Piraten I: Mitgliederversammlung: Parteitag der großen Emotionen

Mitgliederversammlung mit Überraschungen: Landeschef Gerhard Anger lässt sich doch nicht wieder wählen, seinen Nachfolger Hartmut Semken hatte niemand auf dem Schirm. Nicht alle sind von ihm begeistert.

Hartmut Semken ist der neue Anführer der Berliner Piraten. Bild: DPA

Schon zur Begrüßung gibt es die Überraschung: Piraten-Landeschef Gerhard Anger tritt am Samstagmorgen auf die Bühne und sagt, er habe sich entschieden, doch nicht mehr für den Vorsitz anzutreten. Der Mittdreißiger im grauen Kapuzenpullover erklärt, er halte dem Druck "emotional" nicht mehr stand. Raunen, stehender Applaus. Anger zieht sich an die Bar zurück.

In der Universal Hall in Moabit findet er statt, der erste Parteitag, seit sich im Herbst alles für die Berliner Piraten geändert hat. Einzug ins Abgeordnetenhaus, Sprung von 800 auf 2.700 Mitglieder. Gut 300 davon sitzen nun an Biertischen, viele Männer mit langen Haaren und weiten Shirts, auch Frauen. Neben den Laptops reihen sich "Club Mate"-Flaschen, bei Abstimmungen läuft die Tetris-Melodie. Es beginnt beinahe routiniert: Fast einstimmig wird beschlossen, den Vorstand weiter jährlich statt alle zwei Jahre zu wählen.

Auch für den neuen Landesvorsitz scheint die Sache nach Angers Rückzug ausgemacht: Schatzmeisterin Katja Dathe, rot gepunktete Bluse, große Brille, wirds. Aber spontan treten noch drei Kandidaten an. Fast zwei Stunden lang wollen die Mitglieder wissen, wofür die da vorne stehen. Andersparteiliche Vergangenheit? Er habe mal mit den Jusos "gezeltet und gesoffen", erzählt Malte Kaffenberger, Kreuzberger mit Hut. Wichtig sei, sagt Lasse Kosiol, Spandauer Student, dass man "keinen Schwachsinn" erzähle. Kandidat Hartmut Semken gesteht, dass er 2010 an den Piraten "verzweifelt" und fast ausgetreten sei. Dathe kündigt an, "weiter unglaublich faul zu sein", um nicht "auszubrennen".

Am Ende gewinnt der, der am wenigsten nach Pirat aussieht: Hartmut Semken, weißes Hemd, akkurater Bart. Ein 45-jähriger Ingenieur, den sie hier nur "Hase" nennen. Er erhält 53,3 Prozent, Favoritin Dathe folgt mit 44 Prozent. Mitglieder hatten ihre intransparente Ernennung zur Wahlfrau für die Bundespräsidentenwahl kritisiert. Sieger Semken nennt das Ergebnis "absolut surreal" und stößt mit Rum an. Bei einigen Altmitgliedern kippt dagegen die Stimmung. Anger und Dathe sind ausgeschieden, zwei Parteistrategen und Wahlkampforganisatoren.

Dass die Herbsteuphorie den Alltagsmühen weicht, zeigt auch ein Parteiausschlussverfahren, das immer wieder zum Thema wird. Pirat Sebastian Jabbusch hatte einem jugendlichen Mitglied öffentlich Nötigung und Datendiebstahl vorgeworfen. Der Vorstand betrachtet das als parteischädigend. "Haltlos" nennt Jabbusch die Vorwürfe. Anger sagt, die Querelen seien mitursächlich für seinen Abtritt. "Vielleicht braucht der Vorstand Leute, die aus härterem Holz gestrickt sind."

Der neue Chef teilt dann gleich aus. In einem Interview erklärt er, von der bisherigen Arbeit der Fraktion nicht begeistert zu sein. Die Abgeordneten reagierten verärgert. Am Sonntagnachmittag der Rückzieher: "Das war gestern so richtig daneben", findet Semken jetzt. "Was die leisten, ist richtig, richtig gut, inhaltlich." Man dürfe Kritik nicht immer gleich als Angriff deuten.

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