittel der Pendler ist hier mit Individualverkehr unterwegs, die anderen fahren heute schon öffentlich.

Ohne Fahrscheine würden es sicher mehr – und BVG und S-Bahn an ihre Grenzen stoßen.

Stimmt. Jeder, der täglich fährt, sieht, dass wir heute an der Kotzgrenze sind. Da bräuchte es natürlich mehr Fahrzeuge und Personal. Auch das wird unsere Studie mitberechnen – beziehungsweise der Testbetrieb zeigen.

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